"Was zur Hölle ist hier los." Jonas' smaragdgrüne Augen starrten mich entsetzt an, doch ich konnte mich nicht bewegen. Ich spürte, wie die Tränen immer weiter liefen, aber ich gab keinen Mucks von mir. "Olivia." Jonas stellte den Stuhl, den er Michael wohl über den Kopf gezogen hat, beiseite und kniete sich vor mir hin. Ohne zu zögern nahm er mich in seine Arme und streichelte sanft über meinen Rücken. "Alles wird gut.", flüsterte er und ich wusste, dass er log, aber es war mir egal. "Er.. Herr Thom, er.. er wollte.", ich brachte kaum ein Wort heraus. Meine Kehle war staubtrocken und mein Hals kratzte beim Versuch zu sprechen. "Du wirst ihn nie wieder sehen, das verspreche ich dir." Vorsichtig löste er sich aus der Umarmung, zog seine berühmte Lederjacke aus und legte sie mir über meine zitternden Schultern. Dann nahm er sein Handy und sprach mit jemanden, doch ich hörte kaum zu. Ich war nur noch physisch anwesend. Ich weiß nicht wieviel später, es hätten Minuten oder Stunden sein können, hörte ich Sirenen und ein Krankenwagen kam, sowie ein Polizei-Auto und ein schwarzer Audi A6. Direktor Kahn stieg hastig aus der Limousine und man konnte seinem verschwitzten Gesicht ansehen, dass er sich mehr als unwohl in der Situation fühlte. Als er fragte, was hier los sei, sah mich Jonas fragend an. Ich wollte meine Ruhe. Ich bin das Mädchen, deren Freund gestorben ist. Ich wollte nicht noch das Mädchen sein, das von ihrem Lehrer vergewaltigt wurde. Und ich hätte es ihm in 100 Jahren nicht zugetraut, doch tatsächlich verstand er mich. Er versicherte der Polizei, dass er rechtzeitig gekommen war, bevor etwas passieren konnte. Er versicherte den Ärzten, dass ich keine medizinische Hilfe benötige. Ich saß einfach nur da und sah ihm beim kläglichen Versuch, die Situation einigermaßen in den Griff zu bekommen, zu. Die Polizei führte den Widerling ab und Herr Kahn befreite mich gnädigerweise vom Unterricht für den Rest der Woche. Halbwegs überzeugt zogen die Sanitäter nach einer Weile wieder ab und alles in mir schrie danach, ganz weit weg zu gehen. "Ich bring dich nach Hause." Jonas' verständnisvoller Blick, der überhaupt nicht zu seinen sonst so taffen Gesichtszügen passte, musterte mich. "Ich will nicht nach Hause." Er nickte nur, nahm meine Hand und zog mich hinter ihm her nach draußen. Ich folgte ihm über den Pausenhof und wir kamen bei seinem Moped an. "Wohin fahren wir?" "Zu mir." Wortlos nahm ich den Helm und stieg auf, dann fuhren wir los, überraschenderweise in einem relativ vernünftigen Tempo. Als wir bei ihm ankamen gingen wir schweigend ins Haus und ich konnte mich noch halbwegs an den Weg in sein Zimmer erinnern. Die Bong stand auf dem Glastisch und es stank noch nach Marihuana. Ich setzte mich auf das Sofa und zog die Beine an, umschlang die Knie und starrte ins Leere. Jonas warf sich neben mir aufs Sofa, steckte sich eine Fluppe an und suchte nach dem imaginären Punkt, den ich fixierte, um ihn ebenso anzustarren. "Beim Kinder Zeugen denkt niemand daran zu fragen, ob man überhaupt Leben will auf dieser Welt. Weißt du, das Leben ist beschissen. Die ganze Welt hier ist verkehrt. Hier zu sein ist schwierig, kompliziert und schmerzhaft. Du kannst niemals so leben, wie du es willst. Du kannst immer nur damit arbeiten, was dir gegeben wurde. Sei es Geld, Talent, Aussehen, Kraft, Intelligenz. Alles Dinge, die man hat oder eben nicht hat. Und es interessiert niemanden wer du bist. Sie interessieren sich nur dafür, was du hast. Niemand fragt ernsthaft, wies dir geht. " Er hielt kurz inne. "Sterben ist leicht. Derjenige der stirbt muss sich keine Gedanken mehr machen, keine Sorgen. Er muss diese Welt nicht mehr ertragen. Aber Sterben ist auch egoistisch und feige." Er nahm einen großen Zug und pustete den Rauch in den trostlosen Raum. "Ich bewundere dich dafür, dass du nicht gehst." Ich sah ihm in die Augen, dann entgegnete ich ihm mit halbwegs fester Stimme: "Ich führe einen endlosen Kampf gegen die Welt. Ich kämpfe dagegen an, den Drang, alles zu beenden. Ich denke nur noch daran, welche Probleme ich lieber hätte, wieviele Menschen meine Probleme gerne hätten, weil ihre noch viel schlimmer sind. Wie stark diese Menschen sind. Aber das interessiert keine Sau." "Der Menschheit sind wir doch sowieso egal." Er lehnte sich nach hinten und schloss die Augen. "Sie sind alle so naiv. Mit ihren Träumen und Zielen. Im Glauben daran, dass alles gut werden würde. Wie oft muss dir das Leben in die Fresse hauen bevor du verstehst, dass du nicht glücklich davon kommst?" Ich dachte eine Weile über seinen Satz nach. Eine Träne schlich sich über meine heiße Wange und ich resignierte. Falls es noch einen Funken Hoffnung auf Glück in meinem Leben gab, war er heute erloschen. Ich habe es akzeptiert. Ich werde nicht glücklich sein. Niemals. Die Welt wird sich niemals ändern. Ein Mensch kann nichts erreichen, einfach so. Mehr Glück als Verstand ist nötig, damit sich in 100 Jahren irgendjemand noch an dich erinnert. Und als die Wut und die Verzweiflung aus meinem zerstreuten Geist wich, blieb nur noch vollendete Gleichgültigkeit.
Nach einer Weile stand Jonas auf und kramte in seinem Schreibtischschubfach. Er holte ein kleines Döschen aus Metall, das auf dem Deckel schon eingedellt war. Er kam auf mich zu, kniete nieder, öffnete die mysteriöse Schachtel und fragte: "Willst du mit mir Drogen nehmen?"Ich schmunzelte über sein Zitat und ohne Nachzudenken nahm ich mir eine kleine, weiße Tablette aus der Dose, legte sie unter meine Zunge und schloss die Augen.
Als ich die Augen öffnete, war nichts mehr, wie vorher. Die Farben waren stechend bunt und brannten in meinen Augen. Dennoch war es so interessant, das ich nicht eine Sekunde lang weg sehen wollte. Es machte Spaß. Ich freute mich über die Farben, die sich entgegen ihrer Natur vor meinen Augen bewegten. Sie tanzten zu einer Musik in meinem Kopf, die wie aus dem Nichts in der Umgebung ertönte. Eine fröhliche Melodie, zu deren Töne sich die Gegenstände schmiegten, vollkommen abnormal aber in einer alles überschattenden Harmonie. Meine Gedanken hingen an der Einrichtung des Zimmers, gefesselt von ihrem Farbenspiel. Die Faszination war überwältigend. Noch nie fühlte ich solch eine Begeisterung in mir. Ich sehnte mich danach, glücklich zu sein, also war ich es. Ich träumte davon, zu fliegen und ich flog. Der Rausch umarmte mich, legte sich um meine Glieder und hieß mich in seiner alternativen Realität willkommen und ich fühlte mich angekommen. Wenn ich sonst fehl am Platz war, war ich hier genau richtig. Das hier war meine Welt. Eine fröhliche, bunte Welt, in der nichts reales existierte, die erfüllt war von surrealen Schätzen. Ich liebte es. Jede Zelle meines Körpers genoss die Sorglosigkeit in dieser Welt. Es war wunderschön. Ich lachte laut auf und versuchte krampfhaft, nicht zu blinzeln, um keine Sekunde des Schauspiels zu verpassen.
An diesem Tag bin ich mit Jonas zusammen den Bach runter gegangen.
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Überarbeitet ✔️Guten Abend,
Nach langer Zeit habe ich mich wieder mit dieser Geschichte vertraut gemacht und da bald Weihnachten ansteht und damit auch mehr freie Zeit einhergeht, kann ich euch sagen, dass es bald sehr geil weiter gehen wird 😁 Also falls irgendjemand schon seit Wochen sehnsüchtig auf ein neues Kapitel wartet: Das Warten hat bald ein Ende und ich sorge dafür, dass es sich gelohnt hat!
Allen eine schöne Zeit und bis bald ✌🏼
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Sie wissen, was sie tun.
Teen Fiction„Wann verstehst du endlich, dass du bei mir nicht sicher bist?" „Wann verstehst du endlich, dass ich keine Sicherheit suche?" Er ist ihre erste große Liebe. Die Liebe von der Sorte, die man niemals vergisst. Seit seinem Tod wurde Olivias Herz kalt...