Es zerreißt mir das Herz

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Fünf Tage später öffnete Elyas seine Wohnungstür und Seda ging schweigend mit langsam Schritten in seine Wohnung. Ihre Augen waren geschwollen und rot angelaufen. Mit schmerzverzehrtem Gesicht setzte sie sich auf das Sofa und guckte sich in Elyas' Wohnung um und bemerkte, dass etwas fehlte: die bunte Wiege, der er so stolz in sein Wohnzimmer gestellt hatte. Die aber hatte er schon lange vor ihrer Ankunft weinend abgebaut und auf dem Dachboden verstaut, jedoch mit einer kleinen Hoffnung, dass er sie irgendwann wieder aufbauen würde. Sie blieb still und zog sich die Decke über ihre Beine. Ihr war kalt, obwohl Elyas die Wohnung auf 23 Grad warm geheizt hatte. Es war, als ob sich in ihrer Seele eine eisige Kühle ausgebreitet hatte und diese nicht verschwinden wollte.

Elyas setzte sich zu ihr, streichelte ihren Arm und fragte: „Soll ich dir noch irgendetwas aus deiner Wohnung holen?" Seda schüttelte den Kopf und bewegte ihre Mundwinkel leicht nach oben, aber zu einem Lächeln schafften sie es nicht. Er versuchte es weiter: „Brauchst du sonst irgendwas? Soll ich noch etwas einkaufen?" Dieses Mal überlegte sie, schüttelte dann aber wieder den Kopf und sprach mit einer leisen Stimme: „Nein, außer meinem Baby brauche ich nichts." Diese Worten versetzten ihm einen derart starken Stich in seinem Herzen, dass er kurz zusammenzuckte. Er küsste sie liebevoll auf die Schläfe und hielt sie lange im Arm. Mit Tränen in den Augen guckte er sie an und strich über ihre Haare. Es gab keine Worte, die er ihr sagen konnte um ihren Schmerz zu lindern. Er konnte einfach nur für sie da sein und zum Glück war das auch möglich, da er in den nächsten Wochen kaum Termine hatte.

Am Abend saß Seda noch immer auf dem Sofa und starrte in Richtung Fernseher, doch was dort im TV kam, sah sie nicht. Immer wieder erschienen die Ultraschallbilder ihrer Tochter vor ihrem inneren Auge und sie versuchte sich vorzustellen, wie sie wirklich ausgesehen hatte. Plötzlich wurde sie von Elyas aus den Gedanken gerissen, als er ihr einen Teller mit Nudeln und Scampi vor die Nase hielt. Sie guckte ihn überrascht an und er lächelte leicht: „Guck mal, das habe ich extra für dich gekocht. Ich bin nämlich auch kein schlechter Koch!" Sie bedankte sich, nahm den Teller entgegen und guckte skeptisch auf das Essen. Es roch zwar absolut köstlich und war sogar wunderschön dekoriert, aber sie hatte das Gefühl, dass sie keinen einzigen Bissen runterkriegen würde. Sie stocherte in den Nudeln herum und er guckte sie etwas enttäuscht an: „Magst du es nicht?" Sie seufzte: „Es schmeckt bestimmt ganz toll, aber ich habe keinen Hunger. Es tut mir Leid!" Er konterte sofort: „Seda, ich kann verstehen, dass du den Fraß im Krankenhaus nicht gegessen hast, aber du musst jetzt etwas essen. Du siehst blass und krank aus. Du musst dich erholen, körperlich UND seelisch!" Sie schluckte, atmete tief ein und aß schweigend einen Scampi. Sie lachte kurz auf und Elyas guckte sie verwirrt an. Sie schaffte es zu einem Grinsen und meinte: „Das ist wirklich verdammt lecker! Wo hast du so kochen gelernt?" Er zuckte mit den Schultern: „Nirgendwo, ich probiere halt immer irgendwas aus."

In den nächsten Tagen bekochte Elyas sie täglich mit den leckersten Gerichten und sie tat ihm den Gefallen, auch immer etwas davon zu essen. Doch ihr Gemütszustand änderte sich nicht und oft saß sie schweigend und in die Luft starrend auf dem Sofa. Schon immer hatte sie sich Kinder gewünscht und mit diesem Baby hatte sie sich einen jahrelangen Wunsch erfüllt und sie konnte den Verlust einfach nicht verkraften. Zwar gab ihr Elyas Halt und wenn sie sich abends in seine Arme kuschelte, fühlte sie sich geborgen, aber im Inneren war sie dennoch leer. Es war an einem dieser Nachmittage, wo sie schweigend trauerte, als Elyas zu ihr kam und sie aus ihrer Trance riss, als er fragte: „Ich gehe für ein paar Stunden zu unserem Restaurant um zu gucken, was wir an Möbeln noch brauchen. Kommst du mit?" Sie guckte ihn irritiert an: „Was soll ich da? Ich habe doch keine Ahnung davon." Er ließ frustriert die Schultern hängen und sagte: „Du sollst einfach mal rauskommen, etwas machen, irgendetwas. Du sitzt den ganzen Tag in der Wohnung und bist in deinen Gedanken verschwunden. Das wird dir nicht helfen!" Seda guckte ihn mit schiefem Kopf und ernsten Blick an: „Ich möchte niemanden sehen. Ich will mir nicht anhören müssen, wie fremde Leute zu mir sagen, wie Leid es ihnen tut. Die wissen doch nicht, wie ich mich fühle oder was ich durchmache." Er rieb sich das Gesicht, streichelte ihr Knie und sagte: „OK, OK. Aber wie wäre es, wenn wir morgen nur zu zweit irgendwo hingehen? Es soll schön warm werden, wir könnten ein Picknick an der Isar machen. Bitte!" Sie rollte leicht genervt mit den Augen und sofort sprach er weiter: „Ich will, dass es dir wieder gut geht! Ich liebe dich so sehr und ich will dich nicht so sehen. Es zerreißt mir das Herz!" Sie strich sich nervös durch die Haare und guckte ihn danach an. Sie sah seine dunklen ehrlichen Augen, die ihr zeigten, dass sie für ihn das Wichtigste auf der Welt war und sie konnte nichts anderes tun, als zu nicken. Er küsste sie liebevoll, verabschiedete sich von ihr und versprach, dass er vor 20.00 Uhr zurück sein würde.

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