Kapitel 7. /2

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Will

Ein letztes Mal versichere ich mich, dass Asher schläft. Seine Atmung geht langsam und er reagiert nicht, als ich leicht an seiner Decke ziehe. Ich lehne mich zurück in meinen Sitz und blicke aus dem Frontfenster. Die Nacht hat die Straße vor mir in völlige Dunkelheit getränkt, doch ich weiß genau wo das Haus steht. Mein Mund fühlt sich trocken an, und ich greife nach der Wasserflasche neben mir. Es sind nur noch wenige Schlucke übrig, die ich gierig austrinke. Als ich die leere Flasche auf den Beifahrersitz fallen lasse, fühlt sich mein Mund noch staubiger an als zuvor. Ich habe keinen Durst. Nicht auf Wasser. Maya. Wenn sie es wirklich ist... Der Junge hat sie richtig beschrieben. Meine Kehle fühlt sich wie zugeschnürt an und ich beiße mir fest auf die Zunge. Es ist so verdammt lange her. Ich vermisse sie so sehr. Es tut so weh, Maya!

Als ich die Haustüre öffne empfängt mich ein widerlicher Gestank. Ich weiß, von wo er herrührt. Vom wem. Aber ich will sie sehen. Der Stoff meines Ärmels mindert den stechenden Geruch, als ich ihn über Mund und Nase drücke. Gott. Ich unterdrücke ein Würgen und trete entschlossen ein. Die Holzdielen unter meinen schlammigen Stiefeln knarren, ansonsten ist es vollkommen still. Ich habe meine Taschenlampe im Wagen liegen lassen und im Haus ist es noch dunkler als draußen. Meine Finger gleiten über die Tapete und ich mache kleinere Schritte um nicht gegen ein Möbelstück zu laufen. Aber ich brauche kein Licht um den Weg zu finden. Der Gestank wird mit jedem Schritt schlimmer und mittlerweile atme ich durch den Mund um nicht würgen zu müssen. Dann sehe ich sie. Der Mondschein fällt auf ihr Gesicht, erleuchtet es wie das einer Heiligen. Der Verwesungsgeruch ist einfach überwältigend und bei dem Anblick von Mayas Überresten spüre es sauer meine Kehle heraufsteigen.

Blind stolpere ich aus der Türe und kotze auf die Veranda. Als ich nur noch trocken würgen kann, lasse ich mich auf die Knie fallen und lasse meinen Tränen freien Lauf. Es ist mir scheißegal! Wilde Schluchzer überkommen mich und schütteln meinen ganzen Körper. Ich habe sie gehen lassen! Ich habe Maya nicht beschützten können! AAHHH!" Der Schrei bricht aus meiner Kehle und scheint meine Stimmbänder zu zerreißen. Immer und immer wieder schreie ich, grabe meine Finger in die festgefrorene Erde, doch dieser unglaubliche Schmerz vergeht nicht. Ich weiß, dass er das niemals tun wird. Der ekelhafte Geschmack aus meinem Mund geht nicht weg. Ich spucke auf den Boden bevor ich mir mit dem Ärmel den Mund abwische. Schließlich bringt mich die Kälte dazu aufzustehen und von der Veranda zu treten. Ich laufe um das Haus herum, bis ich finde, was ich suche. Eine Schaufel lehnt an der Hauswand und ich nehme sie mit in den Garten. Ich kann Maya nicht einfach im Haus liegen lassen. Ich atme tief durch. Meine Gedanken fühlen sich abgehakt und dickflüssig an. Dann fange ich an zu graben. Der Boden ist gefroren und meine Arme beginnen zu schmerzen. Es ist mir egal. Ich mache einfach weiter. Immer weiter. Das erste Morgenlicht bricht durch die kahlen Baumwipfel, als das Grab endlich tief genug ist. Ich lasse die Schaufel erschöpft fallen und sinke auf die feuchte Erde. Meine Hände zittern vor Kälte und vor Schmerz. Ich fühle nichts als Leere. Vielleicht werde ich niemals etwas anderes mehr fühlen. Ich stehe wieder auf und greife nach der Schaufel. Ich brauche einen Grabstein, ein Kreuz. Irgendetwas. Im Vorgarten grabe ich einen Trittstein aus. Ich trage ihn zu Mayas Grab und nehme mein Taschenmesser aus der Jackentasche. Der Stein wetzt die Klinge ab, aber ich drücke nur noch fester zu. Die Buchstaben sind schief und nicht tief genug. Frustriert schleudere ich das Messer gegen den Stein. Es prallt ab, und fällt ins Gras. Ich will vor Verzweiflung losbrüllen, doch es sind nur Schluchzer, die über meine Lippen kommen.

"Will?"

Die Seuche #FirstBookAward2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt