Ich umfasse den Schürhaken fester und greife mit der anderen Hand an den Türknauf. Zur Not kann ich mich mit dem kühlen Metall in meiner Hand wehren. "Findest du das nicht etwas dramatisch?", fragt mich Ash, der direkt hinter mir steht. Ich sehe ihn finster an. "Nicht, wenn ich dir damit gleich deinen Hintern retten werde!", zische ich und bin erschrocken über die Leichtgläubigkeit meines Bruders. Ich bin angriffsbereit, als ich die Türe öffne. Der Mann dahinter hebt sofort die Hände, als er den Schürhaken sieht. "Woah, alles okay. Ich werde euch beiden nichts tun", sagt er erschrocken. Sein Gesicht ist zur Hälfte mit einer Atemmaske bedeckt. Er trägt einen dicken dunkelblauen Overall und Handschuhe. Mit erhobenen Händen kommt er auf uns zu. "Mein Name ist Will Stuart", sagt er mit einem aufmunternden, aber vorsichtigen Lächeln. "Ich bin ein Tracker."
Ich runzle die Stirn. "Tracker?", wiederhole ich. Will nickt. "Ein Hilfsteam aus Camp Eden. Wir suchen nach Überlebenden." Zwei weitere Personen betreten den Raum. Ein Mann mit rundem Gesicht und feuerrotem Haar und eine ältere Frau mit olivfarbener Haut und Pferdeschwanz. Beide tragen den gleichen blauen Overall wie Will. "Und das sind Darren und Rita." Er deutet auf den Rothaarigen und die Frau. Beide nicken Ash und mir freundlich zu. Als ich merke, dass ich den Schürhaken noch immer fest in der Hand umklammert halte, werde ich rot. Diese Menschen scheinen uns tatsächlich helfen zu wolle und ich bedrohe sie. Will lächelt mich an und geht einen Schritt auf uns zu.
"Wie wäre es, wenn ihr beide uns eure Namen verratet?", schlägt er vor. Mein Bruder ergreift sofort das Wort.
"Ich bin Ash", sagt er bevor er mich vorstellt.
"Wie lange seit ihr schon hier?", fragt Will.
Seine braunen Augen sind warm und ich spüre, wie meine Anspannung gänzlich nachlässt. "Nur diese eine Nacht. Wir brauchten einen Unterschlupf, nachdem der Schneefall zu stark geworden ist", antworte ich.
Der Tracker nickt, dann deutet dann er auf den Jeep vor dem Haus.
"Wir bringen euch zum Camp wenn ihr wollt. Es erspart euch einen langen Fußmarsch", sagt er und ich sehe wie Ash neben mir zu zappeln anfängt. Er will wirklich mit ihnen gehen. Ich zögere.
"Hier draußen ist es für euch zu gefährlich." Rita tritt einen Schritt auf meinen Bruder und mich zu. Sie ist eine zierliche Frau und ich überrage sie um mehrere Zentimeter. An ihrem Oberschenkel sehe ich ein Beinholster, in dem eine Pistole befestigt ist. Ich frage mich, ob sie die Waffe schon einmal abgefeuert hat, dafür wirkt sie viel zu zart.
"Im Camp gibt es warme Zelte und genug Nahrung", sagt sie und ich werde hellhörig. Ash und ich brauchen wirklich mehr Essen, als die trockenen Müsliriegel und hin und wieder einer Dose Bohnen.
"Quinn, bitte", fleht mein Bruder und schließlich willige ich ein.Will und die beiden anderen Tracker warten draußen, während Ash und ich unsere Sachen zusammenpacken. Ich streife mir die Socken über und binde meine Schnürsenkel fest. Ash rollt die Decke zusammen und stopft sie zurück in seinen Rucksack. "Wieso hattest du Angst vor ihnen?", fragt er. "Ich meine, der Schürhaken. Das wäre nicht nötig gewesen." Ich sehe ihn finster an. "Wieso warst du dir so sicher, dass sie uns nichts tun werden?", gebe ich zurück. Ash fährt sich durch sein strubbeliges Haar. "Ich war einfach nur froh, nach Wochen wieder einen gesunden Menschen zu sehen", erwidert er mit vorwurfsvollem Ton. Ich stehe auf und greife nach meiner Jacke. "Will hätte ein Infizierter sein können, der uns umbringen will", sage ich und merke im gleichen Moment wie bescheuert dieses Argument eigentlich ist. Ash stöhnt. "Quinn, Infizierte sind keine Zombies, die andere umbringen wollen." Er schultert seinen Rucksack und geht aus dem Zimmer. Ich verdrehe die Augen, folge ihm aber. Soweit ich weiß mutieren Infizierte tatsächlich nicht zu menschenfressenden Zombies, aber der Virus lässt sie im weiteren Verlauf komplett durchdrehen. In diesem Stadium redet der Infizierte meist wirres Zeug, bekommt Halluzinationen und wird vor Schmerzen und Angst aggressiv. Der grausame Höhepunkt, bevor er endlich stirbt.
Als ich auf die Straße trete, sitzt Ash bereits im Jeep und sieht sich neugierig um. Ich rutsche auf den Sitz neben ihn und klemme mir den Rucksack zwischen die Füße. Während Darren und Will vorne einsteigen, nimmt Rita neben mir Platz. "Du hattest Angst", flüstert sie mir zu, als Will den Motor anschaltet. Das Brummen verhindert, dass die anderen sie hören können. Ich sehe sie an. "Keine Sorge. Die hatte ich auch, als sie mich fanden", sagt sie leise und lächelt mich warm an. "Ich will ihn nur beschützen", versuche ich zu erklären. "Ash?", fragt Rita und ich nicke. "Mein Bruder ist alles, was ich noch habe", flüstere ich und blicke auf meine Hände. Will tritt auf die Pedale und der Jeep fährt los. Während wir durch die Straßen der Kleinstadt auf den Highway fahren, geht am Horizont die Sonne auf. Der Schnee färbt sich erst grau, dann orange und schließlich weiß. Mittlerweile hat sich Rita in ein Gespräch mit Darren verwickelt und ich konzentriere mich auf die Straße vor uns. "Diese Strecke hätten wir laufen müssen", sagt Ash der aus dem Seitenfenster sieht. Sein Atem hat einen kleinen Teil der Scheibe vor ihm beschlagen. Ich nicke. "Es hätte auf jeden Fall länger gedauert", gebe ich ihm Recht. Ash kramt in seiner Jackentasche und holt das Zippo hervor. Er dreht es zwischen den Fingern, lässt es aber geschlossen. "Ich wünschte Dad säße mit uns in diesem Jeep", seine Stimme ist belegt. Ich lege ihm eine Hand auf die Schultern. "Dank dir sitzen wir beide jetzt hier drinnen", erwidere ich und versuche ihn damit aufzumuntern. "Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir noch eine lange Strecke vor uns gehabt." Ash sieht mich mit großen Augen an und ich glaube etwas Verwunderung in ihnen zu erkennen. "Hast du mir gerade dafür gedankt, nicht auf dich gehört zu haben?", fragt er und grinst michbreit an. Ich ziehe die Augenbrauen hoch, überlege, ob ich ihm diesen Triumph lassen soll. Am Ende kann ich nicht anders und fahre ihm durch das widerspenstige Haar. "So in etwa."
"Ich glaube das ist Eden", sagt Ash aufgeregt und lehnt sich nach vorne. Mittlerweile fahren wir seit einigen Stunden und das lange Sitzen wird unangenehm. Ich folge seinem Blick und ziehe staunend die Luft ein.
Das Camp ist riesig. Umgeben von einem meterhohen Drahtzaun besteht es aus hunderten weißen Zelten und einem großen Backsteingebäude. Von allen Seiten fahren weitere schwarze Jeeps auf ein Tor zu, das auch Will ansteuert. Ich lehne mich neugierig nach vorne, um besser sehen zu können. Wir sind angekommen.Das Tor wird von bewaffneten Soldaten bewacht und nur jeweils ein Jeep darf passieren. Ich sehe Menschen mit Atemmasken und Rucksäcken zwischen den Zelten laufen. Familien, Kinder, Erwachsene und unter ihnen immer wieder Soldaten und Personen mit grellorangenen Bändern um den Arm.
Es sind mindestens hunderte Überlebende, die ich durch das Autofenster sehen kann, und ich rutsche aufgeregt auf meinem Sitz herum.
Für Wochen kam mir die Welt wie ausgestorben vor und hier scheinen alle versammelt.
Ich kann ein breites Grinsen nicht unterdrücken. Darren lehnt sich nach hinten und deutet auf die Zelte.
"Wir sind hier in einem separaten Teil des Camps. Ein Erstauffanglager, das völlig von dem eigentlichen Camp abgetrennt ist. Hier kommen alle Neulinge an und bleiben es auch fürs erste, bis sie als negativ getestet werden", erklärt er. "Negativ auf die Seuche?" hake ich nach und er nickt.
"Genau. Wir wollen nicht, dass eine verseuchte Person alle anderen ansteckt."
Er schnalzt mit der Zunge. Neben mir runzelt Ash die Stirn. "Aber diese Person kann solange andere Menschen infizieren, bis man die Testergebnisse sicher hat", erwidert er.
Darren nickt. "Dieses Risiko muss die Campleitung eingehen. Nur gesunde Menschen dürfen in das Camp und auch dort werden regelmäßig Bluttests durchgeführt", sagt er.
"Therese Clark ist die oberste Campleiterin", erklärt Rita, die mein fragendes Gesicht gesehen haben muss.
"Wie viele Menschen sind zurzeit in Eden?", frage ich Darren, der jedoch mit den Schultern zuckt. Stattdessen meldet sich Will zu Wort: "Bei der letzten Zählung waren es über neuntausend. Jeden Tag kommen noch mal Hundert dazu."
Ich muss schlucken. Ich weiß, das Camp Eden nur eines von vielen Camps in den Staaten ist, aber die Zahlen sind doch sehr niedrig. Er fährt auf eine Gruppe weißer Zelte zu und hält den Wagen neben ein paar anderen Jeeps.
"Jetzt noch mal ganz offiziell: Willkommen in Eden", sagt er feierlich, und stellt den Motor ab.Bisher sind es noch nicht wirklich viele Leser, aber ich freue mich über jeden Einzelnen von Euch sehr!! Wenn ihr Lust habt, dann lasst doch einen Kommentar da. Wie würdet ihr Euch bei einer tödlichen Seuche verhalten? Was wird wohl in Camp Eden passieren? Und ist diesen Trackern wirklich zu trauen? Stürzt Euch auf die Tastatur und schreibt drauf los;)
DU LIEST GERADE
Die Seuche #FirstBookAward2019
Science FictionDie Seuche bringt den Tod. Wer überleben will muss fliehen. Diese Regel befolgen auch Quinn und ihr kleiner Bruder Asher. Ihr Ziel ist Camp Eden, ein militärisches Auffanglager. Doch selbst hinter seinen schützenden Zäunen ist niemand sicher. Quinn...