04 | „Ich bin Pringle und du?"

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04 | „Ich bin Pringle und du?"

Es gibt merkwürdige Situationen und es gibt ein Tisch voller Familien - darunter auch eine handvoll alleinerziehende Single wie meine Wenigkeit.
Aber ich machte kein großes Theater daraus, dass ich Single war. Es hatte niemanden davon zu interessieren. Schließlich war es doch nur ein gemeinsames Wochenende und Freunde wollte ich nicht gerade machen. Und schon recht keine neue Beziehung knüpfen. Eine Singlemutter sah es anders. Sie quatschte mich die ganze Zeit zu, während ich doch nur in aller Ruhe meine Lasagne verdrücken wollte. Ihr Kind sei ein kleines Genie, entdeckte schon mit einem Jahr, dass das Licht im Kühlschrank ausbleibt wenn die Tür zu ist und konnte seinen Namen mit 2 Jahren in Comic Sans Schrift schreiben.
„Und der kann schon gut argumentieren und kennt fast alle Paragrafen auswendig. Ich denke er wird später einmal der Anwalt für die größten Stars der Welt."
„Cool. Meine Tochter hat mit zwei Jahren ihre vollen Windeln durch das Fenster geschossen. Mit dem Fuß. Auf den Kopf der Nachbarn. Ich denke sie wird die größte Fußballerin der Welt."
„Das ist doch perplex. Mädchen spielen keinen Fußball. Das gehört sich nicht."
„Das ist wohl der Grund wieso ihr Sohn auch in eine Blockflöte pfeifen muss. Das ebnet ja schon den zukünftigen Weg zur Regenbogenflagge", platzte es aus mir heraus.
„Boah, Mina", hörte ich Saskia erschrocken sagen, während sich Leo lachend an seiner Pizza verschluckte.
„Mama, was meint die Frau damit?", wollte der Sohn mit den langen Haaren und dem rosa Hemd wissen.
„Das tut jetzt nichts zur Sache", fuhr sie ihren Sohn an. Dann lehnte sie sich zu mir. „Sie werde ich noch fertig machen, Fräulein. In Ihrem Alter sollte man älteren Personen Respekt zollen."
„Mach ich", sagte ich. „Aber ganz sicherlich nicht bei solchen Hobelschlunzen wie Sie es sind."
„Oooh." Ein Raunen von sämtlichen Eltern und erwachsenen Begleitern an den Tischen.
Saskia runzelte nur die Stirn, während Leo am grinsen war. Finja konzentrierte sich nur auf ihre Salamipizza und bekam gar nichts mit. Salamipizza und Finja? Eine ganz andere Liebesgeschichte.
„Setzen Sie sich bitte um. Ihre pure Anwesenheit macht mich fertig", sagte die Frau mit zitternder Stimme.
„Wenn Ihnen meine Visage nicht passt, dann setzen Sie sich doch einfach um", entgegnete ich und wandte mich wieder meiner Lasagne zu.
„Sie haben es auch nötig so asozial zu sein. Die Tanjun sind bestimmt von einer Roten Kreuz Hilfe." Sie schaute auf meine weißen Nike Tanjun. Nö. Geburtstagsgeschenk meiner Schwester.
„Klar. Neben den teuren Klamotten haben Sie sicherlich auch Ihre Seele dort verschärbelt, was?"
„Das muss ich mir nicht gefallen lassen. Komm Laurent Felipé Massimo. Wir setzen uns um."
„Danke Gott", nuschelte ich in das Glas mit dem stillen Wasser hinein. Mutter und Sohn fanden schnell jemanden mit denen sie die Plätze tauschen konnten. Schön für die Alte, dass sie meine Wenigkeit nicht mehr ertragen muss. Aber dafür bekam ich hohle Nuss einen viel nervigeren Sitznachbarn. Ein Singlevater aus Oberhausen der anscheinend Gefallen an mir gefunden hat. Oder eher an meine Oberweite. Denn da lagen die braunen Augen am meisten drauf. Und ich fragte mich: Hab ich meinen Kopf noch?
„Sag mal bist du Single?"
„Ja."
„Das ist ja großartig."
„Ja", antworte ich wieder und stocherte genervt in meiner Lasagne herum.
„Woher kommst du?"
„Ja."
„Was?"
„Was?"
„Woher du kommst?"
„Dortmund."
„Ich meine Dortmund und Oberhausen sind nicht so weit entfernt."
„Kann sein."
„Lust auf ein Treffen. Du wirkst ziemlich sympathisch für mich.  Und unsere Töchter würden sich auch gut verstehen. Ich meine beide mögen Fußball. Ich bin Pringle. Single und hungrig. Auf dich." Dann gab er ein merkwürdiges Knurren von sich.
Leo der neben mir saß, schob unauffällig den Ehering meiner Schwester über meinem rechten Ringfinger.
„Hey, könntest du bitte meine Frau in Ruhe lassen. Ich glaube ich spinne. Nachdenken kannst du auch nicht, oder?", fuhr Leo den Typen an. Hui, die Diva war mal wieder in seiner Rolle. Saskia spielte ebenfalls mit, während Finja leicht verwirrt war. Sie dachte nach, schaute zwischen Leo, mir und den Typen hin und her und nickte dann.
„Achso Papa." Verdutzt schauten Leo und ich sie an.
„Äh, ja mein liebes Kind", entgegnete Leo dann förmlich.
„Du musst Mama und mich Montag vom Schießstand abholen. Und hinbringen. Mamas Auto ist da doch in der Werkstatt wegen dem TÜV, liebster Papa. Mama und ich müssen die Haltung bei der AK 47 verbessern."
„Das habe ich schon nicht vergessen, liebes Kind und ja. Ich hab's gesehen. Der Rückstoß ist bei euch eine Qual mit anzusehen."
„Oh. Tut mir leid. Ich wollte mich nicht an deine Frau ranmachen. Echt."
„Schon okay", sagte Leo trocken. „Passiert jeden Mal. Und außerdem hat sie ein Gesicht und besteht nicht nur zu 99,9 Prozent aus Brüsten." Saskia schaute ihn warnend an. „‚Mir ist das Gott sei dank noch niiiiee passiert. Nie. Wirklich."
„Hi, ich bin Pascal und du", der Typ ließ echt nicht locker und wandte sich an Saskia.
„Ich bin lesbisch. Also lass mich in Ruhe."
„Ach verflucht. Das Wochenende ist ein totaler Reinfall heute." Dann dreht er sich weg von uns und wandte sich seiner Tochter zu.
Wir brachten auch das gemeinsame Essen schnell hinter uns und begaben uns dann für eine halbe Stunde aufs Motelzimmer. Ich suchte die Tickets zusammen, während Finja ihre langen blonden Haare durchkämmte. „Mama du musst mir auf den Weg zum Stadion die Haare flechten."
„Mach ich", sagte ich und steckte die vier Tickets in die Innentasche meiner Handtasche. Der VIP-Ausweis von Finja und mir ebenfalls.
Finja schmiss wahllos Haargummis, Haarspangen und eine kleine Haarsprayflasche in meine Handtasche. „Klar. Dann eben so", sagte ich.
Dann griff sie nach meiner Hand. „Wie teuer der wohl war."
„Hä? Was?"
Ich blickte meine Tochter verdattert an und sie mich. „Mama. Tante Saskias Ring."
Ich blickte auf meinem Ringfinger. „Ach du Kacke", sagte ich. Ich hatte immer noch Saskias Ehering an meinem Finger. „Erinnere mich bitte daran, dass ich Tante Saskia ihren Ring wiedergebe. Ich bin nicht in der Lage den Ring zu bezahlen, wenn ich den verliere."
„Guck mich nicht so an, Mama. Ich bin genauso ein armes Würstchen." Dann grinste sie und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Bist du fertig?"
„Ja. Dann schnapp dir die Karte fürs Zimmer und dann holen wir Saskia und Leo ab."
Zehn Minuten später hatten Finja und ich die beiden Gesuchten aufgesammelt und warteten vor dem Hotel - mit den anderen Familien auf den Bus der uns ins Stadion bringen sollte.
Finja hüpfte ungeduldig von einem Bein aufs andere, während ich meine Beine in den Bauch stand. Leo fand sein Handy interessant und Saskia unterhielt sich mit einer jungen Mutter über ihre Schuhe.
"Der BVB wird heute Abend verlieren."
Ich drehte meinen Kopf und blickte direkt zu "Laurent Felipé Massimo Schlag mich Tod" der vor Finja stehen blieb. Finja stemmte wütend die Hände in die Hüften. "Was soll das heißen der BVB wird heute Abend verlieren? Hast du zu oft deine billigen Klatschpappen an den Kopf bekommen, als du deine Bayern mit Buh-Rufen supportet hast, weil die gerade mal nach zehn Minuten 2:0 führen, oder was?", will ich wissen.
"Guck doch mal auf die Statistik. Die letzten beiden Bundesligaspiele der letzten Saison hat der BVB zwei Mal gegen uns Bayern verloren. Das muss doch schon was heißen."
"Eben, dass muss doch schon was heißen", zischte Finja. "Jetzt kommt unsere Revanche und ihr könnt euch schon mal heulend an Mamis Brust begeben." Finja stupste deren Jungen dessen Namen einfach zu behindert war um den jemals wieder zu erwähnen mit dem Zeigefinger auf die Schulter. "Und jetzt sieh zu das du Land gewinnst. Deine blöde Anwesenheit kann und will ich nicht ertragen. Ich muss mich darauf konzentrieren Marco Reus nicht vor die Füße zu kotzen."
"Du gehst doch gar nicht an Marco Reus' Hand. Das wird doch erst gelost", sagte das blöde Balg patzig. "Ich gehe schön an Ribérys Hand."
"Vom Aussehen passt ihr beiden auch super gut zusammen."
"Meine Mutter sagt ich bin ein hübscher Junge."
"Oh", sagte Finja und schlug sich gespielt die flache Hand auf die Stirn. "Und ich dachte du bist ein Mädchen." Dann zog sie an seinem langem Haar. Der Junge dessen Namen einfach so behindert war um den jemals wieder zu erwähnen, kreischte theatralisch quietschend auf. "Ah, Mama, Mama, die Assiline hat mich geschlagen." Dann fing er an zu heulen.
Finja drehte sich zu mir. "Darf ich ihn umbringen, oder ist das noch nicht erlaubt?"
"Ich würde auch gerne, aber wir müssen uns alle zusammenreißen", antwortete ich.
Finja kam genervt zu mir, während die Mutter von dem Jungen dessen Namen einfach so behindert war um den jemals wieder zu erwähnen, versuchte den aufgelösten und so schwer verletzten Jungen zu beruhigen. Einfach mal wieder übertreiben.
"Haben Sie Ihre Tochter nicht unter Kontrolle?", fuhr sie mich an.
"Nö und was ist mit Ihrer Tochter?", stellte ich die Gegenfrage und bekam unfreiwillig einige Lacher ab.
"Ich fahre nicht mit dieser widerwertigen Person in einem Bus!", die Mutter zeigte auf mich und wandte sich dabei zu dem Busfahrer.
"Ditte interessiert mich so gar net. Entweder fahren se jetzt mit, oder se bewegn ihren Hintern alleine zum Olympi. Icke bin nur der Busfahrer und keine Seelsorge für menstruierende Weiber." Dann wandte er sich zu uns anderen. "Wer mitfahren will, ab in den Bus. Icke hab keene Zeit. Der Verkehr ist so grauenvoll schlimm heute. Ditte is typisch Berlin, wa."
Der Busfahrer stieg ein und wartete darauf, bis wir ebenfalls eingestiegen waren.
Finja saß am Fenster, Saskia neben ihr und versuchte sich an einer Aufwendigen Flechtfrisur für meine Tochter. Leo und ich saßen vorne und unterhielten uns um die bekloppte Mutter und ihren bekloppt merkwürdigen Sohn.
"Wäre ich der Ehemann der Alten, dann wäre ich schon längst zu einer anderen normalen Frau geflüchtet. Grauenvoll diese Kuh", zischte Leo und starrte dabei die bekloppte Mutter an, die ihren Sohn ermahnte nicht alles im Bus anzufassen, wegen den Keimen.
"Dann wird er sicherlich später an einer grauenvollen Infektion sterben, wenn er die Hand von Ribéry hält!", rief ich durch den ganzen Bus. Leo und Finja lachten nur, während Saskia mir einen kleinen Klapps auf den Hinterkopf gab.
"Mina, lass dich doch nicht immer nur mit der puren Anwesenheit von irgendwelchen Menschen provozieren", mahnte sie mich.
"Du kennst mich und du weißt, dass ich nicht anders kann. Schon gar nicht bei solch einer Person, Saskia."
"Reiß dich bitte zusammen."
"Ach, sie lässt sich eben nichts gefallen", warf Leo ein. "Lass sie doch. Solange sie keinen verprügelt oder tötet ist alles noch irgendwie okidoki."
"Aber doch nicht immer vor Finja."
"Ach, wenn ich es nicht von Mama habe, dann lerne ich das von Oma", sagte Finja. "Daher ist Mama doch genauso. Wieso bist du eigentlich nicht so, Tante Saskia?"
"Das wüsste ich auch gerne", sagte ich und drehte mich im Sitz zu meiner Schwester. "Wieso bist du eigentlich immer so ruhig und lieb gegenüber Menschen."
"Ich bin eine Spielerfrau und stehe ja irgendwie in der Öffenlichkeit. Leider Gottes muss ich mich da zusammenreißen."
"Dann bin ich dafür, dass du in Zukunft ein bisschen mehr Temperament zeigst. Schließlich bin ich ein Brasilianer und ich brauche eine Frau die genauso ausflippt wie ich."
"Boah meine Güte, dann heirate doch meine Schwester."
"Bleib mal flockig!", sagte ich.
"Hast du noch einen Snikers?", wollte Leo leise von mir wissen.
"Nein, habe ich nicht."
"Entschuldigung. Ich hasse nur Busfahren", sagte Saskia schnell.
"Schon okay."
"Wir haben das Ziel erreicht. Dat Olympia Stadion liebe Gäste", brüllte der Busfahrer durch den Bus. "Ich darf schreien! Mein Mikrofon ist kaputt! Kleener Scherz. Wieso sollte ick dat Mikro benutzen, wenn ihr mich jetze schon net versteht."
Der Bus hielt auf dem Busparkplatz an und wir stiegen nacheinander aus.
"Finja, lauf nicht schon wieder vor. Wir haben eine Reservierung. Keiner klaut uns unseren Platz."
Finja, die wieder vorgelaufen war, trottete zu mir und griff sofort nach meiner Hand. „Aber irgendeiner wird mir Marco klauen", sagte sie aufgebracht. „Das lasse ich nicht zu."
„Passiert schon nicht", sagte Leo grinsend und ging voran. „Die Jungs sind schon da und die gehe ich mal besuchen."
„Siehste. Onkel Leo regelt das schon für dich. Bist du schon aufgeregt?", fragte ich an Finja gewandt die immer nervöser wurde und eine ziemliche Kraft in ihre Hand hatte. Ich drückte ihr einen Kuss auf die geflochtenen Haare und schlenderte den anderen Familien hinterher. Das Olympia Stadion war schon massiv riesig, was mich ziemlich klein werden ließ.
Und dann noch solch eine große Menschenmasse. War ich auch nicht gerade der Fan davon. Aber was muss das muss. Schon allein wegen Finja.

Nur ein Schuss [ED37] ✔️. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt