Asher
Ich schnappe Dads Zippo auf, und wieder zu. Es ist ein einfaches Feuerzeug, silbern und ohne eine Gravierung, aber es ist, als wäre ein Teil von Dad bei mir. "Ist das deins, Junge?", fragt mich Will. Ich mag es nicht, wenn er mich Junge nennt. Mein Großvater hat das immer getan, und es lässt ihn alt klingen. Dabei ist Will nicht wirklich viel älter als ich. Vielleicht zwanzig, aber nicht mehr. "Ja. Mein Dad hat es mir geschenkt", antworte ich und drehe das Feuerzeug in meiner Hand. "Kann ich es mal ansehen?" Will hält mir seine offene Hand entgegen und ich lege das Zippo hinein. Er klappt es auf und entzündet die Flamme. "Hast du damit schon einmal etwas angezündet?", fragt er und pustet gegen die kleine Flamme. Sie zittert ein wenig, geht aber nicht aus. "Ich habe Feuer in den Kaminen gemacht, wenn Quinn und ich in einem Haus übernachtet haben", sage ich und greife wieder nach meinem Feuerzeug. Will zieht es weg und lacht verhalten. "Nein, ich meine etwas Großes. Etwas, was du nicht mehr kontrollieren kannst, wenn es einmal brennt", erwidert er und sieht mich an. Ich schüttle den Kopf. "Wieso sollte ich das tun, wenn ich keine Kontrolle darüber habe?" Ich verstehe seine Frage nicht. "Dinge könnten Feuer fassen, von denen ich nicht will, dass sie brennen. Oder Menschen verletzen sich." Ich halte Will meine Hand hin, damit er mir mein Feuerzeug zurückgibt. Doch er lässt seine Handfläche darüber kreisen und blickt wieder zurück auf die Flamme. "Genau das meine ich, Ash. Wenn du die Kontrolle verlierst, weil einfach zu viel brennt", sagt er dann und lässt seine Hand tiefer nach unten sinken, bis der gelbe Schein seine Handfläche beleuchtet. So nahe an der Flamme müsste es ihm wehtun, doch Will verzieht keine Miene. "Und du siehst den Flammen dabei zu, wie sie alles verbrennen, was du besitzt. Wie das Feuer diejenigen verschlingt, die du liebst und dann brennst auch du." Seine Handfläche streift die Spitze der Flamme, dann zieht er sie weg. Ich atme auf. Ein dunkelroter Punkt hat sich inmitten seiner Handfläche gebildet, aber Will scheint die Verbrennung egal zu sein. "Kann ich bitte mein Feuerzeug zurück haben?", stottere ich. Trotz meiner dicken Jacke und dem Overall darüber friere ich. "Klar", sagt Will und reicht es mir. Das Chrom ist warm von der Flamme und ich umschließe es fest in meiner Faust. Will klopft mir auf die Schulter und fährt mir durch das Haar. "Pass gut darauf auf. Du willst doch nicht, dass es aus Versehen etwas anzündet." Ich schiebe das Feuerzeug zurück in meine Tasche und nehme mir vor, es nicht mehr herauszunehmen, wenn Will dabei ist. "Können wir jetzt bitte weiterfahren?", frage ich ihn und springe von der Ladefläche. Will verzieht das Gesicht und hält sich die Hand vor den Mund. Sein Gesichtsausdruck verdunkelt sich. Ich runzle die Stirn. "Alles okay mit dir?" Will antwortet nicht sofort, doch dann nimmt er die Hand herunter und nickt. "Natürlich, Großer. Steig schon einmal ein, ich muss noch mal..." Er grinst schief. "...eine Stange Wasser in die Ecke stellen. Wenn du weißt, was ich meine." Will lässt sich von der Ladefläche gleiten und ich sehe ihm hinterher, wie er in die Büsche verschwindet.
Will übertrifft mit seinem Toilettengang alle Mädchen aus meiner alten Schule. Er braucht eine Ewigkeit. Ich öffne die Wagentür und steige stöhnend aus. Der Jeep hat eine Heizung und hier draußen ist es noch immer eiskalt. "Was brauchst du denn so lange? Ist dir was eingefroren?", rufe ich in Richtung der Büsche. Keine Antwort. "Mann Will, ich will los!" Durch die Kälte ist der Teer unter meinen Füßen aufgesprungen und ich kicke einen Steinbrocken weg. Er fliegt über die Straße und bleibt im Gras vor den Büschen liegen. Ich kicke einen zweiten Brocken und er landet direkt neben dem ersten. "Mach schon!", rufe ich und schlendere genervt zu den Steinen. Als ich in das feuchte Gras fasse um einen Brocken aufzuheben, höre ich ein raues Husten. "Will?" Keine Antwort. Ich steige unter einem herunterhängenden Ast hindurch und blicke mich suchen um. Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Gefrorene Blätter knirschen unter meinen Stiefel, als ich mir durch weiteres Gestrüpp dränge. Dahinter steht Will und hustet rau. Dünne Blutfäden hängen von seinem Mundwinkel herab und er ist aschfahl. Ach du Scheiße!
Will würgt ein weiteres Mal, spukt Blut. Stöhnend lässt er sich auf die Knie fallen und hält sich mit schmerzerfülltem Gesicht den Bauch. Plötzlich sehe Mum vor mir. Sie liegt auf dem Küchenboden, würgt Blut und stöhnt voller Schmerz. Tränen steigen mir in die Augen und ich taumele ein paar Schritte zurück. Nein!
"Was tust du hier?" Will hat mich entdeckt und richtet sich stöhnend auf. Seine Stimme ist panisch. Er fährt sich mit dem Ärmel über den Mund und wischt das restliche Blut weg. Seine Augen haben sich verdunkelt. "Geh zurück zum Wagen!", brüllt er mit heiserer Stimme und es ist keine Bitte. Ich widerspreche nicht und tue was er sagt. Ich will so schnell wie möglich weg von hier.
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Die Seuche #FirstBookAward2019
Science FictionDie Seuche bringt den Tod. Wer überleben will muss fliehen. Diese Regel befolgen auch Quinn und ihr kleiner Bruder Asher. Ihr Ziel ist Camp Eden, ein militärisches Auffanglager. Doch selbst hinter seinen schützenden Zäunen ist niemand sicher. Quinn...