Ich schlage die Augen auf und muss blinzeln, weil mich die plötzliche Helligkeit blendet. Für einen Sekundenbruchteil denke ich, in dem kleinen sterilen Krankenzimmer unserer Schule zu liegen – aber als ich die weiche Bettdecke mit den pastellfarbenen Heideblümchen darauf erkenne, weiß ich, dass ich zuhause bin. Mein Zimmer sieht aus wie immer und meine Augen wandern zu dem großen, dunklen Kleiderschrank. Fein säuberlich hängt da das weiße Federkleid an einem Bügel, das ich doch eigentlich gerade noch getragen habe? Oder...?
Es klopft an der Tür und ich höre Mums leise Stimme. „Mila? Bist du wach?"
Hastig schlage ich die Decke beiseite und setze mich auf. Ich bemerke, dass ich einen türkisen Frottee-Pyjama mit gelbem Tweety-Druck trage, der jahrelang irgendwo in den Untiefen meines Schrankes herumlag, weil er mir als etwas zu kindisch erschien. Jetzt fühlt er sich so weich und wohlig an, dass ich diese Entscheidung fast bedauere.
„Komm rein, Mum!", sage ich halblaut.Als erstes fällt mir die Sorgenfalte auf, die auf ihrer Stirn prangt. Meine Mutter war nie eine dieser überbesorgten Müttern, die wie Helikopter um ihre Kinder fliegen und jede Bewegung des Nachwuchses mit Adleraugen betrachten, im Gegenteil. Doch gerade sieht sie aus, als würde sie eben das ziemlich bereuen. Ihre dunklen Augen strahlen eine Sorge aus, die ich in ihnen noch nie gesehen habe.
„Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?" Sie legt eine kühle Hand an meine Stirn. „Das Fieber scheint ein wenig nachgelassen zu haben, gottseidank."
Noch ehe sie den Satz ganz ausgesprochen hat, schießen mir Gedanken wie Blitze durch den Kopf. Die Party. Das Mädchen....oder was auch immer die Gestalt war, die mich ohnmächtig hat werden lassen. Mein Herz beginnt zu rasen, als ich die Fratze vor meinem inneren Auge sehe und der widerliche Geruch in meine Nase steigt – zumindest glaube ich das. Mein Gesicht muss einen entsetzten Ausdruck angenommen haben, denn Mum starrt mich erschrocken an. Ich starre zurück. „Wie bin ich nachhause gekommen?" Sie streicht mir ein paar verschwitzte Haarsträhnen aus dem Gesicht und antwortet: „Die Schulkrankenschwester hat mich gestern gegen Mitternacht angerufen. Du bist umgekippt, Liebes. Zwischenzeitlich hattest du 41 Grad Fieber, hast gekrampft und ständig von einem „pinken Mädchen" erzählt. Man hätte dich beinahe in die Klinik eingeliefert. Ach Mila, ich hätte dich nicht auf die Feier lassen dürfen, die Grippe war eindeutig noch nicht ganz ausgestanden."
Tatsächlich fühlt sich mein Kopf an, als würde er in einem Backofen stecken. Als das Fieberthermometer, das Mum mir zehn Minuten später stirnrunzelnd aus dem Mund nimmt, die Zahl 37,8 zeigt, nickt sie zufrieden, gibt mir einen Kuss auf den Kopf und lässt mich allein in meinem Zimmer - allein mit meinen Gedanken.
Der gestrige Abend beginnt schon langsam zu verfließen und erinnert eher an einen bösen Traum als an die Realität. Konnte das alles tatsächlich nur eine Art Fiebertraum gewesen sein? Verstärkt durch den Alkohol? Der schale Erdbeergeschmack der Bowle auf meiner Zunge lässt mich fast würgen und ich schlucke heftig.
Neben mir auf dem Nachttisch vibriert mein Handy und ich werfe einen Blick auf das Display. Sechs neue Nachrichten. „Alles okay bei dir?" von Katrin, eine „Hoffe dir geht es besser! :( „ Mail von Alexa und drei Stück von Nina.„Bist du endlich wach?"
„Was war denn los?"
„Bitte melde dich, mach mir Sorgen! Deine Mum will mich ständig abwimmeln..."
Obwohl es mir bescheiden geht, muss ich ein wenig lächeln und tippe ein schnelles „Alles ok, melde mich später.".
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Mila Mondlicht
Mistero / ThrillerMila lebt mit ihrer Familie in einem winzigen Dorf am gefühlten Ende der Welt, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, ein total normales Leben. Doch als sie plötzlich anfängt, Dinge zu sehen, die eigentlich definitiv nicht da sein können, dreht s...