Weißer Lack

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Wenige Tage später verweilte Dean mit Sams Laptop in einem Café und recherchierte über den nächsten Fall. Sam fühlte sich nicht gut, also hatte er seinen Bruder im Motel zurück gelassen.

Dean war auch nicht in bester Verfassung. Mit Kopfschmerzen versuchte er einen schlecht gescann­ten Text über japanische Dämonen zu analysieren. Er konnte sich beim besten Willen nicht zu­sammen reimen was einen "Oni" in die amerikanische Provinz verschlug, außerdem waren seine Gedanken ganz woanders.

Die vorige Nacht hatte einige verrückte Ausflüchte mit sich gebracht. Trotz seiner Betrunkenheit, wusste er noch jedes Detail. Er verfluchte sein Gedächtnis dafür, sich an den Geruch der Stripperin­nen zu erinnern; eine Mischung aus aromatisiertem Gleitgel, Kör­perflüssigkeiten und Wodka, des­sen pure Erinnerung ihn zum Würgen brachte. Waren es zwei oder drei Frauen gewesen? Ihre Ge­sichter wirkten verschwommen, doch nicht die Dinge, die sie mit ihm ange­stellt hatten. Dinge, die in der Retrospektive einen bitteren Nachgeschmack hinterließen.

Gerade als seine Laune ihren Tiefpunkt erreichte, wurde er angesprochen. Jemand wollte sich auf den freien Platz an seinem Tisch setzen. Er nickte, ohne dem Mann Beachtung zu schenken. Er be­merkte nicht einmal, dass das Café eigentlich halb leer war.

"Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen? Sie wirken, als könnten Sie einen vertragen.", fragte sein Gegenüber und erst in diesem Moment hob Dean den Blick, um ihn zum ersten Mal wahrzuneh­men. Er war etwa Ende Zwanzig und auffällig gut gekleidet. Das schwarze Haar zurückgekämmt, trug er einen eleganten Freizeitanzug. Seine klaren, blauen Augen trafen so unverhofft in Deans, dass er sich irgendwie er­tappt fühlte, auch wenn er nicht wusste bei was.

"Oh äh – Ich hatte eine lange Nacht...", brachte er hervor.

Als die Bedienung ihm Kaffee einschenkte, nahm er ihn dankend an, doch wollte gleich wieder an seiner Recherche arbeiten. Der fremde schien ihn immer wieder vorsichtig zu mustern, sodass er sich bald in seiner Einsamkeit ge­stört fühlte und den Laptop zu klappte. Sein Blick schweifte nach draußen. Auf dem Parkplatz stand ein weißer Chevrolet, der seine Auf­merksamkeit auf sich lenkte. Der Mann musste gesehen haben, wie Deans Augen sich weiteten, denn nun sagte er nahezu beiläu­fig: "Sie mögen meinen Wagen?"

Dean verschluckte sich am heißen Kaffee. "Der Caprice gehört Ihnen?!" Er nickte verlegen. "Wissen Sie, ich habe einen Impala!"

"Tatsächlich? Der Impala ist solide. Ich überlege, ob ich umsteigen soll. Abgesehen davon ist der weiße Lack sehr anfällig."

"Machen Sie Witze?! Wer würde so eine Luxuskarosse gegen einen Mittelklassewagen eintauschen?", rief Dean und rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. "Hey, wäre es okay, wenn ich kurz raus gehe und ihn mir mal ansehe?"

Der junge Mann lächelte freundlich. "Kommen Sie."

Er bezahlte die Rechnung und führte Dean zu seinem Wagen. Dean ging auf das Fahrzeug zu, als wäre es ein heiliger Gegenstand. Seine Fingerspitzen zitterten, als er sie auf die elfenbeinweiße Motorhaube legte.

"Wahnsinn...", flüsterte er leise zu sich selbst. "Was für ein Traumauto."

"Wollen Sie eine Runde drehen?", fragte der dunkelhaarige charmant und Dean bekam glühend rote Wangen.

"E'-Ernsthaft?", stotterte er. Diesen Mann musste der Himmel geschickt haben. Zumindest fühlte es sich so an, als er die Schlüssel des Caprice Classic in die Hand gedrückt bekam. Er konnte es gar nicht glauben.

Das Innenleben war aus beige-braunem Leder, die silbernen Steuerknöpfe leuchteten frisch poliert. Der Wagen roch so unverschämt gut, dass er sich gleich wie zuhause fühlte und am liebsten gar nicht mehr ausgestiegen wäre. Als er den Motor schnurren hörte, zog sich alles in ihm zusammen. Er warf noch einmal einen prüfenden Blick zu dem Mann, der für sein plötzliches Glückserlebnis verantwortlich war. Er stand dort, die Hände in den Manteltaschen vergraben, souverän grinsend.

Also fuhr Dean eine Runde um den Parkplatz. Zuvor hatte er allerdings die Musik ausschalten müs­sen, denn scheinbar hörte seine neue Bekanntschaft gerne Klassik und das war wirklich nichts für Dean. Als er das Auto wieder auf dem Parkplatz abstellte, fühlte er sich wie neu geboren.

"Sie haben mir wirklich den Tag gerettet!"

"Wenn so etwas Kleines ausreicht Ihren Tag zu retten, sind Sie ziemlich bescheiden."

"Ich glaube man hat mir schon alles Mögliche unterstellt - aber Bescheidenheit?!"

Da mussten beide lachen. "Ich muss jetzt los.", meinte Dean mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Auch wenn Sam krank war, wartete noch die Jagd nach dem Oni auf sie. "Danke noch mal."

Der dunkelhaarige Mann lächelte sanftmütig und sagte "Man sieht sich."

Dean zögerte, überlegte, ob er nach seinem Namen fragen sollte, doch sein Mut verebbte schnell. Dieser Typ lebte offensichtlich in einer ganz anderen Welt. Wie sollte ein Prolet wie Dean dort hinein passen?

"Bis dann.", sagte Dean, hob die Hand zum Abschied und stieg in den Impala.

Eine halbe Stunde später kam er wieder bei Sam im Motel an. Sam war mittlerweile aufgestanden und hatte geduscht. Trotzdem sah er kränklich aus. Über seinen Augen lag ein benommener Schleier und er nieste, als Dean ihm sein Frühstück in die Hand drückte.

"Willst du nicht lieber zuhause bleiben, Sammy?"

"... um dich einem wild gewordenen Geist auszuliefern? Vergiss es, Dean!" Sam holte sein Früh­stücksbrötchen aus der Tüte und nahm einen gierigen Bissen.

Dean warf sich aufs Bett und flötete: "Das schaffe ich schon!"

"Nanu? Heute einen Optimisten gefrühstückt?"

Gerade wollte Dean kontern, da entdeckte er einen weißen Umschlag mit seinem Namen auf dem Nachttisch. "Was ist das?"

"Keine Ahnung. Hat das Zimmermädchen vorhin gebracht."

"Hoffentlich keine Rechnung... Wir haben kaum noch Kohle übrig." Er riss den Umschlag auf und überflog die wenigen Zeilen, geschrieben von einer schön geschwunge­nen Handschrift, die er irgendwo schon mal gesehen hatte... Er lachte auf.

"Ich fasse es nicht!"

"Was steht drin?", fragte Sam kauend.

Dean schüttelte ungläubig den Kopf. "Ein Gedicht! Es ist ein verdammtes Gedicht! Über mich!"

Sam lachte. "Die Rosenlady meldet sich also wieder zu Wort! Na los, ließ vor!"

"Ich kann nicht, Sam! Es ist zu - wie soll ich sagen... Lies es dir selbst durch."

Er reichte seinem Bruder den Brief und Sam las vor:

"Wie ein Sturm fegst du über mich hinweg und hinterlässt mich wie das aufgewühlte Meer.

Neben tausend Sternen in der Nacht, bist du der Mond, der hell für mich strahlt. Du bist der Prinz, der über das Königreich meines Herzens wacht."

Beide brachen in schallendes Gelächter aus. Sam hatte alles mit lächerlich dramatischer Betonung vorgetragen und seinen Teil dazu beigetragen.

"Oh Mann, Dean! Dieses Mädchen muss wirklich verstrahlt sein einen Prinzen in dir zu sehen! Zu­mindest hat sie dich nie essen sehen!", gluckste Sam. "Aber schreiben kann sie, das muss man ihr lassen. Auch wenn es irgendwie schon fast unheimlich ist, dass sie weiß wo wir sind. Möglicher­weise haben wir es mit etwas Übernatürlichem zu tun. Vielleicht mit einem Dämon der Wollust?"

"Mensch Sam, du gönnst mir aber auch gar nichts! Da habe ich einmal eine heimliche Verehrerin und du musst es gleich schlecht reden."

"Du brauchst nicht noch mehr Verehrerinnen.Wobei diese zumindest ein Bisschen Grips zu haben scheint.", grinste Sam.

„Ich werde später darüber nachdenken. Jetzt sollten wir lieber den Dämon jagen, bevor das nächste Opfer dran glauben muss. Bist du bereit?"

Sam warf die leere Brötchentüte weg, nahm eine Aspirin Tablette gegen die Erkältungssymptome, und nickte entschlossen.

EVER THINEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt