Am Morgen des 31.10. bin ich früh wach. So früh, dass draußen noch kein Funken Tageslicht zu erkennen ist. Aber ich brauche die Zeit, um Kostüm und Makeup vorzubreiten. Die Schule geht heute nur bis 13 Uhr, später haben Nina, Katrin, Alexa und ich uns zum Schminken verabredet.
Das weiße Kleid mit den vielen zarten Federn fühlt sich leicht und warm an unter meinen Händen. Ich streiche über den feinen Stoff und zupfe eine eingerissene Feder vom Dekollete. Vorsichtig lege ich es in meine riesige Reisetasche, die ich vor ein paar Jahren von Dad zum Geburtstag bekommen habe, und stecke die Schminksachen in die Seitentaschen. In Sachen Make Up bin ich leider ziemlich unbegabt, deswegen muss Alexa das später übernehmen. Wenn sie ihr Gesicht mit Pinsel und Kajal bearbeitet, ist das eine richtige Art von Kunst. Sie erschafft ein Kunstwerk auf ihrem Gesicht und sieht am Ende aus wie eine ägyptische Göttin.
Ich dagegen bin jedesmal kurz davor, mir mit der Mascara ein Auge auszustechen und wenn ich mir Lippenstift auftrage, sieht das aus, als hätte ein kleinen Kind mit den Kosmetiksachen seiner Mutter gespielt.Als draußen die Dämmerung einsetzt und mein Handywecker piepst, gehe ich nach unten in die verwaiste Küche. Meine Brüder haben das Glück, an Freitagen erst zur dritten Stunde in die Schule zu müssen und meine Eltern schlafen anscheinend noch. Was mich wundert, da mein Dad eigentlich jeden Tag, ausgenommen Sonntag, schon in frühester Frühe wach und fertig fürs Büro ist.
Der Wasserkocher macht ein glucksenden Geräusch, als ich den Inhalt über einen Beutel Kräutertee gieße. Während ich noch überlege, ob ich mir ein Brot schmieren soll oder mein Magen vor Nervösität oder Vorfreude auf den heutigen Abend doch eher kein Essen verlangt, kommt Mum die Treppe herunter und steckt den Kopf in die Küche hinein. "Ach du bist es, Mäuschen." Mit einem Blick auf die Tasche neben mir, fragt sie: "Soll ich dich nachher zur Schule fahren?"
Вrauchst du nicht", erwidere ich und puste in die heiße Tasse. Ich komm klar. Heute ist die Halloweenparty, also komme ich erst später nachhause.Mum schaltet die Kaffeemaschine an und streicht mir dann über den Kopf. "Ich weiß, Mila-Maus. Mir wäre es allerdings ganz lieb, wenn dein Vater dich nach Ende der Feier abholen würde. Ich sehe dich nicht gern spätabends durch das Dorf maschieren."
Ich verdrehe die Augen. "Еs ist nicht spätabends, sondern gerade mal 22 Uhr. Und Nina läuft sowieso mit mir mit, also bin ich nicht alleine." Mum seufzt. "Schon klar. Hach ja...deine erste Party. Ich erinnere mich noch an meine erste. Vor 16 Jahren, ich war gerade fünfzehn und unheimlich aufgeregt, als mich meine Freundinnen - "
Vom Obergeschoss kommt Gepolter und Mum bricht ihre nostalgischen Erzählungen mit einem entschuldigenden Blick ab und verschwindet in Richtung des Zimmers meiner Brüder.
Mit einem Blick auf die Uhr trinke ich meinen Tee leer, ziehe im Flur meine Stiefel an und nach einem kurzen Blick in den Spiegel verlasse ich unser Haus.Draußen weht mir eine frische Brise entgegen, so frisch, dass ich die Jacke bis nach oben hin zuknöpfe.
Die Tasche mit meinem Kleid darin stößt mir bei jedem Schritt in die Seite, und mit jedem Schritt steigt auch meine Aufregung.
Als ich auf der Hälfte des Weges an einer Fußgängerampel stehe und auf grünes Licht warte, packt mich plötzlich etwas mit einem lauten "BUH!" von hinten. Eigentlich weiß ich, dass es nur Nina sein kann - doch als ich mich umdrehe und in eine hässliche Männerfratze starre, quietsche ich doch erschrocken auf. "Нaha - und, was sagst du?" kommt es von dem "Мann" mit Ninas Stimme.
"Und der Rest vom Kostüm sieht noch besser aus. Werd ich aber erst später anziehen, es sei denn, Herr Wolf erlaubt irren Metzgermördern die Teilnahme am Unterricht!"
Die Latexmaske, die meine Freundin auf dem Kopf trägt, sieht tatsächlich ziemlich ekelhaft aus. Tiefe Furchen und Kratzer sind in das Material eingearbeitet und geben dem ganzen einen mehr als realistischen Look. Das ist mal definitiv eine authentische Halloween-Verkleidung.

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Mila Mondlicht
Mystère / ThrillerMila lebt mit ihrer Familie in einem winzigen Dorf am gefühlten Ende der Welt, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, ein total normales Leben. Doch als sie plötzlich anfängt, Dinge zu sehen, die eigentlich definitiv nicht da sein können, dreht s...