Der Mann aus San Francisco

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"Ihr habt WAS?!"
Toni Vincesci sprang von dem kleinen Schreibtisch auf, an dem er eben noch gesessen und Akten sortiert hatte.
"Wir haben ihn gefunden. Den, der den Bankraub in San Francisco veranlasst hat." John Livetella drehte seinen schwarzen Hut in den Händen und blickte seinen Boss unruhig an. "Woher?", kam es nur kurz von Toni. "John Livetellas Gesicht nahm einen angestrengten Ausdruck an. "Einer unserer Männer bei der Cistaro-Familie hat zufällig mitbekommen, wie der Alte die Adresse einem seiner Männer gegeben hat, und dabei soll er gesagt haben: 'Stellt sicher, dass er das Geld noch hat, eine neue Bank in San Francisco zu finden wäre zu teuer.' Mittwoch soll er ihn abknallen." Toni legte die Stirn in Falten. "Warum erst Mittwoch?"
"Der Kerl ist zurzeit in L.A. Da haben die Cistaro keine Zuständigkeit mehr." Dann fügte er noch leise hinzu: "Du weißt schon, die Geschichte mit Brians Tochter, die sie damals erschossen haben. Wenn einer von den Cistaro seinen Fuß nach Los Angeles setzt, gibt es Krieg. Und den würden sie nicht riskieren. Schlecht fürs Geschäft." Toni ließ sich zurück in seinen Stuhl fallen und auch John setzte sich in einen der Sessel vor dem Schreibtisch. Seine grauen Augen blickten Toni fragend an. Dieser überlegte kurz, dann stellte er eine weitere Frage. "Also ist der Drahtzieher in L.A. und steht unter dem Schutz von Brian O'lancis?" John strich sich durch die kurzen schwarzen Haare. "In L.A. ist er, ja. Aber ob er unter seinem Schutz steht... Wissen wir nicht. Fest steht nur, dass die Cistaro nicht an ihn rankommen. Noch nicht. Aber wenn er Mittwoch nach New York kommt, wollen sie ihn kalt machen. Er hat natürlich keine Ahnung, dass man ihm auf die Schliche gekommen ist."
"Wer ist der Mann überhaupt?"
"Wissen wir auch nicht. Er hat eine Organisation hier im Untergrund, ist aber eigentlich in England aktiv. In welchen Geschäften genau er drinnen steckt weiß niemand so recht, könnte alles sein."
"Wann wird er Mittwoch kommen? Und wann wollen die Cistaro den Zugriff machen?" John blickte auf einen kleinen Zettel.
"Er wird Dienstag morgen aus seinem Hotel abgeholt und mit einem schwarzen Mercedes zum Flughafen gebracht, dort steigt er in den Flug nach New York. Die Cistaro erwarten ihn in New York am Flughafen, sie werden ihn kalt machen, sobald er aus dem Flieger steigt."
Toni stand erneut auf und ging in dem fensterlosen kleinen Raum mit spärlichem Mobiliar und Beleuchtung auf und ab. "Wenn Carpenter das raus kriegt, sind wir tot. Du, Leo und ich. Wir müssen ihn vor den Cistaro kriegen, aber niemand darf wissen, dass wir das waren. Und Carpenter darf von der ganzen Sache kein Wort erfahren." John blickte skeptisch. "Aber werden die nicht direkt davon ausgehen, dass es unsere Leute waren, wenn jemand anderes als sie selbst ihn ausschalten?" Toni winkte ab. "Die wissen gar nicht, dass wir ein Guthaben in San Francisco hatten. Warum sollten sie also auf uns schließen?" John schien überzeugt. "Gut. Aber wie machen wir das? Öffentlich? Geheim? Ein Unfall? Ein dritter Mann?" Toni überlegte. "Wir könnten ihn in seinem Hotel holen."
"Nein, könnten wir nicht", antwortete John. "Das Hotel in dem er zurzeit ist, ist Eigentum von O'lancis. Er hat alles im Blick, was da drinnen passiert. Wenn einer von uns da rein spaziert, klingelt sofort sein Telefon." Toni zuckte mit den Schultern. "Dann töten wir ihn halt, sobald er das Hotel verlässt. Wir können ihn nicht am Flughafen abfangen, zu viele Zeugen. Carpenter würde Wind davon bekommen." Er kratzte sich am Kinn. "Wir töten ihn, sobald er ins Auto steigt. Leo wird es tun. Danach entsorgen wir die Leichen." John Livetella nickte, als Zeichen, dass er verstanden hatte.

Es war früh am morgen, der Asphalt war kalt von den Temperaturen der noch nicht ganz vorbei gegangenen Nacht. Toni Vincesci, Leo Dorton und John Livetella saßen aneinander gedrängt auf der Rückbank eines kleinen Wagens mit nicht registriertem Kennzeichen, speziell für Aufträge wie diesen. Die beiden Vordersitze waren frei, so dass ein vorbeigehender Passant das Auto für leer halten könnte. Sie alle trugen dunkle Regenmäntel und Hüte, Leo trug außerdem eine Guy Fawkes-Maske. Unter seinem Mantel hatte er die Hände ruhig um den Griff einer Thompson gelegt.
Nur wenige Menschen waren auf dem Parkplatz vor dem Kingstone-Hotel von Los Angeles unterwegs, die frühe Stunde hielt die meisten Menschen zu Hause. Ungefähr dreißig Wagen standen auf dem großen Parkplatz. Das Auto, in dem Toni saß, war zwischen acht anderen Wagen geparkt und wirkte von allen Fahrzeugen am unauffälligsten. Weit abseits von allen anderen Wagen stand ein einziger, auf Hochglanz polierter, schwarzer Mercedes mit dunkel getönten Scheiben. Seit das Auto vor einer Stunde auf den Parkplatz gefahren war, hatte sich noch keine der Türen geöffnet. Dennoch konnte man durch die Windschutzscheibe die Shillouetten von mindestens zwei Personen erkennen. Der Zeiger auf Tonis Armbanduhr kroch nur langsam vorwärts. Die Dunkelheit des Wintermorgens wurde von großen Scheinwerfern überall am Rande des Parkplatzes fern gehalten. Der Mercedes hatte absichtlich unter dem einzig defekten Scheinwerfer geparkt. Plötzlich stieß John Toni an. "Da vorne", zischte er und deutete auf einen Seitenausgang des Hotels. Ein Schatten, klein und mit grauem Mantel überquerte im Laufschritt den Parkplatz und hielt auf den Mercedes zu. Toni nickte Leo zu, dieser erwiederte sein Nicken und öffnete lautlos die Tür. Er glitt hinaus, schloss die Tür und schlich geduckt von Auto zu Auto auf den schwarzen Wagen zu. Der Mann mit dem Mantel war keine hundert Meter mehr von dem Mercedes entfernt. Toni und John griffen in ihre Mäntel und zogen beide ihre Revolver. John drückte ebenso leise wie Leo die Türklinke herunter, ließ die Tür allerdings angelehnt. Leo war mittlerweile hinter einem Jeep in Deckung gegangen, der das nächstgelegene Fahrzeug zu dem Mercedes war. Er nahm die Hand aus seinem Mantel und legte die Thompson auf seinem Knie ab. Er griff erneut hinein und zog ein Magazin heraus, welches er so leise wie möglich in die Waffe schob. Er lud sie durch und verharrte reglos in der Hocke, die Waffe im Anschlag. Der Mann in dem grauen Regenmantel war kurz vor dem Wagen stehen geblieben, hatte seine Hände gehoben und hielt einen Ausweis in das Licht einer nun aus dem Auto aufblitzenden Taschenlampe. Das Licht erlosch wieder und der Mann trat nun an das Auto heran. Leo hob seine Waffe und richtete sie auf das zwanzig Meter entfernte Auto. Leo verharrte erneut, während der Mann nun beharrlich auf den Fahrer des Wagens einredete.
Ein Schuss zerriss die Stille. Die Spannung löste sich wie ein platzender Ballon. Der Unbekannte in dem Mantel kippte lautlos nach hinten weg und landete auf dem Asphalt. Eine sich schnell ausbreitende Blutlache spiegelte das Licht der Scheinwerfer. Toni war klar, dass nicht Leo geschossen hatte. Plötzlich öffnete sich die Fahrertür des Mercedes und ein Mann trat heraus, Toni erkannte ihn sofort. Er und John sprangen im Bruchteil einer Sekunde von ihren Sitzen, rissen die Autotüren auf und rannten geduckt hinter den Autos auf Leo zu.

Am Ende will ich lachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt