Kapitel 2.2

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Celestiel wusste nicht wo ihr Ziel lag, doch ihr Bruder lief entschlossenen Schrittes voraus. Mit seinem Tempo mitzuhalten fiel ihr schwer, doch war es nun einmal notwendig. Kurz bevor sie das Dorf verlassen hatten, kamen sie an einem Stall vorbei. Sie schnappten sich zwei der dort angebundenen Pferde und banden die anderen los. Das sollte sie vorerst vor Verfolgern schützen.

Im vollen Galopp, bahnten sie sich ihren Weg durch den finsteren Wald. Die Pferde, welche von den Elfen des Waldes gezüchtet wurden, waren darauf trainiert, sich im hohen Tempo über unebenes Terrain zu bewegen. Wie die Augen ihrer Reiter, habe sich auch ihre schnell an die Dunkelheit gewöhnt. So galoppierten sie eine Ewigkeit durch die Finsternis. Nur das sachte Licht der beiden Monde erhellte ihren Weg.

Nach etlichen Stunden, die Celestiel voller Reue und Unbehagen hinter ihrem Bruder her ritt, bat sie ihn, eine Pause einzulegen. Sie wollte nicht länger warten, dass er ihr endlich die Gründe erzählte. Immer noch stellte sich die junge Elfe die Frage, warum sie alle zurücklassen mussten.

Die beiden machten an einem Fluss halt, der sich über den noch immer währenden Wald, erstreckte. Sie stiegen von den Pferden ab und führten sie zum Trinken an das Wasser. Celestiel nahm den Beutel, den Afariel ihr so hastig gepackt hatte, vom Tier herunter und setzte sich neben Elendriel auf einen großen Stein. Seinem trüben Gesichtsausdruck und Schweigen konnte sie entnehmen, dass er ebenfalls Reue über den plötzlichen Abgang hegte.

Sie stellte den Sack zwischen ihre Beine und öffnete ihn. Mit einem kurzen Zauber, entzündete Elendriel eine Fackel und erhellte die Nacht, damit Celestiel den Inhalt des Beutels genauer inspizieren konnte. Zunächst war nichts Besonderes zu finden. Provisorisch wurde etwas, in Tücher eingewickeltes, Proviant hineingeworfen. Außerdem lag noch ganz oben die geheimnisvolle Schriftrolle, deren Wert ihr ihr Vater so ans Herz gelegt hatte. Sie nahm den Brief heraus und fühlte das dicke Papier. Er wirkte schon etwas älter und konnte seiner Größe zu urteilen, nicht kurz vor der Abreise geschrieben worden sein. Blaues Wachs wurde verwendet, um ihn zu versiegeln, doch dieses war bereits aufgebrochen worden. Das Zeichen, welches hineingedrückt worden war, hatte sie noch nie zuvor gesehen. Es sah aus, wie ein Baum, der das Zentrum des Stempelkreises einnahm. Die Krone und die Wurzeln füllten den jeweiligen oberen und unteren Teil aus. Links und rechts, des in der Mitte angeordneten Baumstammes, war je ein Schriftzeichen, aus einer Sprache, welche sie noch nie zuvor gesehen hatte. Da man das Siegel bereits geöffnet hatte, wurde ein rotes Band verwendet, um die Rolle zusammenzuhalten. Celestiel wollte dieses gerade entfernen, da erinnerte sie sich an die Worte ihres Vaters, der sie aufforderte den Brief nicht vorzeitig zu öffnen. Doch was sollte vorzeitig bedeuten? Und wann wäre denn der richtige Zeitpunkt dafür? Sie drehte sich zu Elendriel, der sich immer noch mit hängendem Kopf auf seinen Beinen stützte.

„Kannst du mir jetzt erklären, warum wir verschwinden mussten?", fragte sie ihn vorsichtig.

Er neigte seinen Kopf zur Seite und blickte auf den Brief in ihrer Hand.

„Vater konnte mir auch nicht viel mehr erklären", sprach er mit ruhiger Stimme. „Wir sollen nach Süd-Osten gehen und den Brief dem König der Zwerge bringen."

Celestiel sah ihn fassungslos an. „Das ist alles?", fauchte sie ihn an. „Wegen eines blöden Briefes, haben wir alle zurückgelassen?"

Sie starrte ungläubig auf die Schriftrolle in ihrer Hand, dann warf sie sie ihm vor die Füße und sprang auf.

„Mir reicht es, ich gehe zurück und helfe den anderen." Eifrigen Schrittes wollte sie zu ihrem Pferd stapfen, doch Elendriel griff ihren Arm.

„Warte!" Er zog sie zurück. „Der Inhalt dieses Briefes ist weitaus wichtiger, als du dir vorstellen kannst."

Ungläubig blickte sie ihm in die Augen.

„Dann sag mir doch einfach, was dort drinnen steht", forderte sie ihn verzweifelt auf.

Er schüttelte den Kopf. „Ich darf das nicht."

Sie schrie vor Wut: „Was hat Vater dir erzählt, dass ich nicht wissen darf?"

„Sei still. Sonst finden sie uns noch", zischte er in dem Versuch sie zu beruhigen.

Behutsam packte er den Brief zurück in den Beutel und drückte ihn ihr in die Hand.

„Vater hat mir Dinge erzählt, die ich aus Sorge um dich nicht sagen soll."

Mit Tränen in den Augen fing sie an zu schluchzen. „Wieso denn wegen mir?" Sie schaute ihm fragend ihn die Augen, doch er wich ihrem Blick aus.

Was hatte all das mit ihr zu tun? War sie Schuld an dem ganzen Elend?

Auf einmal durchfuhr sie ein Ruck und zuckte zusammen. Celestiel sah auf die Stelle und schrie panisch auf. Der Schaft eines Pfeiles ragte aus ihrer Schulter hervor. Mit etwas Verzögerung setzte der stechende Schmerz ein. Ihre Beine gaben nach und sie fiel auf die Knie.


CelestielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt