Kapitel 1.4

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Nachdem auch ihr Bruder seine Trainingskleidung abgelegt hatte, machte sich Celestiel gemeinsam mit ihm auf den Weg zum Versammlungsplatz. Statt die gewundene Treppe wieder hinabzusteigen, hüpften die beiden mit Leichtigkeit von der obersten Stufe den Baum hinunter und landeten sachte wie eine Feder auf dem bewachsenen Untergrund. Diese körperliche Eigenschaft machten sich die Elfen gerne zu nutzen. Die Möglichkeit sich schnell und dennoch geschickt zu bewegen, half ihnen, mit enormer Geschwindigkeit durch unebenes Terrain, wie etwa den zugewachsenen Wald, zu laufen. Auch das Fehlen der mittlerweile untergegangenen Sonne, störte sie nicht, denn ihre Augen passten sich schnell an die Dunkelheit an.

Die beiden hüpften an den Gigantenbäumen vorbei und über, aus dem Boden ragende Wurzeln, welche größer waren als sie selbst. Sogar Elfen, welche größer gebaut waren als die Menschen, wirkten in diesen alten Wäldern wie Ameisen. Es dauerte nicht lange, bis die beiden das gewünschte Ziel erreichten.

Der Versammlungsort war eine beinahe kahle Wiese inmitten der großen Bäume. Fackeln beleuchteten den sonst so kalt wirkenden Platz. Einige schlanken, hohen, mittlerweile vom Moos bewucherten Felsbrocken wurden wie Säulen ringsherum errichtet. Viele der Bewohner waren bereits erschienen und warteten angespannt auf die Ansprache des fremden Mannes aus der Hauptstadt.

Als Celestiel den Platz betrat, spürte sie das Unbehagen der Leute. Niemand wusste wie man sich auf das bevorstehende Ungewisse einstellen sollte. Auch sie bekam ein mulmiges Gefühl, wenn sie an den Grund des Erscheinens des Hauptmannes dachte. Die beiden mischten sich unter die anderen.

Celestiel ließ ihren Blick über den Platz schweifen und versuchte die Leute zu zählen. Scheinbar waren so gut wie alle Bewohner gekommen, um der Versammlung beizuwohnen. Ihre Freundin Luana konnte sie jedoch nirgendwo ausfindig machen. Die Menge unterhielt sich aufgeregt und übertönte mit ihren Gesprächen die gewohnte Stille des Waldes.

Plötzlich stockte Celestiel der Atem. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes sah sie ihn. Ein breit gebauter Elf mit eiserner Miene stand, zusammen mit einer Handvoll Soldaten an seiner Seite, abseits der Menge. Man erkannte sofort, dass er nicht von hier war. Sein fast schon arrogantes Auftreten erinnerte an das typische Verhalten der Hohen Elfen aus gutem Hause und kontrastierte mit den dagegen wild wirkenden Elfen vom Land, oder auch Waldelfen genannt. Er trug eine platinfarbene Rüstung mit goldenen Verzierungen, die seinen gesamten Körper bedeckte. Das Zeichen des Königs zierte ein großes Schild auf seinem Rücken und an seiner Seite hing ein breites Schwert, dessen bloßer Anblick Celestiel einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Mit vor der Brust verschränkten Armen, beobachtete der Hauptmann argwöhnisch die Menge.

Sie wollte sich zu Elendriel drehen und ihm was sagen, doch als sie zu ihm schaute, sah sie, dass auch er den Fremden bereits entdeckt hatte. Angespannt und mit strafendem Blick, sah er zu dem Hauptmann.

Celestiel packte ihn bei der Hand. „Beruhig dich gefälligst und mache ja keinen Aufstand", flüsterte sie ihm zu. Sie konnte spüren, wie angespannt er war. Er hasste die Männer aus der Hauptstadt und den Krieg den sie mit sich brachten.

Einer der Soldaten trat der Menge entgegen und klatschte in die Hände. „Ich bitte um Ruhe und Aufmerksamkeit", rief er.

Die Bewohner stoppten ihre Gespräche und die altbekannte Stille kehrte zurück, nur um kurz darauf wieder unterbrochen zu werden.

Der Hauptmann trat vor und nahm den Platz des Soldaten ein.

„Ich grüße euch meine Brüder und Schwestern. Mein Name ist Hauptmann Illarion und zusammen mit meinen Männern komme ich direkt aus der Hauptstadt des Reiches." Seine Stimme war kräftig und durchdrang die Menge mühelos. „Ich denke die meisten von euch werden bereits gehört haben, warum wir hier sind." Er legte eine kurze Pause ein und ließ seinen Blick über die Leute schweifen. Als er bei Celestiel ankam, spürte sie wie Elendriels Griff fester wurde.

„Wir suchen tapfere Mitstreiter, die gemeinsam mit uns unser wundervolles Reich gegen das Barbarenvolk der Menschen schützen."

Plötzlich mischte sich Elendriel ein. „Verliert ihr den Krieg, oder warum sucht ihr Leute so weit im Inland?"

Der eiskalte Blick des Hauptmannes richtete sich gegen den Störenfried. Offensichtlich hatte er versucht dieses Wort zu vermeiden, denn jetzt ging eine Unruhe durch die Menge.

„Wärst du so freundlich vorzutreten, wenn du mit mir sprichst?" forderte er Elendriel mit einem falschen Lächeln auf.

Wider scheinbaren Erwartens des Hauptmannes, schritt Celestiels Bruder an den anderen vorbei und stellte sich ihm direkt gegenüber.

Celestiel hatte versucht ihn festzuhalten, doch er stieß ihre Hand von sich. Sie spürte, wie sich die sonst schon angespannte Stimmung noch steigerte.

Elendriel holte erneut aus: „Wenn ihr euren sinnlosen Krieg nicht gewinnen könnt, warum habt ihr ihn dann überhaupt angefangen? Lasst gefälligst uns Leute aus dem Inland, die ein friedliches Leben führen, mit euren Kämpfen in Ruhe!"

Der Hauptmann wirkte sichtlich erzürnt. „Mein verwirrter Bruder", begann er mit gespielter Fürsorge, „scheinbar hast du nicht begriffen, dass wir ein Volk sind, das dank unserer Könige schon so einige Blütezeiten erfahren hat. Meinst du nicht auch, dass wir uns deshalb auch schwierigen Zeiten gemeinsam entgegenstellen sollten?"

„Diesen Krieg hat das Volk nie gewollt. Solange verrückte Könige regieren, erwartet gefälligst nicht, dass wir uns beteiligen", erwiderte Elendriel mit erhobener Stimme.

Celestiel bekam es mit der Angst zu tun, die Stimmung spitzte sich immer mehr zu und es drohte zu eskalieren. Sie versuchte sich durch die Menge zu drängen und Elendriel zurückzuziehen, doch die Bewohner standen dicht gedrängt aneinander und betrachteten gebannt das Schauspiel, welches sich vor ihnen ereignete.

Der Hauptmann schritt auf Elendriel zu und stellte sich ihm dicht gegenüber. Der Fremde war etwas größer und sah in seiner Vollmontur sehr viel furchteinflößender aus. „Habe gefälligst etwas Respekt vor seiner Majestät!", rief er.

Elendriel starrte ihm tief in die Augen und sagte mit ruhiger Stimme: „Ich spucke auf den König und das was er mit diesem Land macht."

Der Hauptmann packte ihn am Kragen und brüllte: „Das ist Hochverrat!"

Elendriel versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch der Hauptmann hielt ihn fest.

Die Menge fing nun an sich wieder in Bewegung zu setzen. Einige Rufe wurden laut, Elendriel gefälligst sofort loszulassen. Andere setzten sich in Bewegung und schritten auf den Hauptmann zu.

Auch die Soldaten, die sich bisher im Hintergrund gehalten haben, schienen jetzt nervös zu werden. Sie fassten an die Griffe ihrer Schwerter und stellten sich neben ihren Anführer.

In Celestiel machte sich Panik breit. Wie konnte das alles nur so schnell eskalieren? Sie versuchte sich an dem Gedränge vorbei durchzudrücken, um ihrem Bruder zu helfen, als auf einmal ein lauter Knall ertönte und danach alle still waren.


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