#1 Prolog

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Es war 13:08 Uhr, als seine Augen auf mich trafen. Er musterte mich von oben bis unten. Sein Blick blieb an meiner Oberweite hängen, kurz, aber lang genug, dass ich es bemerkt habe. Seine langen, blonden Haare waren zu einem kleinen Zopf nach hinten gebunden. Die Ärmel seiner Lederjacke mit dem Antifaschisten-Aufnäher waren hochgekrempelt, sodass man das Tattoo auf seinem Unterarm sehen konnte. Der Name und Todestag seines Vaters. Jap, er war definitiv einer der besonders coolen Sorte. Hinter seinem Ohr steckte die Zigarette, die er gerade im Unterricht frisch gedreht hatte. Ich kann ihn nicht ausstehen. Und doch finde ich ihn unbeschreiblich interessant.

"Olivia? Hey, Oli!" Meine Freundin rief mich aus meinen Gedanken zurück. "Willst du Jonas vielleicht noch offensichtlicher angaffen? Dann bring ich morgen mein Fernglas mit." Autsch. Das war wohl eindeutig. "Halt die Fresse, Ka." Katharina durchbohrte mich mit ihrem *ich-hab-dich-sowas-von-durchschaut*-Blick. "Na, nicht gleich zickig werden, oder hat da jemand seine Tage?" "Sag noch ein Wort und ich stopf dir den Mund mit meinem benutzten Tampon." "Oli, wenn du nur halb so eklig wärst, würde er trotzdem nicht mit dir sprechen." "Da hast du mir doch glatt den Tag versüßt. Schon mal daran gedacht, dass ich kein Interesse an ihm habe?" "Schon mal daran gedacht, dass ich dich besser kenne, als du dich selbst? Und jetzt schweig, da kommt Sebi." Sebi, also Sebastian, ist seit 13 Monaten mein fester Freund. Wir waren sowieso seit der ersten Klasse unzertrennlich und als es dann cool wurde, eine Beziehung zu haben, verbündeten wir uns, wie bei einer Partnerarbeit in Mathe. Er wohnt drei Häuser weiter von mir und bevor ich ihn morgens abhole, schmier ich ihm noch sein Pausenbrot. Seit ich denken kann ist er mein bester Freund. Sebi hatte seinen heißgeliebten *Kein-Mensch-muss-nüchtern-sein*-Pulli an und seine schwarzen Haare standen in alle Richtungen. Er hatte diese typische Boyband-Frisur, mit der Mann jedes Frauenherz zum schmelzen bringen konnte. Lässig schritt er durch die vollkommen überfüllte Aula auf uns zu. 13:10 Uhr, die Schule war aus und es war der letzte Tag vor den Winterferien. "Hey, Ka, was geht? Hallo, Hase." Mein Freund gab mir einen schnellen Kuss auf den Mund und ließ sich neben mir auf die Bank fallen. "Wenn ich jetzt einen Wunsch frei hätte, dann wäre es ein Bier." "Warte noch bis heute Abend. Da trink ich vielleicht sogar eins mit, oder 10. Ka, kommst du auch mit?" "Denkst du ich lass mir das entgehen? Süße, da kennst du mich aber schlecht. Ich bin die erste die kommt und die letzte die geht!" "Ist das ein Versprechen oder eine Drohung?" Dafür kassierte Sebi einen mittelmäßig harten Schlag auf den Oberarm von der hübschen Brünetten. "Das wirst du dann schon sehen, du ungezogener Lustmolch!" "Ruhig brauner, meine Freundin sitzt neben mir. Oli, die Verrückte macht mich an!", jammerte er. Ich konnte es mir nicht verkneifen, übertrieben offensichtlich mit den Augen zu rollen. "Ka, sag mir bescheid, wenn du mit ihm fertig bist, dann komm ich und hol ihn wieder ab." "Hase, auf welcher Seite stehst du eigentlich?" "Meistens auf der mit den besseren Argumenten und ihre sind größer." "Ihr seid beide Teufelsweiber, wisst ihr das eigentlich?" "Natürlich, was meinst du wie die Hörner beim Schminken stören?" "So unterhaltsam ich unseren Plausch auch finde, wir müssten allmählich Richtung Bus, sonst darf uns auch noch jemand abholen und ihr kennt meine Mutter, bei dem Schneewetter fährt die niemals!" Sie hatte Recht. Es war bereits viertel 2 und so langsam wurde es knapp mit der Zeit. Also packten wir zügig unsere Taschen zusammen und gingen hinaus in die Eiseskälte. Aus dem Augenwinkel konnte ich Jonas sehen, wie er mit seinen Jungs auf dem Raucherpfad  stand und die Luft verseuchte. Aber der Gedanke verflog schnell, als Sebi meine Hand nahm und mich mit zum Bus zog. Ich liebe ihn. Er ist chaotisch, manchmal sogar tollpatschig und vielleicht hat er einige Flausen im Kopf. Aber er ist auch lustig, verständnisvoll, beschützerisch und liebenswürdig. Unsere Beziehung ist vielleicht nicht perfekt, aber wir sind glücklich. "Hase? Ich freue mich auf heute Abend. Das wird unsere Nacht." Seine kastanienbraunen Augen strahlten mich an. "Und ich mich erst. Ich liebe dich." "Ich liebe dich auch."

Zuhause angekommen verlief alles gewöhnlich. Katharina und ich trafen uns zum Fertigmachen und Vorglühen, Sebi wollte zusammen mit seiner Fußball-Mannschaft auf die Feier kommen. "Wir treffen uns dort", hat er gesagt. Das ein oder andere Trinkspiel wurde zelebriert und alle bereiteten sich auf einen entspannten Abend vor.

Und dann ging alles ganz schnell.

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Überarbeitet ✔️

Wird bewertet von @woondershein

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