#18 Pinke Wände und eine Jukebox

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Svenja hatte nicht übertrieben als sie mir von dem heruntergekommenen Lokal am anderen Ende der Stadt erzählte. Heruntergekommen, das traf es ziemlich gut. Niemals wär mir das unscheinbare Gebäude aufgefallen, das zwischen den anderen wenigen Häusern in der Umgebung geradezu herausragend unscheinbar war. Die Fassade bröckelte bereits und die schmutzigen Wände waren mit wenig aussagekräftigen Graffiti geziert. Das wenige Licht der Straßenlaternen flackerte leicht. Da war kein Schild, keine Leuchtreklamen. Nichts an diesem Haus lud dazu ein, durch die Tür zu treten.

Und doch hielt uns nichts davon ab, den mysteriösen Nachtclub zu betreten. Der Türsteher winkte uns desinteressiert durch und brummte kurz genervt, als Svenja ihn mit „Hi Kevin" begrüßte. Wir gingen durch einen dunklen Gang, an dessen Ende eine Treppe war, die äußerlich genauso gut auch direkt in die Hölle führen könnte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass er Teufel höchstpersönlich hinter der Tür befand. Das klirren von Gläsern und die laute Musik, die hier wohl tendenziell eher in Richtung Punkrock gehen würde, drang gedämpft durch den Flur. Als wir die Tür öffneten stieg uns sofort der Qualm in die Nase und meine Lunge brauchte ein paar Sekunden, um sich an die gedrückte Luft zu gewöhnen. Mein Atem ging automatisch langsamer und ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Doch je mehr Eindrücke auf mich einschlugen, desto unsicherer wurde ich. Das war definitiv kein Club.
Ich fühlte mich wie auf der Familienfeier eines Fremden. Alles passte zueinander wie die Faust aus Auge. Niemand stach heraus, trotzdem wusste ich nicht, wo ich zuerst hinsehen sollte. Das einzige woran ich denken konnte war, dass ich kein Teil hiervon war. Ich war es gewohnt ein Einzelgänger zu sein, doch hier fühlte ich mich zum ersten Mal wie ein Außenseiter.

Der Trubel war unübersehbar, doch glich das Bild vor meinen Augen einem verkorksten und gleichermaßen idyllischen Stillleben. An der rechten Flanke war eine alte Whiskey-Bar, die genauso gut aus einem Western-Film geklaut hätte sein können. Die Männer davor hätten auf die Barhocker gewachsen sein können, so stimmig füllten sie den Platz. Jeder von ihnen war individuell passend in diesem lauten Treiben, doch sie hatten eines gemein: Sie alle trugen schwarze Lederkutten, die sie wie ein Team aussehen ließen. Oder wohl besser gesagt, wie eine Gang.

Mein Blick wanderte zu der Jukebox, die mir gegenüber an der Wand stand und fröhlich Musik von sich gab, besser als es jede Anlage hätte tun können. Ihr nostalgischer Anblick erwärmte mir kurz das Herz, wobei ich mich relativ schnell wieder fassen konnte. Davor tanzten einige Frauen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte und trotzdem ziemlich schnell als uninteressant abstempelte. So, wie sie sich mit Ärschewackeln bei den lüsternen Männern für ihre Getränke bedankten, würde ich mich wohl kaum mehr als nötig mit ihnen beschäftigen.

Links neben der Musikbox zweigte sich ein weiterer Flur ab, in dem ich die Toiletten vermutete. Davor stand ein grüner Billardtisch aus Holz, doch selbst dieser war nicht Klischee genug, um die Authentizität dieser Kneipe infrage zu stellen. Links vor dem Tisch vis à vis der Theke führten flache Stufen zu einer Empore, die allein noch mal so groß war wie die Tanzfläche. Dort oben standen einige Sitzgruppen mit Holzeckbänken, die mit rotem Stoff gepolstert waren. Einige Kleingruppen versammelten sich an ihnen, spielten Karten oder schimpften lautstark über die Benzinpreise, während andere genüsslich an ihren Zigaretten zogen und den vorhin genannten Frauen beim Tanzen zusahen. Dem Geruch nach war es nicht nur Tabak, der ihre Lungenflügel schwärzte.

All das registrierte ich binnen weniger Sekunden, als mich Svenja schon grob am Ärmel packte und an die Bar schleifte. „Svenja, Liebes, schön dich zu sehen.", begrüßte die Dame hinter der Theke freundlich meine Begleitung. Sie war mir tatsächlich nicht aufgefallen. „Hallo Susanna." Svenja erwiderte ihr Lächeln und setzte sich auf einen freien Barhocker, was ich ihr kurzerhand gleich tat. Auch ich zwang mir ein unechtes Lächeln ab, teils aus Angst, jemanden zu verärgern, teils aus Sympathie der älteren Frau gegenüber. Es widerstrebte wohl meinem Dasein, jedoch war die Güte in ihrer Stimme so herzerwärmend, das selbst mich ihre gute Laune ein wenig ansteckte. „Du hast Besuch mitgebracht." Spätestens als ihre sanften, braunen Augen auf meine trafen, war es um mich geschehen. Zugegeben, ich hatte wohl meine Probleme mit Menschen, aber rundliche Omas würden wohl immer eine Ausnahme hierbei machen. „Willkommen, meine Kleine, ich bin Susanna und wie heißt du?" Mein Lächeln wurde echter und sofort fühlte ich mich ein Stück wohler in meiner Haut. „Olivia", stellte ich mich höflich vor. „Ich hoffe, wir sehen uns noch öfter." Als ob sie meine Gedanken aus meinen Augen lesen kann, zwinkerte sie mir zu, dann wandte sie sich ab, nur um überschwänglich in die Hände zu klatschen. „So, was darf ich den beiden hübschen, sicherlich schon volljährigen und hochanständigen Damen, bringen?"

Wir bestellten zwei Jacky-Cola, tranken sie auf Ex und bestellten sofort zwei weitere. Svenja summte bereits leise bei manchen Liedern mit und auch ich verlor langsam aber sicher die Nervosität, die mich anfangs doch noch deutlich zügelte. So sagten wir auch ohne weiteres zu, als uns zwei junge Männer fragten, ob wir uns zu ihnen an den Tisch gesellen. Sie stellten sich bei mir als Luke und Antony vor, Svenja kannte die beiden bereits vom Sehen und stupste mich geheimnisvoll an, als wir von den Barhockern stiegen. „Falls du noch immer suchst, wirst du bei ihnen fündig.", flüsterte sie mir zu, während wir ihnen auf die Empore folgten. Wir unterhielten uns anfangs über belangloses, wobei es zunehmend schwerer fiel, den Anderen über die laute Musik hinweg zu verstehen. Ich fragte mich, warum ich die beiden nicht kannte, wobei sie doch beide eine gewisse Erscheinung darstellten. Luke trug eine zerschlissene Jeans und ein anthrazitfarbenes Shirt unter seiner Lederjacke, die passend schwarz zu seinen Springerstiefeln waren. Sein Outfit widersetzte sich jedoch vollkommen von seinem jugendlichen Gesicht, das durch die wild zerzausten blonden Haare noch unterstrichen wurde. Ich schätzte ihn nicht viel älter als uns ein, allerdings erzählte er mir, dass er außerhalb der Stadt studierte und ursprünglich aus Berlin stammte, er käme nur ab und an zum Feiern hierher. Das erklärte wohl auch, warum ich ihn trotz der überschaubaren Größe dieser Stadt bisher noch nie gesehen hatte. Antony stand Luke in nichts nach, wohingegen er den Rocker-Look noch mit einem langen, braunen Zopf bestärkte, in dem schwarze Zopfgummis in einem peinlich filigranen Abstand hingen. Würde er sie offen tragen, wären seine Haare sicherlich länger als meine gewesen. Seiner Lebensgeschichte hörte ich nur noch mit halben Ohr zu, da ich langsam mit der Frage kämpfte, wie ich mir bei den beiden das besorgen könnte, weswegen ich eigentlich doch hier war. Also entschuldigte ich mich mehr oder minder höflich bei ihnen und zog Svenja ungeduldig mit zu den Toiletten.

Entgegen meiner Erwartung waren die Wände des Frauenklos in einem grellen Pink gestrichen. Nachdem ich mich versicherte, dass wir alleine waren, sprang ich elegant auf den Tisch mit den Waschbecken und schaukelte mit den Beinen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es gerade mal 11 Uhr war und ich wurde kläglich daran erinnert, dass ich meinem Ziel noch kein Stück näher gekommen bin. „Warum sind wir schon so bald hierher gekommen?" Noch während Svenja ihren dunklen Lippenstift nachzog, warf sie mir einen skeptischen Blick zu. „Glaub mir, du willst hier nicht nach Mitternacht herkommen und noch nüchtern sein." Ich beließ es bei der Antwort und schwenkte zum eigentlichen Thema über. „Wie frag ich sie.. Na, du weißt schon." Nervöser als sonst stammelte ich die Frage, die mir schon den ganzen Abend auf der Zunge brannte. Svenja warf sich die Haare nach vorne, damit sie in lockeren Wellen über ihre Brüste fallen. „Das lass mal meine Sorge sein." Sie zwinkerte mir noch zu, bevor wir zurück an den Tisch gingen, jedoch nicht ohne unsere Gläser an der Bar nachfüllen zu lassen.

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Hallo ihr Lieben,
Ich weiß, dieses Kapitel ist nicht sonderlich spannend, doch es war mir wichtig, die Leute und die Stimmung in der Kneipe rüberzubringen. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist.
Die Action folgt dann im nächsten Kapitel.
Ich freu mich, haltet die Ohren steif.
Bis dann ✌🏼

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