Kapitel 2 - Entzug

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„Rose", flüstert mein Bruder. Er sieht schrecklich aus. Er sitzt angelehnt an der Hütte und hat seine Arme über seine Beine umschlungen. „Nate, du schaffst das!", ermutige ich ihn.

Obwohl ich das hier schon mal getan habe, weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich starre nur die Bilder an der Wand an. Stille. „Scheiße ist es kalt!", höre ich aus dem Mund von einem zitternden Etwas. „Nathan was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Du haust ab, gibst dir ne Spritze und chillst dein Leben? Hast du echt jedes Mal Lust darauf einen Entzug zu machen? Ich hasse es dich so zu sehen. Ich hasse es einfach", schreie ich ohne Acht wie scheiße der Zeitpunkt gerade dafür ist. Seine Augen scheinen so leer. Sein Mund öffnet und schließt sich wieder. „Und bitte frag mich nicht danach, dir Dope zu kaufen. Ich weiß, dass du dich scheiße fühlst! Bald hört es auf", schreie ich weiter.

Ich weiß noch, was passiert ist, als er seinen letzten Entzug hatte. Er ist aus der Hütte gegangen und ging nach Hause, weil er dort noch etwas Braunes hatte. Dabei wurde er von meinem Vater erwischt. Vater und Sohn, der eine Alkoholiker und der andere Drogenabhängig. Das passt ja. Ich hatte jedoch davor sein ganzes Zimmer auseinander geräumt, um alles, was nicht gut für ihn ist, wegzuschmeißen. Ich war in dem Moment in meinem Zimmer und hörte wie mein Bruder schrie und Sachen um sich warf.

„Du musst nicht hierbleiben", meint mein Bruder plötzlich. Nicht hierbleiben? Das wünscht er sich doch, damit er einfach wieder abhauen kann. Ich werde ihn nicht noch einmal gehen lassen. Ich brauche ihn. Ich brauche ihn. Ich brauche ihn. „Du weißt schon, dass du zur Schule musst. Du wirst mich so oder so hier alleine lassen!", meckert Nate. Was soll das jetzt? Ich werde nie wissen, wie es ist abhängig zu sein und dann einen Entzug zu machen und ich will es auch nicht wissen. „Nathan noch 4 Tage und du hast schon das Gröbste überstanden, ok? Es ist eh Freitag, also habe ich genug Zeit für dich", schreie ich zurück. Nathan bleibt für eine Zeit lang still. Er hat wohl keine Kraft mehr etwas zu sagen.

Wie soll das jetzt eigentlich weiterlaufen? Soll ich hierbleiben und mich nicht vom Fleck rühren? Das geht nicht. Ich brauche Hilfe. Nathan braucht Hilfe. Nur von wem? „Kennst du jemanden, der ab und zu auf dich aufpassen kann?", frage ich. Nathan blickt zu mir hoch: „Bitte was? Wir brauchen keine Hilfe!". Von wegen wir brauchen keine Hilfe! „Erinnerst dich noch an Eddie? Natürlich erinnerst du dich. Ich frage ihn, ob er uns helfen kann, dir helfen kann. Mein Handy hat kein Akku. NATHAN MEI..", ich verstumme und stürze mich zu Nate. Er übergibt sich in eine graue Plastikschüssel und ich streiche dabei über seinen Rücken. „Ok, mein Handy liegt dort hinten. Ruf' Eddie an!", heult er. Ich greife schnell nach seinem Handy und wähle Eddies Nummer.

Eddie ist ein guter alter Freund von meinem Bruder. Ich habe ihn noch nie richtig kennenlernen dürfen, aber er weiß von Nathans Problemen und hat uns letztes Mal auch geholfen. Er ist in solchen Sachen besser, als ich und ich bin ihm echt dankbar dafür, was er alles für meinen Bruder getan hat.

