(3) Die Nervensäge ohne Gesicht.

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Ich stehe an einem weissgestrichen, hohen Gartenzaun, der mit metallenen Verzierungen bestückt ist und offenbar das dazugehörige Grundstück umgibt. Wie abgemacht, habe ich mich auf den Weg zur Adresse gemacht, welche mir der Junge auf das Ticket gekritzelt hat. Anfangs war ich noch ziemlich zuversichtlich, mittlerweile jedoch hat sich eine beklemmende Ungewissheit in mir breitgemacht, die mir die Kehle zuschnürt. Ich warte jetzt schon fünf Minuten vor dem grossen, dazugehörigen Tor. Von hier aus kann ich zwar nur hohe Bäume eine kleine Gartenanlage und einige Leuchtkörper erkennen, ich weiss aber aufgrund des Zahlenschlosses, welches an den metallenen Stäben angebracht ist, dass sich irgendwo hinter alle den Pflanzen ein Gebäude verbergen muss.

Nach einigen, tiefen Atemzügen, habe ich mich dann wenigstens weitgehend beruhigt, sodass mein Blick auf die kleine Klingel fällt, die ebenfalls am Zahlenschloss angebracht ist, ohne dass ich direkt einen Herzanfall erleide. Auf einem kleinen Metallschildchen unterhalb des Knopfes, steht der Name 'Kunz'. Hiess so nicht auch der Typ, bei dem die Party stattfindet? Ich glaube schon.

Meine Hände ballen sich langsam zu Fäusten. So reagiere ich immer, wenn ich mir Mut zureden möchte. Es ist vielleicht eine ziemlich merkwürdige Methode, aber mir hat sie schon in vielen Momenten weitergeholfen. 'Du schaffst das Marie.' Die eine Hand noch immer zur Faust geballt, Strecke ich die andere zur Klingel hin aus und drücke den schwarzen Knopf, bevor ich es mir anders überlegen kann.

Sobald mein Finger jedoch nur einen Sekundenbruchteil später auf der schwarzen Hervorhebung liegt, diese hinunterdrückt und ein kurzes, schrilles Klingeln ertönt, springe ich sofort wider zurück auf meinen vorherigen Standplatz. Mein Herz rast nur so, vor aufgestautem Adrenalin, sodass dessen lautes Pochen, den Klang meines Atems weitaus überlagert. Warum muss diese Klingel denn auch so schrill in meinen Ohren widerhallen? Ich frage mich gerade, wie deren Nachbarn diesen Lärm bloss aushalten können. Die müssen ja noch schlimmere Augenringe besitzen als ich, wenn ich drei Tage lang mit Grippe im Bett gelegen habe, bei einem so übermächtigem Schlafmangel.

"Hallo?"

Vor Schreck, lasse ich meine viel zu gross gewählte Tasche fallen, in die ich in letzter Sekunde alles überlebenswichtige herein geschmissen habe. Mein Handy, meine ID und ein grosszügig belegtes Käsebrot mit Senf, das noch vom Mittagessen übrig geblieben war. Als meine Gedanken jedoch zum Schokoladenriegel abschweifen wollen, der ebenfalls in den Tiefen meiner Tasche ruht und mir bereits das Wasser im Mund zusammenläuft, werde ich jäh aus meinen Gedanken gerissen.

"Und du bist?"

Ich habe die Stimme am anderen Ende der Leitung schon längst wider verdrängt, sodass ich wiederholend, arg zusammenzucke. Ich könnte mich gerade eigenständig für meine Schreckhaftigkeit verprügeln, genauso wie für die Worte, welche in diesem Moment meine Lippen verlassen:

"Oh Gott, oh Gott"

"Gott ist nicht eingeladen", prustet es dann vom andern Ende der Leitung belustigt los. Ich kann ein ein verärgertes Augenrollen nicht unterlassen, währenddessen ich meine Arme abwehrend vor der Brust verschränke. "Zumindest glaube ich das nicht." Einige Sekunden nach seinem krankhaft starken Lachanfall, hat er sich endlich weitgehend beruhigt, sodass ich meine Stimme erheben kann, ohne dass sein Gelächter alles übertönt.

"Schön, wenn du dich amüsierst. Aber ich würde gerne reinkommen. Hier draussen wird es nämlich langsam frisch."

"Ooh Gott ich hab doch tatsächlich zu heulen begonnen, bei deiner Aussage", ignoriert der Fremde meine indirekte Bitte gekonnt, worauf sein Gekicher sich wider verstärkt. Einen Moment lang, checke ich selbst nicht, was jetzt an der Tatsache, dass er geheult hat, so witzig sein soll, bis es mir wie Schuppen von denn Augen fällt: Er hat zu Beginn seiner Ansage den Namen Gottes selbst in den Mund genommen. Was für eine Ironie aber auch. Obschon mich diese ganze Situation total abfuckt, schleicht sich ein ungewolltes Schmunzeln auf meine Lippen. Dieses verblasst jedoch ziemlich geschwind wider, als mir bewusst wird, dass ich in nächster Zeit nicht in das warme Gebäude gelangen werde. Meine eigenen Ohren schmerzen ja schon unmenschlich stark von seiner abscheulichen Lache. Wie soll Er mich denn verstehen?

Es ist eigentlich kein Wunder, dass ich sein lautes Prusten nicht mehr allzu lange aushalte und ihn, als die glucksenden Geräusche genug stark verebbt sind, so schnell wie nur möglich unterbreche:

"Kannst du bitte mal inne halten? Ich hab hier draussen wirklich kalt."

Am anderen Ende der Leitung, kichert es noch immer ziemlich ungehemmt. Dennoch scheint es so, als hätte mich die Person hinter der Sprechanlage verstanden, die nun versucht, ihr Gelächter, so gut es eben mal geht, unter Kontrolle zu bringen. Er prustet zwar immer wider belustigt los, die Sachlage scheint sich aber trotzdem langsam zu beruhigen.

"Wenn du mir sagst, wie du heisst, lass ich dich gerne ins Haus. Scheinst echt ne coole Socke zu sein", gibt er seine Gefühle dann offen zu, als sein Lachen komplett verebbt ist und ich nur noch ein leichtes Schmunzeln in seiner Stimme wahrnehmen kann. Wenn er mich nicht bereits schamlos ausgelacht, und ich nicht schon so lange hier draussen gewartet hätte, ohne Jacke wohlgemerkt, währen meine Mundwinkel womöglich nach oben gewandert. So jedoch versuche ich mir das Lächeln möglichst gut zu verkneifen und nenne ihm mit gepresster Stimme meinen Namen:

"Marie."

"Haha witzig. Meine Tante nennt sich auch so. Eigentlich heisst sie ja Annamarie aber der Name Marie hat ihr einfach besser gefallen und deshalb..."

Ich verdrehe müde die Augen und hoffe einfach nur noch, dass sein Geschwätz schnell vorbei sein wird. Meine Neven liegen bereits jetzt blank weshalb ich mich dazu zwinge, einfach die Klappe zu halten, um ihm nicht noch mehr Gesprächsstoff zu liefern. Schlussendlich werde ich dann auch endlich mal erlöst und er stoppt seinen Monolog, über seine Tante, welcher daraus bestanden hat, was für gute Kekse sie backen würde und wie sie ich immer ihren kanariengelben Sonnenschirm aus Kindertagen mit sich herumtrage. Zusammengefasst kann man sagen, dass er über alles unnötig unwichtige geschwafelt hat, das mich keinen Deut interessiert.

"Hab ich dir eigentlich schon gesagt, dass ich mich freue, dass du auch zu dieser Feier kommen konntest?" Gott wie ich Smaltalk hasse. Wie gewisse Leute das Gefühl haben, dass es besser ist, irgendeinen Scheiss vor sich her zu labern, als einfach mal eine Minute zu schweigen. Der Typ, mit dem ich mich die letzte sei ungewollt unterhalten musste, scheint zweifelsohne auch dieser Gruppe Mensch anzugehören.

"Nep, DAS hast du mir noch nicht erzählt", gebe ich ihm möglichst kalt eine Antwort, auf seine unnötige Frage, wobei ich das "Das" extra stark betone. Er jedoch scheint von beidem keine Spur wahrzunehmen. Stattdessen brabbelt er einfach weiter:

"Ach tatsächlich? Ich dachte, das hätte ich dir bereits gesagt. Aber ist ja auch egal. Ich freue mich sehr, dass du jetzt hier bist und insbesondere auf nachmehr, wenn ich dich nachher in echt sehen kann."

Ich kneife verwirrt meine Augenbrauen zusammen, nachdem er den Satz zum Ausdruck gebracht hat, während ich mir fahrig durch die Haare fahre. Langsam wird es hier draussen wirklich kühl, insbesondere, wenn man bedenkt, dass ich zu faul war, meine Jacke anzuziehen. Obwohl: Ich habe auch nicht damit gerechnet so lange vor einem geschlossenen Tor stehen zu müssen.

"Ähh wie?", gebe ich auf seine Frage bezogen, ziemlich Idiotisch von mir, worauf ich auch sofort eine Antwort bekomme: "Wir sehen uns dann ja sicherlich oben, oder etwa nicht?."

"Doch, doch...sicher sehen wir uns", räuspere ich mich überrumpelt, wobei ich eigentlich etwas ganz anderes hätte sagen sollen:

Nein Danke, vorher lege ich mich lebendig ins Grab.

Amnesie  - atme, lebe, verliebe dich, und das alles zum 2ten Mal.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt