Die Leiter hinab

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Ein lauter Schrei ließ Sophie aus dem Bett fahren. Sie tastete nach dem Lichtschalter ihrer Nachttischlampe, fand ihn und schaltete sie an. Annie! Das war Annie die geschrien hatte! Sie sprang auf und rannte los und brach an der Tür fast zusammen, als ihr auf einmal unglaublich schwindelig wurde. Zu schnell aufgestanden, dachte sie bei sich. Sie hielt sich am Türrahmen fest und warf einen Blick auf die Uhr. Fast drei Uhr morgens. Sie ging schnell weiter auf Annies Zimmertür zu, stieß sie auf und fand ihre Schwester wild um sich schlagend im Bett vor, ihr Gesicht war schweißbedeckt. Neben ihr auf dem Bett saß ihre Mutter, die versuchte, ihre Arme fest zu halten. Sophie trat ans Bett heran. "Was ist los mit ihr?", fragte sie. "Ich weiß nicht, keuchte Lily. "Fieberträume, glaube ich." Sophies Mund klappte auf. "So schlimm ist es?" " Nach einem normalen Alptraum sieht mir das nicht aus", antwortete sie. Mittlerweile hatte Lily ihre Tochter halbwegs unter Kontrolle, Sophie setzte sich neben sie ans Bett und streichelte ihr über die Wange. "Hey, hey Annie. Ruhig, alles ist gut, niemand will dir etwas tun." Sie fuhr fort, beruhigend auf sie einzureden, schließlich hielt Annie still und riss die Augen auf. Sie keuchte, sah sich um und begann dann, leisw zu weinen. "Ich hol ihr mal ein Handtuch, sie ist ja völlig nassgeschwitzt", sagte Lily und verließ das Zimmer. Sophie schlug die Bettdecke zurück und legte sich zu ihrer Schwester ins Bett. Sie drückte sie fest an sich und redete weiter auf sie ein. Schließlich hörte Annie auf zu schluchzen und blickte Sophie aus großen feuchten Augen an. "Ich hatte einen Alptraum", flüsterte sie. "Aber ich weiß nicht mehr, was passiert ist. Aber es war schlimm." Sie schloss die Augen und schniefte. Sophie fuhr ihr durch die Haare. "Soll ich heute Nacht bei dir bleiben?", fragte sie leise. Als Antwort kuschelte sich das Mädchen nur noch dichter an sie.

Als Sophie am nächsten Morgen erwachte, schlummerte Annie seelenruhig. Sie schlich sich leise aus dem Zimmer, um sich noch rechtzeitig für die Schule fertig machen zu können. Als sie aus dem Zimmer in die Küche trat, saß dort bereits ihre Mutter am Tisch und blätterte in einer Zeitung. Auf der Titelseite war die Rede von einem Terroranschlag in Californien. Ihre Mutter blickte auf, als sie sich neben ihr auf den Stuhl nieder ließ.
"Morgen", murmelte Sophie. "Morgen",sagte Lily. "Sophie... könntest du heute zu Hause bleiben und auf Annie aufpassen? Gestern habe ich mir zwar noch frei nehmen können, aber heute muss ich wirklich wieder auf das Präsidium. Wir haben da ein paar Schwierigkeiten..."
"Klar, kann ich machen", antwortete Sophie sofort. Ihre Mutter sah erleichtert aus. "Danke. Ich schreibe dir morgen die Entschuldigung. Und pass auf Annie auf, lass sie ja nicht raus, sie soll im Bett bleiben." mahnte sie. "Gib ihr nochmal Medizin, wenn es sein muss." Mit diesen Worten stand sie auf, verließ die Küche und ging zurück in ihr Schlafzimmer.

Zehn Minuten später klopfte Sophie gegen Annies Zimmertür und trat ein. "Hast du Hunger?", fragte sie ihre Schwester, die mit offenen Augen da lag und die Decke anstarrte. Ein schwaches "Nein" war die Antwort. Sophie blickte sie besorgt an. "Du solltest vielleicht trotzdem etwas essen." Annie regte sich schwach. Sophie seufzte. Dann kam sie zu ihr hinüber, beugte sich heran und hob das jüngere Mädchen hoch. Sie trug sie vorsichtig in die Küche und setzte sie auf ihrem Stuhl ab. Dann stellte sie ihr einen Teller mit zwei Scheiben Brot vor die Nase und setzte sich ihr gegenüber. "Komm schon, iss was." Annie murmelte etwas unverständliches. Sie saß auf ihrem Stuhl wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hatte. "Iss was, Annie. Ich muss dir Tabletten geben und die solltest du nicht auf leeren Magen schlucken." Annie rührte sich nicht. "Ich will aber keine Tabletten", sagte sie leise. "Aber die helfen dir." "Ich will aber nicht." Sophie seufzte. "Bin ich schlimm krank?", fragte Annie. Sophie nahm ihre Hand und streichelte sie. "Nein. Fieber ist eigentlich gar keine Krankheit, weißt du?" Annie blickte sie erstaunt an. "Es ist ein Selbstheilungsprozess. Das bedeutet, dass dein Körper alle schlechten Bakterien aus dir raus macht", schob sie hinterher, als sie Annies verständnisslosen Blick bemerkte. "In ein paar Tagen geht's dir wieder besser, du wirst sehen." Sie stand auf. "Aber nur, wenn du auch was isst." Immer noch murrend begann Annie, sich langsam ihr Frühstück einzuverleiben. "Muss ich heute auch zu Hause bleiben?", fragte sie. Sophie strich ihr durchs Haar. "Ja, dann kannst du dich besser ausruhen. Du willst doch auch wieder gesund werden, oder?" Annie nickte nur.
Sophie verließ die Küche und ging ins Badezimmer. Sie nahm das Päckchen Paracethamol und das Fieberthermometer aus dem Medizinschränkchen und ging zurück in die Küche. Annie hatte mittlerweile aufgegessen und trank gerade eine Tasse Tee, die Sophie ihr mit dem Teller hingestellt hatte. "Vorsicht, heiß", sagte sie kurz an sie gewandt. Dann setzte sie sich vor sie und wartete geduldig, bis sie ausgetrunken hatte. "Hier nimm das." Sie legte ihr die Tablette auf den Teller. Sie beäugte sie misstrauisch. "Die hast du schon mal genommen", sagte Sophie augenrollend. "Glaubst du, ich will dich umbringen?" Annie sagte nichts, sondern steckte sich die Pille nur in den Mund. "Mund auf", sagte Sophie und überprüfte, ob sie die Pille auch wirklich geschluckt hatte. "Gut. Jetzt geh am besten wieder in dein Bett, Kleine." "Ich bin aber überhaupt nicht müde", protestierte Annie. "Keine Widerrede", sagte Sophie streng. "Soll ich dir was vorlesen?", fragte sie weicher. "Ja, bitte."
"Gut, dann geh schon mal vor, wenn ich gleich komme liegst du schon im Bett."
Als Sophie zwei Minuten später das Kinderzimmer betrat, lag Annie, eine Stoffkatze im Arm, im Bett. Bevor Sophie ihr etwas aus Annies Lieblingsbuch "die Leiter hinab"  vorlas, maß sie ihr noch ein mal Fieber. Die Temperatur war gefallen.

Am Ende will ich lachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt