Glück Auf.

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Der Herbst zieht ein und wo die letzten Wochen angenehm warm und trocken waren, sind jetzt Regen und empfindliche Kälte an der Tagesordnung.

Es ist dunkel, wenn ich mich morgens auf den Weg in die Schule mache, es ist dunkel, wenn ich am Nachmittag nachhause komme.
Mir macht das nichts aus. Ich schlafe besser, wenn ich nachts das monotone Prasseln der Regentropfen an mein Fenster höre. Stetig und beruhigend.
„Es gibt kein schlechtes Wetter, wer das behauptet, ist nur falsch angezogen.", sagt Mum, als ich eines Tages nachhause komme und mir das Haar krause und feucht ins Gesicht hängt.
Trotz, dass das Wetter zur Rückkehr meiner Grippe einlädt, fühle ich mich hervorragend. Weder ist das Fieber zurückgekommen, noch hatte ich eine weitere Halluzination. Mittlerweile sind die Geschehnisse zur Halloween-Nacht so verschwommen, dass ich kaum Gedanken daran verschwende. Sie scheinen mir mehr wie ein seltsam abstrakter Traum.
Der Donnerstag ist der erste Tag, an dem das Wetter etwas aufklart. Zwar ist die Luft weiterhin nasskalt, aber der Himmel ist unverdeckt und blau.

Zur Freude aller entfällt der heutige Unterricht, denn es geht auf einen schulischen Ausflug in ein altes Bergwerksmuseum, das sich ungefähr eine Stunde von Tiefenbach entfernt befindet und laut meiner Geschichtslehrerin Frau Hoffmann einen wunderbaren Einblick in die GEschichte der Industrialisierung. bildet. Nicht, dass ich Bergwerke sonderlich interessant finde, aber wirklich alles ist angenehmer als die vier Stunden Mathematik und Stockastik, die donnerstags normalerweise auf meinem Unterrichtsplan stehen.
„Ich hab totale Platzangst, Frau Hoffmann! Muss ich wirklich mit??" Sarinas quieckige Stimme dringt bis zu meinem Platz ganz hinten im Reisebus und Nina stößt mich an und verdreht die Augen.

„Es nennt sich Klaustrophobie, Sarina. Platzangst ist die Angst vor öffentlichen Plätzen. Gerade dir wird eine kleine Exkursion auf den Pfaden der Bergbaugeschichte nicht schaden, meine Liebe." Frau Wolf wirkt derart genervt, dass sich Sarina, die eigentlich nie um eine freche Antwort verlegen ist, eine Antwort verkneift und sich zu ihren kichernden Freundinnen gesellt.

„Stell dir mal unser Püppchen vor, wie sie Kohle schaufelt und sich dabei womöglich noch einen teuer manikürten Nagel abbricht. Ein Bild für die Götter!". Nina grinst. „Vielleicht stürzt nachher einer der Stollen ein und sie wird verschüttet. Hoffen darf man ja noch!"
Wir werden in kleine Gruppen eingeteilt, die aus jeweils fünf Personen bestehen. Mit Nina, Alexa, Katrin, Franzi und Bahar, zwei Mädchen, mit denen ich in meiner ganzen Schullaufbahn noch kein Wort gewechselt habe, betreten wir als letzte Gruppe das riesige Museum.

Besucherbergwerk Teufelstal, aktiv in den Jahren 1843 bis 1916.

„Wer da will ein Bergmann sein.

er muss ohne Angst und Pein

in die Grube fahren

und hingegen reich Metall

aus der Erde schlagen."

prangt in riesigen Lettern über dem Eingang.

Im Gebäude stehen eine Menge Glasschaukästen mit so Dingen wie rostigen alten Spaten und Schaufeln. Frau Hoffmann ist ganz in ihrem Element und erzählt von den Zeiten des Kohleabbaus.
Schon nach einer Viertelstunde lässt die Konzentration der meisten Schüler merklich nach. „Wann können wir in die Stollen runter?", fragt Finn, ein strohblonder Junge, der im Unterricht quer hinter mir sitzt.
Frau Hoffmann seufzt. „Kinder, wir sind nicht auf einem Abenteuerspielplatz, sondern zum Lernen hier. Die nächste Schulaufgabe wird es euch danken."
Nach einer weiteren halben Stunde Erläuterungen der Geschichte über längst vergangene Bergwerkstage geht es dann doch abwärts.
Eine sehr lange, steinerne Treppe führt weit nach unten, bis hin zu einer riesigen Tür mit eingravierten, altdeutschen Lettern.
Jedem von uns wird ein weißer Helm mit eingebauter Stirnlampe ausgeteilt. „Falls einer der Schächte zusammenbricht", kommentiert der schmale, grauhaarige Mann, der uns durch das Werk leiten wird, fröhlich.

„Kann das echt passieren?", quietscht eine von Sarinas Freundinnen mit panischer Stimme.

„Keine Sorge, die Stollen wurden größtenteils restauriert und sind überwiegend absolut sicher begehbar.", erwidert der Mann. „Solange die Gruppe zusammenbleibt und keine unerlaubten Ausflüge in den alten Teil des Bergwerks unternimmt, passiert nichts."
Sobald wir in den Tunnel eintreten, wird die Temperatur empfindlich kühler. Wo es draußen durch den wolkenlosen Himmel und die strahlende Sonne mindestens 15 Grad hatte, hat es hier drin vielleicht 5°.
Ich bin froh, die dicke Regenjacke angezogen zu haben, die innen gefüttert ist und in dem schwach erleuchteten, grauen Gang wohlige Wärme schenkt.
An den steinernen Wänden hängen alle paar Meter nackte Lampen, die das Ganze in ein dämmriges, gelbes Licht tauchen.
Niemand sagt ein Wort, was bei 20 Schülern durchaus selten vorkommt – wahrscheinlich sind alle erfasst von dem beeindruckenden Gewirr aus Gängen und Schächten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir einen relativ großen Vorraum. Es ist so niedrig, dass einige der größeren Jungen sich ein wenig ducken müssen. Die Luft ist nicht so stickig, wie man denken könnte, dafür, dass wir eine sehr dicke Schicht Gestein um uns herum haben.
Herr Neumann, so heißt der grauhaarige Leiter, hält ein ziemlich großes, zerschlissenes, braunes Ding in der Hand, das er vor sich hochhält.

Seine Stimme hallt laut durch den Raum und scheint von den Wänden mehrmals wiedergegeben zu werden. „Das hier ist ein altes Atemschutzgerät.
Im Gefahrenfall, wenn die Lüfter ausfielen oder durch das plötzliche Austreten von giftigen Grubengasen, einer Mischung aus Methan, Kohlendioxid und Stickstoff, der Sauerstoff knapp wurde, blieben den Bergarbeitern ungefähr 45 Minuten, um aus der Gefahrenzone zu kommen. Bei diesem Gerät hier wurde die Atemluft von Kohlenstoffdioxid gereinigt und mit Sauerstoff angereichert.
Früher glaubten die Bergleute beim Austreten von giftigen Gasen übrigens an einen Drachen, der die verseuchte Luft mit seinem feurigen Atem verursachte. Heute wissen wir es natürlich besser – Grubengase entstehen aus ganz unterschiedlichen Gründen. Durch Ausströmung von Gaseinlagerungen, Sprengungen des Gesteins, Wetterströme durch Hohlräume des Berges, und so weiter und so fort. Aber keine Angst, solche Masken brauchen wir heute nicht."

Schauernd stelle ich mir vor, wie damals, vor hundert Jahren, tausende Bergarbeiter in den engen Schächten Steine geklopft haben. Immer mit der Angst im Hinterkopf, dass die Atemluft plötzlich knapp wird und man schnell raus muss. Irgendwie.
An unserem Vorraum zweigen drei Gänge ab, eine davon mit Schienen unterlegt. Ich kann ein staubiges, abgenutzt aussehendes Schienenfahrzeug sehen, das einsam am Eingang des dritten Ganges steht.
„In den dritten Stollen kann man einen guten Kilometer hineingehen, dann ist Schluss. 1899 wurde er aufgrund einer Schlagwetterexplosion verschüttet. Knapp 30 Arbeiter kamen dabei ums Leben. Und diese Vorfälle waren nicht selten. Allein seit 1950 gab es in Deutschland um die 40 Grubenunglücke." Herr Neumann deutet auf den ersten Tunnel und schenkt uns ein kurzes Lächeln. „Also Hereinspaziert, meine Damen und Herren. Dieser Schacht führt uns geradewegs zur berühmt-berüchtigten Ludwigsgrube.

„Können wir später auch mit diesen Dingern fahren?", fragt Nina neben mir und deutet auf das staubige Fahrzeug. „Wie früher die alten Bergleute?"

Ein paar Leute murmeln zustimmend, nur Sarina lässt ein angewidertes „Ich setz mich doch nicht in so ein schmutziges Ekelteil!" hören.
„Tut mir leid, euch enttäuschen zu müssen – aber die meisten dieser Loren fahren nicht mehr. Außerdem wurden sie als Güterwägen benutzt und nicht als Personentransporter." Herr Neumann ist schon im Tunnel verschwunden und nur das Licht seiner Taschenlampe schwirrt im Dunkel umher wie ein verwirrtes Glühwürmchen. Das schwache Licht, das von den wenigen Leuchten kommt. ist kaum vorhanden, als sich immer mehr Schüler in den Schacht drängen.

„Ich würde zu gern den dritten Gang besichtigen...". Elias, dessen Augen im Schein der Stirnlampen seltsam leuchten, starrt auf den schwarzen Tunnel mit der Lore. Nina folgt seinem Blick, schüttelt den Kopf. „Aber der ist eingestürzt. Kaputt. Finito. Bringt doch nichts, da lang zu gehen. Außerdem hängt da ein „Betreten verboten"-Schild."
Sie erntet nur ein Grinsen von Elias. „Findest du nicht auch, dass die Führung ziemlich lahm ist? Wie wärs - wir setzen uns von der Gruppe ab und fahren ein bisschen mit den Loren um die Wette? Ich wette, da drin sind noch mehr und die Wolf merkt doch eh nichts, so begeistert wie die von dem Typen ist."


Mila MondlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt