Im Berg

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Wir sind nur noch zu viert. Nina, Elias, ein dunkelhaariger, schweigsamer Junge namens Robert, der zu Elias Clique gehört und ich.
Gerade noch sehe ich den Rücken einer Schülerin im Tunnel verschwunden, dann nur noch ein paar fliegende Lichtscheine an Decke und Felswand.
Ich werfe meiner besten Freundin einen Dein Ernst?? -Blick zu und sehe schon das abenteuerlustige Funkeln in ihren Augen, für das ich ihr am liebsten eine kleine Kopfnuss geben würde.
„Herr Neumann hat gesagt, dass einige Teile des Bergwerks unsicher sind. Ich hab eher weniger Lust, von Tonnen an Gestein begraben zu werden." Meine Stimme zittert ein wenig, wie immer, wenn Elias in der Nähe ist.

„Bullshit! Herr Neumann sagt sehr viel, wenn der Tag lang ist. Denkst du echt, die Tunnel wären noch offen zugänglich, wenn sie so gefährlich wären? Komm schon, Mila.."
Mein Herz schlägt etwas höher, als Elias meinen Namen ausspricht.
„Und mit Verlaufen ist auch nichts. Der Gang führt ja angeblich nur einen Kilometer rein. Wir schauen uns das kurz an, gehen dann wieder zurück und falls wir die anderen nicht mehr finden, ab nach oben und du erzählst irgendwas von wegen „Es war sooo dunkel und wir haben die Gruppe verloren, deswegen sind wir sicherheitshalber umgekehrt. Absolut kein Thema! Und definitiv spannender, als sich stundenlang von irgendeinem Typen zulabern zu lassen."

Ich behalte für mich, dass ich die Vorträge über das Bergwerk nicht uninteressant fand und blicke zu Nina hinüber, die sich mittlerweile schon über die Lore gebeugt hat und mit dem Handy ein paar Fotos schießt. „Schau mal, Mila - das Ding muss schon locker über Hundert Jahre alt sein! Hier ist die halbe Seite weggerostet."
Innerlich seufzend gehe ich zu ihr und tue so, als würde mich der rostige Wagen ernsthaft interessieren. Und wiedermal hasse ich mich für mein nicht vorhandenes Durchsetzungsvermögen.
Die steinernen Wände sind eisig und wirken im Licht der Lampe schmutzig gelb. Mir kommt es vor, als wäre die Luft hier drin feuchter als in den bisherigen Gängen. Feucht, kalt und abgestanden, das perfekte Klima für eine dicke, fette Lungenentzündung.

Ich erstarre, als mir ein kalter Tropfen von der Decke in den Nacken platscht und sich seinen Weg meinen Rücken hinter bahnt, bis der Stoff meiner Jacke ihn gnädigerweise aufsaugt.
Über uns prangen krumm und schief große Holzleisten, die in den Stein eingearbeitet sind und vermutlich die Tunnel stemmen sollen. Wirklich vertrauenserweckend wirkt das allerdings nicht. Nina und Elias laufen weit vor mir und Robert hinter mir hat die ganze Zeit über noch kein Wort gesagt.
„Wow!", kommt es von vorne und ich gehe etwas schneller, was bei dem glitschigen Boden allerdings nicht so einfach ist. Kurz darauf erreiche ich eine kleine Höhle, oder zumindest sowas in der Art. Ein Raum, der in etwa so groß ist wie unser Wohnzimmer, der aber ziemlich weit nach oben geht. Von der Decke hängen seltsame Gebilde herunter, die aussehen, als würden sie aus einem Alienraumschiff stammen. Es sieht faszinierend aus und für eine Sekunde fühle ich mich, als hätte ich ein Reich betreten, in das noch niemand je zuvor einen Fuß gesetzt hat.

„Höhlensinter.", höre ich Roberts Stimme hinter mir. Sie ist tief und passt irgendwie gar nicht so richtig zu ihm. Mir fällt auf, dass ich ihn vorher noch nie sprechen haben höre.
„Die Teile sehen aus wie Schwänze!", sagt Elias und die mystische Atmosphäre zerfällt in tausend Stücke.

„Höhlensinter bildet sich durch Kristallisation von in Wasser gelösten Mineralen und besteht meistens aus den Stoffen Calcit und Aragonit.

„Machst du jetzt einen auf Mineralienforscher, Rob?". Elias bricht einen der Zapfen ab und betrachtet ihn näher. „Hoffe, die Höhle bricht jetzt nicht zusammen."
Ninas Stimme klingt dumpf aus einem weiteren Gang, der aus der Höhle hinausführt. „Schaut auch das mal an, Leute!"
Schutt. Gestein, Holzbalken auf denen eine dicke Staubschicht liegt. Der Gang endet geradezu abrupt in einer Masse aus Geröll.
Ein ziemlich stark angerostetes Blechschild ist an der einen Wandseite angebracht. Darauf sind ein paar dünne, graue Männer in Bergarbeiterkleidung abgebildet, die mit Harken auf Steine klopfen. Daneben steht in altdeutscher Schrift. „Hier geschah 1899 ein furchtbares Unglück, das 27  Männer das Leben kostete. Auf der Schachtanlage 2 ereignete sich eine Schlagwetterexplosion. Durch das Lösen einer Steinplatte wurde eine Sicherheitslampe beschädigt, die austretende Flamme zündete die vorhandenen Schlagwetter. Die Druckwelle ließ die Anlage teilw. einstürzen und begrub die 27 Arbeiter unter sich ".

„Also hatte Herr Neumann recht." Elias steht neben mir und mustert das Schild. Der Stoff seines Hoodies streift meinen nackten Arm und ich halte unwillkürlich die Luft an. Der ganze Gang/Stollen hat eine seltsam geladene Atmosphäre, die das ganze noch enger wirken lässt.
„Stellt euch vor, ihr steht hier und macht, was auch immer man als Bergarbeiter gemacht hat, und plötzlich kommt der ganze Berg runter und begräbt dich. Wahrscheinlich liegen die Leichen hier immer noch verschüttet, für ein Bergungsteam war es bestimmt zu gefährlich, das Zeug aus dem Weg zu räumen."
Ninas Stimme klingt belegt. „Echt gruselig, die Vorstellung."

Mila MondlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt