Toni

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Eine dichte Wolkendecke türmte sich über den Dächern der riesigen Hochhäuser auf, doch den Menschen, die zwischen den Giganten aus Stahl und Beton in Massen umherliefen, fiel es nicht auf. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, Geschenke für ihre Freunde und Familien zu kaufen, Essen für das Fest, Dekoration für ihre Häuser zu beschaffen und obendrein nicht von dem kalten Dezemberregen durchnässt zu werden, der gegen die Fenster der Wolkenkratzer schlug und beißenden Wind mit sich brachte.

Hinter einem dieser zahllosen Fenster stand, in Gedanken versunken die zahllosen Menschen bei ihren Weihnachtseinkäufen beobachtend, ein Mann. Er sah älter aus als er tatsächlich war, obgleich er mehr Lebenserfahrung gesammelt hatte als viele, die in dem Alter waren auf das ein Fremder ihn vermutlich geschätzt hätte. Er war hochgewachsen und schlank, was ihn fast mager wirken ließ, hatte die Hände in die Taschen seines weißen Jackets gesteckt, das passend zu seiner Hose die Maßanfertigung einer sehr teuren Marke war. Sein Haar war streng zurückgekämmt und bis auf zwei Strähnen an den Schläfen schwarz. Im Gesicht hatte er ein paar Falten, Falten wie man sie bekam wenn man lange und angestrengt über etwas nachdachte, was andere schon aufgegeben hatten. Sein Name war Frederico Carpenter. Er war ein Mann mit viel Einfluss auf Menschen, deren Entscheidung von nationaler Bedeutung sein konnten. Seine braunen Augen waren von den Menschen auf der Straße weggeglitten und starrten nun auf einen Punkt weit in der Ferne. Mit einer plötzlichen Bewegung nahm er die Hände aus den Taschen, woraufhin ein junger, dunkelhaariger Mann in einem schwarzen Ledersessel vor einem Schreibtisch nervös zusammenzuckte. Mit einem unmerklichen Lächeln registrierte Frederico Carpenter diese Reaktion ohne sich umzudrehen. Immer noch der Scheibe zugewandt fing er an zu sprechen. "Wissen sie, warum ich sie habe herrufen lassen, Toni?" Sein Tonfall war ruhig, aber so eisig, dass der gefährliche Unterton nicht zu überhören war. Der Angesprochene öffnete den Mund um zu antworten, doch brachte erst beim zweiten Versuch einen Ton heraus. "Nein, Sir", sagte er kleinlaut.
Der Mann drehte sich vom Fenster weg zu seinem Besucher um. In dem großen Konferenzsaal waren keine angeschalteten Lampen, so dass sich nur seine Silhouette gegen das Licht, das durch die Fenster fiel, abhob. Dennoch nahm der Mann, der mit Toni angesprochen wurde, wahr, dass die Augen seines Gegenübers angsteinflößend glitzerten. Der Saal, in dem die beiden Männer sich befanden, war nur spärlich eingerichtet. Vor einem imposanten Bücherregal, das eine komplette Wand bedeckte, stand der wuchtige Schreibtisch mit einem einem dazu passenden schwarzen Stuhl, der genau so unbequem wirkte wie die zwei Besuchersessel. Etwas abseits stand ein langer Konferenztisch mit zwölf Stühlen auf beiden Seiten, die alle weit von einander entfernt standen. An einer weiteren Wand befand sich nur eine Flügeltür aus teuer aussehendem Holz. Schließlich begann Frederico Carpenter wieder zu sprechen. "Sie sind sich dessen ganz sicher?", fragte er erneut. Toni schluckte. "Ja, Sir. Ich..." Carpenter unterbrach ihn. "Haben Sie Kenntniss vom Stehlen eines unserer Guthaben in der National Bank of San Francisco?"
"Ja, Sir." "
"Wissen sie, dass die Verantwortlichen für besagten Überfall weder von uns noch von der ortsansässigen Polizei gefasst werden konnten?"
"Ja, Sir"
"Und haben sie auch Kenntniss von dem Symbol, das eben jene Diebe dort an die Außenwand des Gebäudes geschmiert haben?"
"Ja, Sir. Aber..."
"Und wissen sie, was besagte Symbolik zu bedeuten hat?"
"Ja, Sir. Aber..."
"Und dennoch kommen sie hierher, sitzen vor mir, geben zu von all diesen Dingen gewusst zu haben behaupten aber nicht zu wissen weshalb ich sie gerufen habe?"
Während der ganzen Unterhaltung hatte der Mann im weißen Jacket nicht ein einziges Mal seine Stimme gehoben oder sich sonst ein Zeichen von Zorn anmerken lassen. Ganz anders als sein Gegenüber, welcher nun mit zitternden Händen die Armlehnen des Sessels umklammert hielt als wären sie seine letzte Rettung bevor er ihn einen gewaltigen Strudel unter ihm fiel. Seine Stirn glänzte vor Schweiß und seine Augen waren weit aufgerissen. "Bitte Sir!", brach es aus ihm heraus. "Es waren doch nur Peanuts, nicht mehr als fünfhunderttausend und die Diebe waren bestimmt nur ein paar hirnlose Kleinkriminelle, die sich Geld für Drogen beschaffen wollten! Woher hätte ich wissen sollen, dass ein derart... unbedeutender Betrag für sie so relevant ist?" Jetzt trat Carpenter näher. Toni zuckte unwillkürlich gegen die Lehne des Sessels. Der Mann stützte sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch zwischen ihnen ab und lehnte sich nach vorne.
"Und was wäre wenn es kein 'unbedeutender Betrag' gewesen wäre? Was wenn sie eines der Milliarden Guthaben erwischt hätten?" "Sir, ich versichere ihnen, dass alle Beträge im hohen Bereich vollkommen sicher sind..."
"Hätten sie eines unserer hohen Guthaben geraubt, wo stünden wir dann jetzt? Wir wären angewiesen auf 'Peanuts'. Und solange wie sie behaupten, eine Gruppe Kleinkrimineller könne unsere Guthaben stehlen ist unser keines der anderen Konten sicher!" "Ich werde jede Sicherheitsmaßnahme verdoppeln, Sir! Das schwöre ich..." Doch Carpenter fuhr fort als hätte er Toni nicht gehört. " Aber wir beide wissen, dass es keine Bande hirnloser Kleinkrimineller war, Toni. Nicht wahr?" Toni hielt inne und warf einen fragenden Blick zu ihm. "Wir beide wissen, dass keine Bande hirnloser Kleinkrimineller dieses Symbol überhaupt in die Finger kriegen würde, geschweige denn, so dumm wäre es an eine Häuserwand zu schmieren wie Graffiti!" Toni schluckte. Frederico Carpenter richtete sich auf und blickte auf den jüngeren Mann vor ihm herab. "Sie werden die Verantwortlichen finden und zu mir bringen, haben sie mich verstanden? Das hat allerhöchste Priorität! Bis dahin entbinde ich sie von ihren anderen Tätigkeiten, sagen sie ihrem Stellvertreter bescheid." Er lehnte sich nach vorne. "Sollten sie mir die Gesuchten nicht in spätestens einem Monat gefasst haben, werde ich sie zur Rechenschaft ziehen. Für ihre Unfähigkeit!" Toni nickte nur stumm. Erst als sein Chef sich wieder umgedreht hatte und weiterhin stumm aus dem Fenster blickte, wagte er es wieder zu atmen. Er raffte sich auf und verließ so leise wie es ihm möglich war den Saal.
Schnellen Schrittes ging er einen schwach beleuchteten Flur mit weißen Betonwänden und Türen auf beiden Seiten entlang.
Es ist unmöglich, dachte er sich.
Diese Schwachköpfe die in die Bank eingebrochen sind haben alle Spuren verwischt! Mit zunehmender Verzweiflung stieg er eine breite Treppe hinunter in ein breites Foyer, ebenfalls mit weißen Betonwänden. Vor einem kleinen Eingangsbereich waren mehrere Metalldetektoren installiert, die von Sicherheitspersonal kontrolliert wurden. Ein paar einzelne Angestellte liefen in Anzügen umher und verschwanden in den angrenzenden Glasaufzügen und Treppenhäusern. Toni Vincesci war kein dummer Mann. Ihm war klar, was mit ihm geschehen würde, sollte er seine Aufgabe nicht schleunigst erfüllen. Von diesen düsteren Gedanken getrieben stieß er die mittlere der drei großen Glastüren des Bürogebäudes auf und trat auf die belebte Straße. Kalter Wind und vereinzelte Regentropfen schlugen ihm ins Gesicht. Auf einen Wink seinerseits traten zwei Männer aus einem schwarzen Mercedes, der etwas abseits geparkt hatte. Sie trugen lange dunkle Regenmäntel und der kleinere von Ihnen einen grauen Hut. Schnell holten sie ihn ein und gingen im Laufschrift neben ihm den Bürgersteig entlang. Plötzlich fragte der kleinere: "Wie ist es gelaufen? Was wollte er?" "Nicht hier!", zischte Toni und bog in eine Seitengasse ein. "Wo habt ihr den Weißen geparkt?"
"Im Parkhaus an der zweiten Straße."
"Gut, dann geht ihn holen und trefft mich bei Marco!" Mit diesen Worten drehte Toni sich um und verschwand im Gedränge der Menschenmenge.

Zwei Stunden später saßen Toni Vincesci seine beiden Begleiter in einem kleinem verrauchten Lokal namens Encospica's an einem Ecktisch und tranken Bier. Es war kein Lokal von der Art, in die man geht wenn man nur etwas trinken will oder um etwas zu vergessen. Encospica's war ein Treffpunkt, ein Ort, an dem die Wände keine Ohren hatten und an dem man reden konnte. Die Fenster waren aus schmutzigem grünen Glas, zum größten Teil verdeckt durch mottenzerfressene, gelbe Vorhänge. Die Deckenbeleuchtung funktionierte nur über dem Tresen, hinter dem ein tauber alter Italiener namens Marco Tag und Nacht mit ein und demselben Lappen Gläser putzte. Toni und seine zwei Begleiter waren die einzigen in der Kneipe, redeten trotzdem aus Gewohnheit mit gedämpfter Stimme. Der kleinere von ihnen war ein junger Amerikaner namens Leo Dorton, er arbeitete seit sechs Jahren für Toni und war ein Profi in allem, was schoss. Dieser war es auch, der gerade wild gestikulierend auf Toni einredete. "Keine Frage, wenn er die Typen nicht in die Finger kriegt, wird er es an uns auslassen. Und wir waren sechsmal da, es gibt keine Spuren oder Hinweise. Nichtmal Malcolm hat irgendwas entdecken können." Toni blickte nachdenklich. "Um die Kameras haben sie sich auch gekümmert?" Der andere Mann, groß, mit schwarzen Haaren und eisgrauen Augen antwortete. Sein Name wae John Livetella, er war ebenfalls Amerikaner, hatte seinem Namen jedoch schon Jahre bevor Toni ihn kennengelernt hatte zwecks Image ändern lassen. Er sprach sehr schnell und leise: "Ja, alle Kameras waren wie durch ein Wunder ausgeschaltet als sie kamen! Und die Alarmanlage ist auch nicht angesprungen. Hör zu, Toni: Es wurden ganze hundertdreissig Millionen geklaut. Aber unser Anteil an dem Geld waren nur fünfhundert Riesen, die Cistaro-Familie hatte mehr als vierzig Millionen bei denen gelagert! Sagt Jamie Miller zumindest. Die haben mit Sicherheit noch dringender als wir das Bedürfniss, die Verantwortlichen zu fassen und ihr Geld wieder zu bekommen! Ob sie den Rest, der nicht Ihnen gehört auch rausrücken ist ne andere Geschichte, aber Fakt ist doch: Wenn die diese Typen schon nicht geschnappt haben, dann tun wir es erst recht nicht!" Toni warf ihm einen verzweifelten Blick zu. "Erzähl das mal dem Boss." Einige Minuten saßen sie da, jeder in die selben Gedanken vertieft. Dann kam Toni Vincesci die rettende Idee.

Am Ende will ich lachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt