Die war hübsch

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Die Wochen vergingen und Elyas fiel in sein altes Schema zurück: Ab und zu hatte er einen One Night Stand, aber keine Frau erschien ihm gut genug um sie auch nur ein bisschen näher kennen zu lernen. Er glaubte an die Liebe auf den ersten Blick und wenn er nicht sofort etwas spürte, reichte die Frau gerade mal für eine Nacht im Hotel. Die Nummern wurden nicht ausgetauscht und somit waren die Frauen auch schnell wieder vergessen und konnten ihn nicht nerven.

Es war an einem Samstag im Hochsommer und die Sonne knallte auf das schöne München hinunter. Tausende von Touristen waren in der Stadt und auch Elyas, sein Bruder Joseph und Lu trafen sich auf ein Bier im Englischen Garten. Elyas' gute Laune und Humor waren zum Glück wieder gekehrt und er genoss jede Sekunde diesen heißen Sommertages. Plötzlich klingelte Lus Handy und mit einem „Tolle Idee!" legte er nur wenige Minuten später wieder auf. Er klärte die anderen sofort auf: „Jona und seine Freundin wollen in ihrer neuen Wohnung und dazu gehörigen Garten eine Grillparty schmeißen. Wir sollen gleich hinfahren und im Supermarkt dort noch ein bisschen Fleisch und Bier kaufen." Sofort hatte Elyas einen Einwand: „Die wohnen doch jetzt mega weit außerhalb, oder? Wie sollen wir denn da hinkommen? Auto fahren will ich nach 2 Bier auch nicht mehr." Joseph lachte: „Mann Elyas, in der U-Bahn sind es gerade mal 20 Minuten." Aber der große Bruder schüttelte energisch den Kopf: „Ich fahre nicht mit der U-Bahn, da komme ich ja nicht mehr lebend raus, wenn mich einer erkennt. Die Teenies flippen in letzter Zeit total aus, wenn die mich sehen. Ich kriege schon Platzangst, wenn ich daran denke." Lu konterte: „Hab dich nicht so. Wir stellen uns einfach vor dich und mit Brille und Basecap wirst du sowieso nicht so schnell erkannt. Komm, trink aus, wir machen uns los." Etwas willenlos tat er wie befohlen und trank die letzten Schlucke hastig hinunter.

Die U-Bahn war voll und sofort quetsche sich Elyas in eine Ecke und Joseph und Lu stellten sich wie abgemacht vor ihn. Elyas hatte sogar Angst, zu laut an dem Gespräch teilzunehmen, da die Teenies ja die Stimme von Zeki Müller erkennen könnten. Umso weiter auswärts sie kamen, desto leerer wurde die Bahn, aber noch immer stand Elyas zusammengekauert in der Ecke. Als die Bahn erneut hielt, sah er wie eine junge dunkelhaarige Frau im Rollstuhl mit einem kleinen Mädchen auf dem Schoß versuchte, den Knopf zu erreichen, der die Türen öffnete. Sofort meldete sich der Gentleman in ihm und er kam aus seiner Ecke hervor um hilfsbereit auf den Knopf zu drücken. Die Frau bedankte sich lächelnd und schob die Räder an um herauszufahren. Doch genau in diesem Moment fiel der Teddy des Mädchens nach unten. Die Kleine sprang sofort vom Schoss der Mutter, während sie schon über die Türschwelle fuhr. Das Mädchen rannte zurück in die Bahn, griff nach dem Teddy. Ihre Mutter rief erschrocken: „Laura, komm sofort hierher!" Aber bevor die Frau sich mit ihrem Rollstuhl umdrehen konnte um nach ihrer Tochter zu greifen, ertönte das Geräusch der piependen Türen und sie schlossen sich. Hastig drückte Elyas noch mehrmals auf den Knopf um die Türen wieder zu öffnen, doch die waren bereits verriegelt und langsam fuhr die Bahn ab. Draußen sah man eine geschockte Mutter, die vor Angst zu sterben schien und drinnen war ein kleines Mädchen, was unbeholfen zuguckte, wie sich die Bahn von ihrer Mama weg bewegte. Sofort reagierte Lu, stürzte an eines der Fenster und rief so laut er konnte der Frau zu: „Bleiben Sie hier! Wir bringen die Kleine zurück!" In dem Moment brach das Mädchen auch schon in Tränen aus und Elyas kniete sich zu ihr hin und strich ihr vorsichtig über ihre Haare: „Hey, nicht weinen. Wir fahren gleich zurück zu deiner Mama! Dir passiert nichts. Wir passen auf dich auf. Laura heißt du, oder?" Mit einem tränen überströmten Gesicht nickte das kleine Mädchen und hielt die Arme nach oben. Elyas runzelte die Stirn: „Was? Ich soll dich auf den Arm nehmen?" Wieder nickte die Kleine und er nahm sie sofort nach oben und wiegte sie vorsichtig hin und her.

Es dauerte nur wenige Minuten und die drei Männer waren mit der Kleinen bereits umgestiegen um in die Gegenrichtung zu fahren. Das Mädchen hielt sich an Elyas' Schultern fest und guckte zwar etwas skeptisch, hatte aber inzwischen aufgehört zu weinen. Er lächelte sie an und für einen Moment erwiderte sie sein Lächeln, was sein Herz zum Schmelzen brachte. Genau das war es, was er für sich selbst wollte: Ein Kind, was sich freute, bei ihm zu sein und sich in seinen Armen sicher fühlte. Als sich die Türen abermals öffneten, stand die Frau mit Tränen der Angst auf dem Bahnsteig und observierte genau jeden Wagon. Als sie die Männer sah, wie sie mit ihrer Tochter auf dem Arm ausstiegen, fuhr sie sofort in die Richtung und rief schon vom Weiten: „Oh Gott, ich bin Ihnen so dankbar." Elyas setzte die Kleine vorsichtig auf den Schoss ihrer Mutter und diese umarmte und küsste sie heftig. Noch immer flossen die Tränen der Frau und sie schluchzte: „Ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte. Das hat sie vorher noch nie gemacht, sie hört sonst so gut." Elyas lächelte: „Kein Problem, gern geschehen. Passen Sie gut auf ihr Mädchen auf. Die Familie ist das Wichtigste, was man hat." Die Frau wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und nickte: „Das mache ich. Kann ich irgendwas für Sie tun?" Sofort schüttelte Elyas den Kopf: „Ach Quatsch. Soll ich vielleicht Sie noch nach oben begleiten?" Die Frau lächelte: „Nein, nicht nötig, der Fahrstuhl ist doch gleich hier vorne. Vielen Dank noch einmal!" Sie streckte ihre Hand aus und er nahm sie entgegen und drückte sie vorsichtig. Sie war warm und voller Gefühl. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, aber dann kam schon die nächste Bahn angefahren, in die er mit Lu und Joseph einstieg um zu Jona zu fahren. Als die Bahn anrollte, meinte Lu: „Die war hübsch! Schade, dass sie im Rollstuhl sitzt." Elyas schluckte kurz und nickte zustimmend und in seinem Gedanken spürte er noch immer ihre zarten Finger in seiner Hand und er fragte sich, ob es möglich war, sich in eine Frau im Rollstuhl zu verlieben...


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