Siebenundzwanzig - Silas

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"Oh verdammt", fluchte Reykja, als sie die völlig weggetretene Fey bemerkte. Sie wedelte mit der Hand und die Musik verstummte. "Fey, hey, Fey... Alles ist gut, du bist in Sicherheit", redete sie auf ihre Freundin ein. Sie blickte sich um und pfiff dann einmal kurz. Ein flauschiger Hund kam ins Zimmer gestürmt. Vorsicht stupste er Fey mit der Nase an. Und tatsächlich trat langsam wieder Leben in ihre Augen. "Fey, das ist Vinur, dein Hund. Gutes Timing, um ihn kennzulernen, oder?", erklärte ihr Reykja. Fey nickte langsam. "Ray hat davon erzählt", murmelte sie matt und kraulte den Hund hinter den Ohren. "Vinur ist isländisch für Freund. Genau das soll er nämlich sein, habe ich mir gedacht... Lernt euch erstmal kennen...", entschied Reykja und verließ das Zimmer. Ich blieb verunsichert sitzen. Sollte ich Fey wirklich allein lassen? Andererseits wirkte sie mit Vinur ganz zufrieden und ich wollte die Gelegenheit nutzen, mit meinem Vater zu telefonieren. Langsam erhob ich mich und verließ ebenfalls das Wohnzimmer.

Im Flur traf ich wieder auf Reykja. "Wo kann ich hier denn telefonieren?", fragte ich sie. "Oben, da ist auch das Netz besser. Ich zeige dir dein Zimmer", entgegnete sie und ich folgte ihr durch das kleine Haus. Sie öffnete eine Tür und ließ mich allein. Das Zimmerchen war einladend und gemütlich. Ich setzte mich aufs Bett und startete einen Videoanruf. Mein Vater nahm tatsächlich persönlich ab, normalerweise landete ich immer zuerst bei seinem Assistenten. "Wie geht es dir, mein Sohn? Haben sie dir einen guten Partner zugeteilt?", begrüßte er mich. Ich nickte leicht. "Fey Monroe. Ich glaube, wir verstehen uns ganz gut. Sie ist ziemlich brillant, dabei aber leider auch ziemlich unberechenbar...", erklärte ich. "Die Tochter von Christopher Monroe? Also eine Heilerin? Das ist doch gut. Dann ist sie ein ehrenwertes Mitglied unseres Rudels",stellte er fest. Ich nickte abermals. Wenn mein Vater nicht auf dem Schirm hatte, das Fey eine Hybridin war, wollte ich es ihm auch nicht auf die Nase binden. "Silas, wo bist du gerade?", wollte er plötzlich wissen und starrte an mir vorbei ins Zimmer. "Island, wieso?", wunderte ich mich. "Bist du bei Reykja zu Hause?", fragte er angespannt. "Ja, sie hat mir erzählt, dass ihr euch kennt. Was ist denn mit ihr?", entgegnete ich verwirrt. Mein Vater schwieg einen Moment nachdenklich. "Kennen ist gut...", murmelte er dann mehr zu sich als am mich gewandt. Ich schaute ihn weiterhin fragend an. "Wir standen uns früher mal sehr nahe. In den Fünfzigern...", erzählte er mir, was ich ohnehin schon wusste. Ich nickte zustimmend. "Hat sie erzählt und uns sogar ein altes Foto von euch beiden und diesem Krystian gezeigt ", erklärte ich. Ein freudloses Lachen glitt über das Gesicht meines Vaters. "Hat sie dir auch erzählt, wie nahe wir uns wirklich standen?", wollte er tonlos wissen. Ich runzelte die Stirn. Mein Vater war selten so gesprächig unterwegs. "Sie war meine erste Liebe... Ich wollte sie sogar heiraten, aber meine Eltern waren strikt dagegen. Eine Magierin an der Spitze eines Lycaner-Rudels? Bei allen Göttern, das würde ja auch heute noch Ärger geben. Nicht auszudenken, wenn der Erbe oder die Erbin kein Lycaner mehr gewesen wäre. Ich habe zu lange überlegt und als ich mich gegen meine Familie, gegen das Rudel und für sie entschieden habe, hatte sie sich schon für Krystian entschieden... Sie hat mir damals das Herz gebrochen... Und dann hat Krystian uns verraten. Und das Bittere an der Sache ist, dass sie rein rechtlich immer noch mit ihm verheiratet ist weil er sich seit der Erfindung der Scheidung weigert, die verdammten Papiere zu unterzeichnen... Naja, auch egal. Soll ich deiner Mutter schöne Grüße bestellen?", wechselte er abrupt das Thema. Ich nickte leicht verwirrt. "Na dann, die Arbeit ruft, passt auf euch auf", verabschiedete er sich und beendete das Telefonat.

"Das war der größte Fehler meines Lebens", meldete sich plötzlich Reykja zu Wort. Mir fiel vor Schreck mein Handy aus der Hand. Die Magierin lehnte mit einem Stapel Handtücher im Türrahmen. "Tut mir leid, dass ich euch belauscht habe", entschuldigte sie sich, während ich versuchte, meinen Puls wieder zu beruhigen. "Das ich mich damals gegen Will entschieden habe, war der größte Fehler, den ich machen konnte. Ich habe geglaubt, ich müsste ihn beschützen...", fuhr sie fort und setze sich neben mich aufs Bett. "Ich habe Krystian geliebt, aber nicht auf die Art, auf die ich Will geliebt habe... Ich habe ihn überhaupt nur geheiratet, weil ich der Meinung war, dass ich Will am Besten beschütze, indem ich ihm das Herz breche... Ich wollte nicht, dass er meinetwegen seine Familie, sein Rudel, seinen Weg aufgibt. Will war dafür geboren, Alpha zu sein. Er war dafür geboren, sein Rudel zu führen. Er wäre ohne all das zerbrochen...", erzählte sie nachdenklich. Ich überlegte einen Moment. "Das war nicht deine Entscheidung, die Entscheidung zwischen dir und dem Rudel. Das war Dads Entscheidung", stellte ich fest. Reykja nickte. "Ja, das weiß ich mittlerweile auch. Will hatte sich damals für mich entschieden. Das hätte ich akzeptieren sollen. Wir hätten einen Weg gefunden. Irgendwie. Ich sagte ja schon, dass das der Fehler meines Lebens war", stimmte sie mir traurig zu. "Hast du Dad je davon erzählt? Hast du ihm je erklärt, warum du ihm das Herz gebrochen hast?", wollte ich wissen und konnte mir die Antwort schon denken. Reykja schüttelte den Kopf. "Sag's ihm", forderte ich sie auf. Die Magierin runzelte die Stirn. "Ich habe deinen Vater das letzte Mal gesehen, als er vor 25 Jahren deine Mutter geheiratet hat. Er hat jetzt ein Leben. Das ist nicht der Moment, alte Geschichten auszupacken", widersprach sie. "Sag's ihm", wiederholte ich. "Er verdient die Wahrheit. Er hat meine Mutter nur geheiratet, weil er es musste. Er hat das Recht zu wissen, warum die Dinge damals passiert sind, wie sie passiert sind", ergänzte ich. Reykja wirkte nicht überzeugt. "Sag's Ihm", bat ich nochmals.

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