(2) Adee, Morgenmotivation.

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Am nächsten Morgen erwache ich total entkräftet und viel zu früh. Nach der merkwürdigen Begegnung von gestern Nachmittag, bin ich vollends verwirrt, sowie aufgeregt nach Hause gekommen, wo keiner aufzufinden war, weshalb ich niemandem das Vorgefallene weitererzählen konnte und auch noch am späten Abend von meinen Gedanken heimgesucht wurde, wodurch ich kein Auge zukriegen konnte. Als ich dann, halb schlafend ins Badezimmer schlendere und in den Spiegel sehe, schaut mir eine Person entgegen, die mich ziemlich stark an einen Zombie erinnert.

Meine krausen, roten Haare stehen in alle Richtungen ab und meine dunkelbraunen Augen scheinen gestern Nacht wohl wach geblieben sein, denn anders kann ich mir die dunkeln Schatten unter meinen Lidern nicht erklären. Gottverdammte Scheisse: meine Augenringe reichen ja fast schon bis zum Boden hin.

Noch immer todmüde, spritze ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, was mich wenigstens etwas wacher werden lässt, bevor ich meine Augenringe, so gut es eben mal geht, abzudecken versuche und mir etwas Mascara auftrage, welche ich meiner Meinung nach, dank meinen rot-braunen Wimpern, einfach benötige, um gut auszusehen. Einen Moment verharre ich noch in dieser Position, bevor ich mich vom Spiegel abwende, den Raum verlasse und träge die lange Treppe hinuntergehe.

Als ich im unteren Stockwerk ankomme und gerade auf die Küche zusteuern möchte, werde ich auch schon von einer viel zu gut gelaunten Alessia begrüsst. Ich, für meinen Geschmack, habe mich bereits darauf eingestellt ersteinmal meinen Kaffee zu trinken und dann langsam mit irgendwelchen Menschen ins Gespräch zu kommen. Sie wiederum scheint jedoch einen ganz anderen Plan zu haben.

"Heeey, Marie", begrüßt mich meine kleine Schwester heiter, indem sie das "E" ungewöhnlich lang zieht. Ich muss mich wirklich zurückhalten, meine Augen nicht zu verdrehen. Schon seit ich denken kann, gehöre ich nämlich zu den Personen, die erst in der Mitte des Tages richtig aufblühen. So sollte man mich Morgens empfehlungsweise eher wenig ansprechen und mir meine nötige Ruhe gönnen. Ansonsten ist auch schon vorgefallen, dass meine Laune bis zum Aufbruch des nächsten Morgens, nett ausgedrückt, im Eimer war.

"Morgen."

Alessia lässt sich von meiner zugegeben schlechten Laune nicht einnehmen, packt mich stattdessen am Arm und zieht mich in die kleine Küche, wo sie mich dann endlich loslässt. Der kleine Tisch ist bereits mit leckerem Essen bestückt, was ich jedoch gar nicht wirklich registriere. Meine Aufmerksamkeit gilt der dampfenden Tasse, die Alessia gerade in die Hand genommen hat und mit der sie nun auf mich zu marschiert. Schließlich macht sie vor mir halt und drückt mir die gepunktete Tasse in die Hand, welche ich ein wenig verdutzt entgegennehme. Doch nachdem der angenehme Duft des Getränkes meine Nase erreicht hat, sind alle Zweifel geschwunden.

"Ich hab schon vermutet, dass du wiedermal Ewigkeiten brauchst, bis du richtig ansprechbar bist. Deshalb hab ich vorgesorgt."

Alessia blickt mir siegessicher entgegen, was mich dazu veranlasst ihr dankend zuzunicken. Wie schon gesagt; ich vergeude Morgens keine Zeit mit reden. Andere Leute hätten mein Reaktion vielleicht als beleidigend empfunden, meine Schwester jedoch grinst nur wissend, bevor sie sich von mir abwendet und sich an den bedeckten Tisch setzt, wo sie voller Elan, ihr Rührei aufspiesst, welches sie dann genüsslich verschlingt. Ich selbst habe noch nicht mal Hunger. Den habe ich um die Zeit nie. Viel lieber schlürfe ich an meinem Kaffee. Schon beim ersten Schluck des Koffeinhaltigen Getränkes, merke ich, wie sich das Leben wider in mir ausbreitet. Alessia, welche sich bis jetzt brav zurückgenommen hat, erhebt nun ihre Stimme, die mich innerlich tief aufseufzen lässt:

"Du siehst auch aus, als hätte dich ein Tier gefressen, um dich dann wider auszukotzen... Geht's dir gut?"

"Nette Umschreibung."

Alessia grinst mich frech an und ich frage mich einmal mehr, wie ich eine solch energiegeladene Schwester verdient habe. Am Abend mag diese Eigenschaft womöglich ganz günstig erscheinen, am Morgen jedoch würde ich sie am liebsten einfach nur auf den Mond schiessen.

"Ich weiss."

Eine Weile lang sagt Alessia nichts mehr, sodass mich die angenehme Stille ganz für sich einnimmt. Doch gerade, als ich mich komplett entspannt habe, werde ich auch schon wider von ihr angequatscht:

"Du hast meine Frage noch nicht beantwortet."

"Jap", gebe ich ihr nüchtern ihre Antwort. Alessia nimmt das ganze jedoch wie immer gelassen. Ihr breites Lächeln steht ihr immer noch ins Gesicht geschrieben, sodass süsse Grübchen ihre Wangen zieren. Jeder andere hätte meine patzige Antwort wahrscheinlich als angreifend empfunden. Alle ausser Alessia. Um ehrlich zu sein, kann ich noch nicht mal einen wahren Grund dafür nennen, dass sie sich von mir nie beleidigen lässt. Ich schätze, sie kennt mich einfach zu gut.

Ich wende mich wider meinem Kaffee zu, von dem ich sogleich einen grossen Schluck trinke und einmal mehr danke ich deren Erfinder zutiefst, da ich nicht weiss, ob ich ohne diesen überhaupt noch wach wäre. Wahrscheinlich wäre ich dann berufliche Schlafwandlerin mit einem Nebenjob als wandelnde Leiche, in diversen Filmen. Als ich so über dieses unnötige Thema nachdenke, wie es mir schon anderweitig passiert ist, drängt sich plötzlich ein weiterer Gedanke in den Vordergrund.

"Sag mal Alessia: Kennst du einen grossen Jungen mit braungebrannter Haut, braunen, schulterlangen Haaren sowie gleich-farbenen Augen?"

Alessia's irritierter Blick lässt darauf schliessen, das meine Frage sie ziemlich unerwartet getroffen hat, was aufgrund meines Morgengrolls auch kein Wunder ist. Die wenigen Sekunden, in denen meine Schwester überlegt, fühlen sich wie endlose Stunden an. Sie kaut vor lauter Nachdenken bereits auf ihrer Unterlippe herum, wie sie es oft tut, wenn sie nach einer Lösung sucht. Als sie dann schlussendlich die Stimme erhebt, atme ich erleichtert aus. Ohne es bemerkt zu haben, habe ich die Luft angehalten.

"Nee, tut mir leid. Ich glaube nicht, dass du mir den Jungen je vorgestellt hast."

Als wäre ein Dominostein in Bewegung gekommen, der eine ganze Kettenreaktion verursacht hat, sacke ich in mich zusammen. Ich bin kein Schritt weitergekommen, in der Frage, wer der mysteriöse Junge ist. Vielmehr bin ich sogar noch einen Schritt zurückgefallen, da ich mir schon zu Beginn Hoffnungen gemacht habe, Alessia könne den Fremden kennen. Aber in mir drinnen hat sich ein Schalter umgelegt. Ich werde zu dieser Party gehen und ich werde herausfinden, wie sich der Junge nennt und von wo wir uns kennen.

"Ach macht nichts. Das kriege ich schon noch raus."

Amnesie  - atme, lebe, verliebe dich, und das alles zum 2ten Mal.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt