Oli ging mir so langsam auf die Nerven. Mein Gefangener gab sich reichlich Mühe, Fey schlecht zu machen. Wahrscheinlich sagte er all diese Dinge nur, um vor sich selbst zu rechtfertigen, was er ihr angetan hatte. "Du hast sie geliebt", stellte ich fest. Oli hielt mitten im palavern inne. "Wer könnte ein Monster lieben?", wollte er von mir wissen. "Du hat wohl noch nie einen Teeniefilm gesehen. Aber das meinte ich auch nicht. Ich habe nicht gesagt, dass du in sie verknallt warst, sondern das du sie geliebt hast. Nicht auf diese romantische Teeniefilm Art, sondern anders. Sie war deine beste Freundin. Sie war deine Familie und jetzt machst du sie schlecht, weil du nicht mit dem klar kommst, was du ihr angetan hast", erklärte ich. Oli sah mich einen Moment lang stumm an. Dann lachte er. "Klein Lycaon, der Menschenkenner", spottete er. "Liege ich denn falsch?", wollte ich wissen und hielt seinen Blick fest. Er hielt mir stand. "Manchmal lieben wir Menschen, obwohl wir wissen, dass sie es nicht verdienen. Also, rufen wir uns in Erinnerung, wer sie wirklich sind und dann können wir das Richtige tun...", Sein Blick schweife zu einem weit entfernten Ort ab.
"Fey würde sagen, alte Gefühle sind wie gebrochene Knochen. Selbst wenn alles verheilt ist, bleibt etwas zurück. Ein Knochen erinnert sich an jeden Bruch und selbst Dinge, die wir nicht mehr empfinden, sind in unseren Köpfen abgespeichert", sinnierte er. "Hat dir Fey mal erzählt, warum sie es hasst, Knochen zu heilen, die schon einmal gebrochen waren?", wollte er von mir wissen. Ich hatte noch nicht einmal gewusst, dass Fey nicht gerne Knochen heilte, die schon einmal gebrochen gewesen waren. "Nein? Ein Knochen erinnert sich. Stell dir vor, du bist als Kind mal vom Fahrrad gefallen und hast dir den Arm gebrochen. Die Verletzung ist seit Jahren verheilt. Du hast sie vielleicht sogar vergessen. Dann brichst du dir nochmal den gleichen Arm und Fey oder irgendjemand anderes mit Heilkräften will dich heilen. Sobald dein Knochen mit Magie in Kontakt kommt, werdet ihr beide deinen Sturz mit dem Fahrrad wieder erleben... ", erzählte er. Ich erinnerte mich, wie Fey zusammengezuckt war, als sie Olis Handgelenk geheilt hatte. Was hatte sie gesehen? "ist sie deswegen zusammengezuckt? Als sie dein Handgelenk geheilt hat?", fragte ich zögerlich. Wollte ich die Antwort wirklich wissen? Würde er sie mir überhaupt geben?
"Ja. Fey kennt eigentlich jeden Bruch, den ich je hatte. Nachdem Pax und Rafiki bei OKÜP eingebrochen sind, um sie mitzunehmen, waren meine Vorgesetzten darüber nicht gerade erfreut. Wir bei OKÜP glauben an den Nutzen von körperlicher Bestrafung... Die Auswirkungen davon hat sie gesehen", antwortete er und wieder glaubte ich ihm. In diesem Moment polterte es im Nebenraum. Oli und ich erstarrten. Dann sprang ich auf und hielt ihm den Mund zu, bevor er anfangen konnte zu brüllen. Ich hielt unwillkürlich die Luft an, als es an der Tür klopfte und atmete erleichtert aus, als Lillith ihren roten Lockenkopf herein streckte und mich fröhlich angrinste. "Euer Datenvampir hat uns die Adresse gegeben... Netter Typ... Die Morrigan würde ihn trotzdem hassen", begrüßte sie mich. Wer zur Hölle war Morrigan? Oli hingegen hatte ganz offensichtlich Angst vor Lillith.
"Und wer ist das? Ist das nicht der, den ich nach dem toten Werwolf fragen sollte?", wollte sie wissen und richtete ihre vielfarbigen Augen auf Oli. "Ja. Das ist Oliver Mendacis, einer der OKÜP Faschos, von denen wir glauben, dass sie für den Tod der Werwölfe mitverantwortlich sind", antwortete ich. "Was war nochmal OKÜP?", fragte Adam aus dem Nebenzimmer und schob den Kopf durch die Tür. "Organisationen zur Kontrolle übernatürlicher Phänomene", zischte Oli zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, obwohl ihm die unsterblichen Besucher ganz eindeutig Angst einjagten. "Wo ist eigentlich Fey?", wollte Lillith wissen. Als hätte er auf ein unsichtbares Stichwort gewartet, meldete sich in diesem Moment Levi über den Knopf im Ohr. "Silas. Fey hat ihre Kommunikation abgestellt. Ich glaube, sie ist auf dem Weg zu Harris. Aber vorher will sie zu Leyla und ihren Wölfen. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache", informierte er mich.
"Ist Fey wieder auf Mordmission?", fragte Oli überraschend treffend und behielt dabei Lillith und Adam im Auge. Ich setzte meine unsterblichen Freunde in Kenntnis. Die beiden tauschten einen Blick. "Adam wird sie suchen. Zeit, dass der Schutzengel mal seine Flügel nutzt", entschied Lillith. "Könnt ihr nicht teleportieren? Ich will auch mit. Vielleicht erreiche ich sie ja", bat ich. Lillith schüttelte leicht den Kopf. "Wir haben keine Ahnung, wo sie ist. Teleportieren wäre zwecklos und wenn Adam mit dir zusammen fliegt ist er zu langsam. Du und ich passen auf euren Gefangenen auf", erklärte sie. "Warum ausgerechnet Adam?", wollte ich wissen. "Weil ich mich nicht einmischen darf. Adam ist ein Schutzengel, er darf in den Lauf der Dinge eingreifen, um zum Beispiel Leben zu retten, ohne dass sich Tanathos oder die Erzengel oder sonst wer darüber beschweren", antwortete sie ruhig. "Also ist das eine ihrer Killeraktionen. Sie wird sich mit den Werwölfen verbünden, um Harris zu erledigen. Mit erledigen meine ich, dass die ihn zerfetzen werden", ergriff Oli wieder das Wort. "Warum sollte sie so einen Hass auf Harris haben? Und warum sich mit Leyla verbünden? Die beiden können sich nicht einmal leiden?", entgegnete ich. "Weil Harris die gottverdammten Befehle gibt. Harris hat mich rekrutiert. Harris hat Feys Entführung geplant und er hat ihre Folter befohlen. Fey ist nicht dumm. Sie hat den Schatten aus dem Hintergrund wiedererkannt. Und sie ist nicht nachtragend. Sie weiß, dass sie die Wölfe braucht, also verbündet sie sich mit ihnen", fuhr mich der Junge auf dem Stuhl an, zuckte aber zusammen, sobald Lillith ihn auch nur ansah. "Harris will das Übernatürliche nicht nur auslöschen. Er ist besessen davon, es unter seine Kontrolle bringen. Das heißt aber nicht, dass er gnädig wäre. Er hat Mittel und Waffen, mit denen er Fey, die Werwölfe und alle im Umkreis von 600m vernichten kann. Und er wird sie einsetzen. Sie werden alle mit dem Leben bezahlen", fuhr er fort. Warum erzählte er uns das alles? Aus Schadenfreude? Oder weil ihm Feys Leben doch am Herzen lag?
--- Was glaubt ihr, warum erzählt Oli das alles? Ich freue mich wie immer über Feedback und nächste Woche geht es aus Feys Sicht weiter ---
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Fearless
Fantasy©2019 Als Silas Lycaon, seines zeichnens Sohn des obersten Europäischen Lycaners, in die Zentrale des übernatürlichen Geheimdienstes Venandi kommt, braucht er eine zuallererst eine Partnerin. Die Wahl fällt auf die traumatisierte Lycanerin Fey, d...