Nach einer Zeit kam Eddie zu uns. „Hey", flüstert Eddie während er sich zu mir auf die Matratze setzt. Nate ist mittlerweile eingeschlafen. Ich blicke weiterhin zu Nate: „Hey". Eddie legt seine Hand auf meine Schulter. Irgendwie fühlt es sich schön an, als wäre ich nicht alleine und genau das brauche ich gerade. Obwohl ich ihn nicht so gut kenne, lehne ich meinen Kopf an seine Schulter. Dabei laufen mir heiße Träne über die Wangen, was Eddie nicht zu stören scheint. „Es wird wieder", flüstert er und spielt dabei mit meinen Haaren. Er schafft es, dass ich mich etwas beruhige. Ich fühle mich sicher. Ich fühle mich nicht mehr allein.

„Rooose", weint Nate. Ich springe auf. „Geh' zu dir nach Hause. Es ist spät. Ich mache das schon!", wirft sich Eddie dazwischen. Ich nicke. Zitternd öffne ich die Tür und laufe nach Hause. Draußen ist es etwas kühler, als ich dachte. Ich schaue zu dem Mond und schließe kurz meine Augen. Der kalte Wind trocknet meine Tränen. „Fuuuck!", schreie ich den Mond an.

Bei mir zu Hause angekommen, bleibe ich noch kurz vor der Tür stehen. Nach all dieser Scheiße habe ich vergessen, dass mein Vater leider noch existiert. Ich hoffe er ist gerade in irgendeiner Bar und sauft sich in den Tod. Langsam öffne ich die Haustür und schleiche hoch. „Rosita!", mein Vater packt mich am Arm. Ich schlucke schwer und drehe mich um: „Dad. Du. Tust. Mir. Weh!" Er starrt mich nur mit diesem hassverzerrten Blick an und flucht: „Du kleine verzogene Schlampe! Wo bist du nur geblieben? Ich habe auf dich stundenlang gewartet!", ich versuche mich von seinem Griff zu befreien, doch er zieht mich zurück und redet weiter, „Nein, du entkommst mir jetzt nicht so schnell! Mit wem warst du weg? Mit einem Jungen?". Ich reiße seinen Arm von meinem und renne weiter hoch, mein Vater mir hinterher. „Lass mich in Ruhe!", brülle ich und knalle die Tür hinter mir zu. Wo ist nur der Schlüssel? Wo ist der verfickte Schlüssel? Ich entdecke ihn auf meinem Schreibtisch, schnappe nach ihm und schließe schnell ab. „Ahhh, so machst du das jetzt, Kleine. Du versteckst dich vor mir statt mit mir zu reden! Glaub ja nicht, dass ich je noch etwas für dich machen werde, du undankbares Stück Scheiße!", schimpft dad. Als ob er, seit meine Mutter tot ist, auch nur eine Kleinigkeit für mich gemacht hat.

Ich lade mein Handy, ziehe mich um und lege mich ins Bett. In das Badezimmer komme ich jetzt schlecht. Ich starre an die Decke, als plötzlich mein Handy klingelt: Nathan. Ich gehe schnell dran: „Hey, was ist los?". „Nate geht es schlechter, aber er schafft das schon. Ich wollte nur wissen, ob du gut zu Hause angekommen bist", höre ich Eddie an Nathans Handy sagen. Ich lächele. „Ja, es ist alles gut", lüge ich, aber das muss er ja nicht wissen. „Ok, schlaf schön Rose", flüstert er in den Hörer und legt auf. Ich lege mein Handy beiseite und starre wieder an die Decke. Wieso ist er so nett zu mir? Er kennt mich doch gar nicht! Wie kann man überhaupt freiwillig in der Nähe von meiner Familie sein wollen? Wir haben viel zu viele Probleme. Wir sind alle am Arsch. Wir haben eine scheiß Zukunft vor uns und er? Er hilft meinem Bruder und ist nett zu mir. Er ist zu gut für die Welt. Nach einer langen Zeit schlafe ich dann endlich ein.

Es tut mir Leid, dass ich keinen Prolog gepostet habe.
Ich hoffe euch gefällt die Geschichte und ich freue mich über Feedback :).

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