"Na, Emil, du Detektiv. Wie es aussieht hast du deine verschwundene Liebste wieder aufgespürt." Er grinst über beide Ohren, als er meinen Bekannten in eine herzliche Umarmung zieht. Emil erwidert die Begrüssung lächelnd und drückt seinen Freund ebenfalls fest an sich. In diesem Moment wünschte ich mir, ich wäre ein seiner Stelle. Die beiden lösen sich von einander und der Fremde wendet sich mit ernsterer Mine mir zu. Seine Grübchen sind verschwunden. Stattdessen ziehen sich seine Augenbrauen nur sorgenvoll zusammen.
"Aber Jetzt mal ehrlich Mienchen. Wo zum Teufel warst du so lange?" Er deutet anklagend auf Emil neben sich: "Der arme hier war echt am Boden deswegen. Und natürlich war ich es alleine, der ihn trösten musste. Ich kann dir sagen, das war kein Spass." Seine rechte Augenbraue wandert vorwurfsvoll in die Höhe. "Nicht einmal "der Wixxer" konnte ihn noch aufhalten, Trübsal zu blasen."
"Der Wixxer?", frage ich verwirrt. Und hatte er mich eben Mienchen genannt? Einen schlimmeren Spitznamen hätte er sich auch nicht mehr aussuchen können. Aber anscheinend scheine ich auch ihn zu kennen.
"Der Film du Dummerchen", lacht er entgeistert auf und wuschelt mir grinsend durch die Haare: "Ist ja nicht so, als hätten wir ihn uns nicht schon gemeinsam angeschaut. Du bist fast gestorben vor lachen."
"Äähm", versuche ich mich aus der Situation zu retten und ziehe meinerseits die Mundwinkel nach oben. Doch ehe ich einen ausgeklügelten Satz herausbringen kann, hat der Junge auch schon wider die Stimme erhoben und einen Arm um mich gelegt.
"Sag mal Marie ist alles in Ordnung mit dir? Du bist heute irgendwie ganz komisch. Kein, "Na Paul du Gaul, schon ins Grass geschissen"? Kein "Verpiss dich aus meiner Anwesenheit, du Milliardärssöhnchen." Er schaut mich erwartungsvoll an. Ich währenddessen versuche gerade die neusten Erkenntnisse zu registrieren und zu einem Ganzen zusammenzufügen. Habe ich jeweils wirklich Gaul genannt? Ich überkreuze schützend meine Arme vor der Brust.
Paul wendet sich wieder Emil zu, der schweigend neben uns gestanden und uns über die Schulter hinweg zugeschaut hat.
"Du stimmst mir doch zu Emil? Dass sie heute komisch drauf ist meine ich."
Emil lehnt sich rittlings gegen das Geländer und verschränkt seinerseits die Arme vor der Brust: "Ach komm schon Paul. Jetzt lass sie doch erstmal zu Atem kommen. Du hast sie eben mal sieben Wochen lang nicht gesehen und das Erste, was du tust, ist sie auszuhorchen?"
"Ja klar", schnaubt Paul entrüstet auf: "Du weisst natürlich schon, wo unsere geliebte Widerspenstigkeit gewesen ist." Er wirft voller Euphorie die Arme in die Luft. "Und ich, das arme Geburtstagskind, muss sie aushorchen wie ein Schwerverbrecher, nur um an Infos zu kommen. Der Blick den Paul Emil nun zuwirft könnte mit dem des Barkeepers konkurrenzieren. "Mein bester Freund würde mir nicht auch nur ein Wort seiner detektivischen Erkenntnisse vermitteln."
Emil schüttelt mit dem Kopf: "Mir hat sie auch nichts verraten." Paul wirkt zum ersten Mal heute sprachlos. Er scheint erwartet zu haben, Emil wüsste von meinem Aufenthaltsort während meiner Abwesenheit. Wahrscheinlich hätte ich ihn ihm auch schon lange verraten, wenn ich selbst wüsste, was mit mir geschehen ist.
"Okay. Das wird jetzt sogar mir zu verwirrend." Paul greift sich in die Jackentasche und holt ein Päcken Zigaretten heraus. Eine davon steckt er sich zwischen die Zähne. Während er nach seinem Feuerzeug greift, das in seiner Hosentasche steckt, hält er mir auffordernd die geöffnete Box entgegen.
Ich schüttele vehement mit dem Kopf: "Nein Danke. Ich rauche nicht." Paul lacht krächzend auf: "Du willst mir jetzt aber nicht weismachen, du hättest dein altes Laster in sieben Wochen so mir nichts, dir nichts abgeworfen?" Er wirkt irritiert: "Oder?", fragt er nochmal nach, wie um sich zu versichern, nicht von mir übers Ohr gehauen worden zu sein. Ich verneine nochmals: "Ich meins ernst. Ich rauche nicht mehr" Ich kann sowieso nicht verstehen, wieso ich mir diesen hässlichen Qualm angetan habe, füge ich in Gedanken hinzu. Das wird ja immer besser. Was kommt als nächstes? Habe ich meine Freizeit mit strippen verbracht?
Emil neben mir verschluckt sich beinahe an seinem Drink, an dem er eben noch vorsichtig genippt hat. Er spuckt die alkoholische Flüssigkeit über das Geländer. "Du?" fragt er verdattert, während er sich mit dem Ärmel über das Mund fährt. Anders als Paul und ich hatte er sich nämlich - schlau wie er war- eine Jacke angezogen. Ich befürchte schon, meine Aussage 'nicht mehr zu rauchen', hätte ihn so verschreckt, als er sich finster-dreinblickend seinem Getränk zuwendet: "Was hat der Typ da bitte reingeschüttet? Das schmeckt wie sonst was", sagt er indigniert.
Er will das Getränk vom Balkon, in den grossflächigen Garten schütten. Paul hindert ihn daran, indem er Emil am Handgelenk festhält: "Lass mal", bestimmt er grinsend: "Wenn das wirklich so scheisse schmeckt, dass du es in Hohem Bogen hinausguckst, muss ich wenigstens mal davon gekostet haben." Er nimmt Emil das Glas aus der erstarrten Hand und betrachtet die Flüssigkeit sichtlich fasziniert. Die Zigarette scheint vergessen. Er steckt sie sich geistesabwesend in die Hosentasche zurück. Ich betrachte Paul, wie er den Alkohol zum überschwappen bringt, indem er das Glas etwas ruppig an seine Nase zieht. Kurz vor seinem Mund hält er jedoch noch einmal inne und betrachtet mich, sowie auch Emil eingehend.
"Oh", fügt er ernster, aber doch noch immer grinsend seiner Rede hinzu: "Und wenn der Drink wirklich so abscheulich schmeckt, dass sogar DU ihn ausspucken musst", er deutet entzückt auf Emil, der Paul seinerseits irritiert ansieht: "dann muss ich wohl für das Allgemeinwohl sorgen und sichergehen, dass dieser Junge gefeuert wird."
Ich schweige eisern. Obwohl es mich brennend interessieren würde, wie es Paul möglich sein kann einen Kellner zu entlassen, traue ich mich nicht ihn zu fragen. Wie er schon anklagend erklärt hat, benehme ich mich in seinen Augen schon jetzt unnormal. Ich will mir also gar nicht ausmalen, wie er auf eine Frage reagieren würde, deren Antwort ich eigentlich wissen sollte. Zumindest vermute ich, die Antwort bereits erfahren zu haben - damals als ich noch alle meine Erinnerungen hatte. Hat Paul nicht vorhin darauf hingedeutet ein Milliardärssöhnchen zu sein? Womöglich ist er ja hier zu Hause. Und er ist es, der Geburtstag hat. Dann müsste er ja fast Zuhause feiern.
Ich überlege mir, ob es nun zu spät wäre, Paul zu gratulieren, wobei Emil das ja auch nicht getan hat - und das, obwohl er sein bester Freund ist. Gerade, als ich auf den Schluss komme, mir echt zu viele Gedanken zu machen, schrecke ich auf. Paul spuckt, genau wie Emil vor ein paar Sekunden, geekelt über das Geländer. Anders als sein Kumpel würgt er dabei jedoch grässlich.
"Da wird mir ja nur schon vom zusehen übel", erhebe ich einer Intuition folgend die Stimme. Irgendwie fühlt es sich richtig an. Ich könnte schwören, genau solch einen Kommentar schon einmal an Paul adressiert zu haben. Deshalb scheue ich auch nicht davor gleich noch etwas hinterher zu schleudern: "Reiss dich bitte zusammen Gauli"
Emil lacht auf meine Anmerkung hin herzlich auf. Er legt einen Arm um meine Mitte und zieht mich an sich. Dann drückt er mir einen flüchtigen Kuss auf den Scheitel. "Geht doch", flüstert er mir erleichtert zu: "Ich habe mir kurz echt sorgen um dich gemacht: Keine Zigaretten mehr, diese kuriose Frage nach unserem gemeinsamen Lieblingsfilm, dein plötzliches Verschwinden ..." Ihm scheinen noch etliche weitere Dinge einzufallen, als ich ihm aufmunternd zulächle: "Mach dir keine Sorgen Emil. Mir geht es gut. Es ist nur so, dass ich momentan ziemlich verwirrt bin." Das ist noch nicht mal gelogen. Die ganze Wahrheit will ich ihm nicht offenbaren - zumindest noch nicht. Zu gross ist die Angst vor Ablehnung.
Vorsichtig streiche ich ihm über seine Brust und blicke zu ihm auf. Gerade frage ich mich, wie es wohl wäre, ihn zu küssen. Dann bringt mich ein gespieltes Räuspern aus Pauls Richtung in die Gegenwart zurück.
"Ist ja echt schön, dass ihr so toll miteinander auskommt. Aber ICH bin hier das Geburtstagskind und somit habe ich auch das Recht euch Befehle zu erteilen. Beispielsweise denjenigen, mir nach drinnen zu folgen und euch Miriam, Liam, Picasso und mir zu einer Runde Wahrheit oder Pflicht anzuschliessen."
Emil will die Stimme erheben, doch Paul unterbricht ihn kopfschüttelnd: "Nein, nein mein lieber. Da gibt es keine Widerrede." Ehe Emil und ich es uns versehen befinden wir uns auch schon in Pauls Schlepptau. Das heisst ich befinde mich in seinem Schlepptau. Genauer gesagt an seiner einen Hand, mit der er mich durch das Gedränge zieht. In der anderen hält er Emils ungeniessbaren Drink, den er triumphierend in die Höhe hält: "Das gibt eine grandiose Aufgabe für 'Tat'", schreit er uns über die laute Musik hinweg zu. In dem Moment wird mir bewusst, dass mein Getränk unangetastet und einsam auf dem Balkongeländer steht.
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Amnesie - atme, lebe, verliebe dich, und das alles zum 2ten Mal.
Mystery / ThrillerIch sei psychisch labil, sagen sie. Sie sagen, wenn ich mich genug anstrenge, werde ich mich an alles erinnern. An die letzten zwei Jahre meines Lebens... Und an den Jungen der mich anscheinend zu kennen glaubt... Atme, Lebe, verliebe dich. Und das...