Ash wartet wie versprochen vor der Cafeteria auf mich. Heute Morgen ist er zurück nach Camp Eden gekommen. Ich nehme ihn fest in den Arm und fahre durch seinen widerspenstigen Blondschopf. Als er sich von mir löst, sehe ich seinen besorgten Blick. "Gabe hat mir von dem Vorfall erzählt. Bist du okay?", fragt er mich. Ich runzle die Stirn. "Wer ist Gabe?" "Ein Teamkamerad", antwortet Ash. "Er kennt Darren." "Mir geht es gut, es war nur ein Schock", sage ich und gehe zur Tablettausgabe. Während ich nach Teller und Besteck greife, merke ich, wie mir mein Bruder immer wieder besorgte Blicke von der Seite zuwirft. "Wirklich, es ist alles in Ordnung", mache ich ihm klar. Ich kann diese besorgten Blicke wirklich nicht mehr sehen. Caleb, Erin und jetzt auch noch mein Bruder. Sie alle haben denselben Gesichtsausdruck, wenn sie mit mir über den Vorfall reden. "Wie geht es Caleb?" Ash nimmt einen Teller vom Stapel. "Seine Wunde ist schnell verheilt. Die Klinge hat keine wichtigen Organe getroffen", gebe ich zurück und merke, wie mich diese Worte immer wieder erleichtern. Mein Bruder schüttelt den Kopf. "Ich kann einfach nicht verstehen, wieso dieser Mann das getan hat." Während ich mir Erbsen und Reis auftue, denke ich darüber nach. "Er wollte geheilt werden. Ein Medikament gegen die Seuche, das wir ihm nicht geben konnten", antworte ich schließlich. "Er hatte unglaubliche Angst vor dem Sterben. Seine Augen... Sie waren voller Panik." Bisher habe ich nie wirklich über Jonathan Hales nachgedacht. „Das waren nur Infiziertenaugen. Die sehen bei allen schrecklich aus", sagt Ash. „Ich meine, ihre Hirne werden aufgefressen. Sobald diese einmal besudelt sind, verlieren Infizierte ihre Menschlichkeit. Das man da nicht mehr glasklar schaut ist wohl verständlich." Ich greife mir einen Apfel von der Theke und lege ihn auf mein Tablett. „Ich glaube in Jonathan steckte noch mehr Menschlichkeit, als wir denken."
Wir finden einen freien Tisch im hinteren Teil des Raums und setzen uns. Ich habe in den letzten Tagen kaum Appetit gehabt, weswegen ich heute besonders hungrig bin. Während ich mir Reis mit Soße in den Mund stopfe, erzählt mir Ash von seinen Touren. "Will und ich haben eine Familie in Ryderwood aufgegabelt", sagt er mit leuchtenden Augen. "Heute Morgen habe ich mitbekommen, dass sie alle negativ getestet wurden." Er strahlt und ich kann nicht anders als breit zu lächeln. Dann verändert sich sein Gesichtsausdruck und er blickt auf seinen Teller hinab. "Erinnerst du dich noch an das Mädchen in dem Haus?", fragt er plötzlich und sieht mich unsicher an. Wie könnte ich sie vergessen. Ich nicke. "Ihr Name war Maya Willis", sagt Ash langsam und sticht eine Erbse mit der seiner Gabel auf. "Woher weißt du das?", frage ich ihn verwundert. "Will hat ihren Namen auf ihren Grabstein geritzt. Wir haben sie zusammen begraben." Oh Gott. "Er kannte diese Maya also?", gebe ich zurück. Maya. Ein schöner Name. Ash nickt. "Er hat sie geliebt. Die beiden kamen zusammen ins Camp, aber Mayas Testergebnisse waren positiv." Ich beiße mir auf die Lippen. "Es muss die Hölle für Will gewesen sein", erwidere ich. Mein Bruder zuckt mit den Schultern. "Hast du Dads Zippo noch?", frage ich ihn und Ash lächelt mich an, dankbar für den Themenwechsel. Er holt es aus seiner Jackentasche und klappt es auf. "Ich trage es immer bei mir", sagt er und entfacht das kleine Flämmchen. "Es ist, als wäre Dad auf den Touren bei mir. Das beruhigt mich", erklärt er und blickt in die Flamme. Als ich nicht direkt antworte, sieht er mich an. "Das klingt total bescheuert, hab ich Recht?" Ich höre die Verunsicherung in seiner Stimme mitschwingen und schüttle energisch den Kopf. "Überhaupt nicht, Ash. Es ist gut, dass du etwas hast, das dich an ihn erinnert", erwidere ich und lächle ihn an. "Manchmal kommt es mir nur so vor, als wäre ich völlig alleine dort draußen", spricht Ash weiter. "Als du bei mir warst, war es einfacher." Seine Worte versetzen mir einen Stich. "Es sind nur die Touren, auf denen ich nicht bei dir bin. Du kannst doch jederzeit wieder zu mir ins Camp kommen und außerdem ist Will bei dir." Ich hoffe, dass ich meinen Bruder ein wenig aufmuntern kann. Er ist eben doch noch fast ein Kind. Ash zerdrückt ein paar Erbsen auf seinem Teller, dann sieht er mich an und lächelt. "Will ist cool." Ich grinse breit zurück und wende mich wieder meinem Mittagessen zu. Trotzdem habe ich das seltsame Gefühl, dass er mir etwas verschweigt. "Musst du bald wieder los?", frage ich und schiebe mir eine weitere Gabel Reis in den Mund. Zu meiner Überraschung schüttelt Ash den Kopf. "Ich habe mir ein paar Tage freigenommen. Es gibt genug Tracker, die meine Schicht für diese Zeit übernehmen können", sagt er und ich strahle ihn an. In der letzten Zeit habe ich meinen Bruder sehr vermisst und ich bin überglücklich ihn für ein paar Tage wieder bei mir zu haben.
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Die Seuche #FirstBookAward2019
Ficção CientíficaDie Seuche bringt den Tod. Wer überleben will muss fliehen. Diese Regel befolgen auch Quinn und ihr kleiner Bruder Asher. Ihr Ziel ist Camp Eden, ein militärisches Auffanglager. Doch selbst hinter seinen schützenden Zäunen ist niemand sicher. Quinn...