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JENNIFER WUSSTE NICHT MEHR WIE LANGE SIE DIE WEIßE WAND ANSTARRTE. Die Zeit verging nur langsam und keiner der Ärzte wollte ihr sagen, was mit ihrer kleinen Schwester los ist. Deshalb saß sie auf dem kalten Boden des Krankenhauses, ihr Rücken gegen eine Wand gelehnt und ihre Augen auf die Wand vor ihr gerichtet.

Die Teenagerin war vor dreieinhalb Stunden im Krankenhaus angekommen, nachdem es in der Hawkins High School anrief, da sie Allisons und Jennifers Eltern nicht  erreichen konnte. Sie wurde von der Empfangsdame in den zweiten Stock geschickt, wo ihr nur gesagt wurde, dass ihre Schwester im Operationssaal ist. Niemand wollte Jennifer Auskunft über den Zustand von Allison geben - erst wenn ihre Eltern anwesend waren. Nun also, nach über drei Stunden, vier Zigaretten und zwei Kaffee später, konnte Jennifer das weit entfernte Klicken der Schuhe ihrer Mutter und die donnernde Stimme ihres Vaters hören. Sie machte keinen Anstand, aufzustehen, sondern blickte weiterhin starr auf die Wand vor ihr.

„Jenny, Schätzchen", die Stimme ihrer Mutter klang nicht ein Stück erleichtert oder warm, eher wie das komplette Gegenteil, kalt und autoritär. „Steh bitte auf, sonst wird dein schönes Kleid noch ganz dreckig." Die Brünette verdrehte kaum merklich ihre Augen und richtete sich auf. Ihre Mutter schloss sie direkt in ihre Arme und Jennifer hatte das Gefühl, sie würde gleich an ihrem Parfum ersticken. Nachdem sie sich voneinander lösten, nahm Mr. Cort einen Schritt auf seine Tochter zu und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.

Frankie und Michael Cort waren so schnell wie möglich losgefahren, als sie die Nachricht erreichte, ihre jüngste Tochter müsste notoperiert werden. Das Ehepaar war auf Geschäftsreise außerhalb von Hawkins unterwegs und brauchten deshalb länger, um das Krankenhaus zu erreichen. Sie versuchten immer, so nah wie möglich an Hawkins zu bleiben, wenn sie auf Reisen gehen, doch manchmal können sie dies nicht entscheiden und müssen, zum Beispiel, ans andere Ende des Landes reisen. Auch wenn sie sich um ihre jüngste Tochter sorgen, finden Mr. und Mrs. Cort es dennoch unangemessen, ihr Geschäft zu vernachlässigen.

„Mr. und Mrs. Cort!", die Stimme des Arztes war Jennifer schon viel zu bekannt. Dr. Walter behandelte Allison schon seit ihrer Diagnose und ist einer der besten Ärzte auf seinem Gebiet. Er hat Allison und Jennifer aufwachsen sehen und wusste genau, wie sehr sich die beiden Schwestern liebten, auch wenn sie es nicht nach außen zeigten. „Schön, dass Sie es noch geschafft haben. Kommen Sie bitte mit in mein Büro, damit ich Ihnen in Ruhe die Situation erklären kann." Der Arzt führte die Familie in ein fensterlosen Raum und bat sie, Platz zu nehmen. Jennifer setzte sich auf den Stuhl neben ihrer Mutter und legte ihre Arme um ihren eigenen Körper, als ob sie sich selbst schützen könnte.

„Wie gesagt finde ich es schön, dass Sie es so frühzeitig schaffen konnten. Und auch schön das du, Jennifer, so schnell kommen konntest", sprach Dr. Walter und faltete seine Hände auf seinem Schreibtisch. „Wie Sie wissen, wurde ihre Tochter notoperiert. Der Grund dafür war eine unentdeckte Hirnblutung, die eine Lähmung ihres Herzkreislaufsystems hervorgerufen hat und zum kurzzeitigen Herzstillstand führte. Wir konnten Allison reanimieren und haben sie sofort operiert. Wir konnten die Blutung stoppen, jedoch haben einige Tests gezeigt, dass diese Blutung fatale Schäden in ihrem Gehirn hervorgerufen hat, die nicht mehr heilbar sind." Frankie keuchte erschrocken auf und Jennifer hätte sich in diesem Moment nichts sehnlicher gewünscht, als das ihre Mutter ihre Hand umgriffen hätte und gesagt hätte, dass alles wieder gut werden würde. Stattdessen griff Mrs. Cort nach der Hand ihres Ehemanns, welche er in seinen Schoß legte und drückte.

„Und was bedeutet das jetzt für Allison, wenn sie aufwacht?", fragte Michael, während er die Hand seiner Frau streichelte. „Bitte sagen Sie mir, dass sie wieder ein normales Leben führen kann.." Dr. Walter nahm seine Brille ab und seufzte. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl nach vorne und legte seine gefalteten Hände vor sich.

JENNIFER'S BODY [BILLY HARGROVE]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt