#4 Das Gespräch

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Der nächste Tag war für mich gelaufen bevor ich aufgestanden bin. Ich habe von ihm geträumt.

Wir waren im Garten seiner Oma und spielten Fangen. Wir waren etwa 11 Jahre alt, denn Sebi trug noch die Zahnspange, für die die anderen ihn gehänselt haben. Wir rannten über die Grünfläche, um uns herum tausend Rosen in den verschiedensten Farben. Dieser Garten war der romantischste Ort den ich kenne. In diesem Garten hat er mich das erste Mal geküsst. "Wenn du nicht willst das ich dich durchkitzel, dann musst du eindeutig schneller sein, du Schnecke!" "Seebii, ich bin keine Schnecke!" "Doch du bist eine Schnecke, lahm und schleimig und eklig. Fass mich ja nicht an!" "Maaaamaa, Sebi hat gesagt ich bin schleimig!!!" Wir fegten durch die Büsche und ich jagte ihn, ums Haus herum, durch das Erdbeerfeld und an den Tomaten vorbei, hinter die Garage und wieder über die Wiese ins Gebüsch. "Sebi, ich mag nicht mehr." Keuchend stand ich auf dem Rasen, die Hände auf den Knien abgestützt, nach Luft schnappend. Ich war noch nie besonders sportlich. "Sebi, komm raus, ich geb auf." Doch Sebi kam nicht aus dem Gebüsch. Also lief ich los und suchte nach ihm. Ich wurde langsam nervös, rief nach ihm, dann begann ich zu rennen, immer tiefer in das Gestrüpp. Die Äste, die ich streifte, hinterließen kleine Schnitte auf meiner Haut, doch ich ignorierte den Schmerz. "OLIVIAA!" "Sebi, bleib wo du bist, ich komme." "Olivia, beeil dich, schnell!" Und ich sprintete den Weg entlang, immer weiter in den angrenzenden Wald hinein. Ich ignorierte das Stechen in meiner Lunge und folgte seinem Hilferuf. Ich rannte und rannte, doch ich war zu langsam. Gerade als ich fast bei ihm war, als ich fast schnell genug war, spaltete sich die Erde unter seinen Füßen und er verschwand im Abgrund.

Schweißgebadet bin ich aufgewacht. Schlecht gelaunt schlurfte ich ins Badezimmer, wo ich erstmal eine heiße Dusche nahm. Es war 6 Uhr morgens, doch da ich eh nicht frühstücke hatte ich genug Zeit. Also föhnte ich in aller Ruhe meine schulterlangen, blonden Haare und band sie zu einem Dutt zusammen. Ich zog eine schwarze Skinny-Jeans an, die an den Knien gelöchert war, aber nicht, weil es modisch ist, sondern weil es mich im Suff damit einmal auf die Schnauze gehauen hat. Drüber zog ich einen schlichten, schwarzen Oversize-Pulli, der hauptsächlich bequem war und in der kalten Jahreszeit einigermaßen warm hält. Zum Schminken fehlte mir eigentlich die Lust, aber ich benutzte ein wenig Eyeliner und Mascara in der Hoffnung, nicht ganz so fertig auszusehen. Aber es war mir eigentlich egal. Früher, also vor drei Wochen, habe ich mich gerne mit Makeup ausgetobt, habe immer wieder mal was neues ausprobiert und es genossen, das Beste aus meinem äußeren zu holen. Es machte mir Spaß. Aber ich habe keinen Spaß mehr. Außerdem, für wen soll ich mich jetzt noch hübsch machen. Ich fand dich ohne Make-up immer schöner.

Bevor ich meine grauen Sneakers anzog, um zum Bus zu laufen, sah ich noch einmal in den Spiegel. Ich erkannte mich kaum wieder. Was ist aus der Schnecke geworden, die glücklich einem Jungen nachgerannt ist? Meine Augen waren dunkel unterlegt, ich weiß nicht, wann ich das letzte mal wirklich geschlafen hatte. Ich war nie besonders dünn oder schlank, ganz normal denke ich, aber man sah meinem Gesicht an, dass ich abgenommen habe. Früher hätte ich mich vielleicht sogar darüber gefreut. Aber was bringt mir ein super Körper, wenn die Seele darin tot ist. Ich schnappte mir noch meine Lederjacke, bevor ich schnellen Schrittes zum Bus ging.

Für die Aktion gestern hätte ich Katharina immer noch töten können, aber seit ich unausstehlich bin ist sie die Einzige, die noch mit mir abhängt. Also habe ich mich dazu entschlossen, sie nicht für immer zu hassen, dafür liebe ich sie zu sehr. Der Deal war, das sie mich mit ihrer komischen Selbsthilfe-AK nicht außerhalb der Kurszeiten belästigt. Und sie war einverstanden, dass wollte ich ihr auch geraten haben. Wir hatten gerade Physik und berechneten die Geschwindigkeit eines Fisches, der einen entgegenkommenden anderen Fisch gefressen hat, als es an der Tür klopfte. "Ja, bitte? Oh, hallo Michael." "Hallo Dieter, ich wollte Frau Klopf mit zum Gespräch nehmen." Herr Thom stand an der Tür und Oh mein Gott, heißt er wirklich Michael? Was für ein Spießer. Du denkst schlecht über ihn weil er Michael heißt? Hase, reiß dich zusammen. "Aber natürlich, Michael. Olivia, du kannst gehen." Ungläubig starrte ich unseren Lehrer an. "Herr Reuter, ich habe die Thematik noch nicht ganz verstanden, vielleicht kann ich morgen zu dem Gespräch gehen?" "Katharina wird dir den Stoff nach der Schule erklären. Und jetzt geh schon, Herr Thom beißt nicht." In diesem Moment hätte ich alles lieber getan, als mit dem Psycho-Guru zu gehen. Aber die Situation war aussichtslos. Bockig und so langsam wie nur möglich packte ich meine Sachen in die Tasche und stand auf, darauf bedacht, niemanden anzusehen, während alle Blicke auf mich gerichtet waren. Kümmert euch doch um euren eigenen Scheiß, hätte ich am liebsten jeden einzelnen ins Gesicht gebrüllt, aber dann hätte mich Thom sofort in die Klapse gesteckt. Also ging ich so normal und ruhig wie möglich aus dem Klassenzimmer, immer darauf bedacht, nicht so gestört zu wirken wie ich bin, und folgte Herrn Thom in den kleinen Raum am Ende des Ganges.

"Setz dich doch schonmal hin, ich mach noch schnell die Fenster zu." Er lächelte mich abstoßend freundlich an. Ich setzte mich auf einen Stuhl, naja es war eher ein Sessel, in den ich sofort einige Zentimeter einsank. Wow, die meinen das wohl wirklich ernst mit der gemütlichen Atmosphäre. Herr Thom setzte sich mir gegenüber auf einen Gymnastikball, zwischen uns stand ein relativ moderner Schreibtisch aus Eichenholz. Ja, mir ist aufgefallen, das es Eiche war. Ich hasse Eiche. "Das ist ein schöner Schreibtisch, nicht? Mein Vater hat ihn mir zum bestandenen Master-Abschluss geschenkt. Ich konnte mich nicht von ihm trennen, ich musste ihn einfach mitnehmen." "Entzückend." Er räusperte sich kurz, als ob er eine trockene Kehle hätte. Dabei überlegte er doch nur, wie er am besten mit mir redet. "Möchtest du was trinken, Olivia? Es ist doch in Ordnung wenn ich du zu dir sage?" "Nein danke. Natürlich, wie Sie wünschen." Von dem würde ich mich nicht aus der Fassung bringen lassen. "Nenn mich doch auch einfach Michael. Das macht das Ganze hier doch irgendwie weniger förmlich." Erwartungsvoll schaute er mich an. "Natürlich. Wie du wünschst, Michael." "Also gut, dann fangen wir mal an."

M-Michael, O-Olivia

M: "Also Olivia, wie geht es dir heute?"
Ist das sein beschissener ernst? Als hätte mich ein Hai gefressen, der von einem Lastwagen überfahren wurde und traurig bin ich auch.
O: "Blendend, Michael. Wie geht es dir?"
Ich lasse mich sicher nicht auf ihn ein.
M:"Mir geht es gut, ich freue mich hier zu sein. Ich hoffe, dass ich mit meiner Anwesenheit helfen kann."
O: "Schön zu hören."
Interessiert nur keinen, Penner.
M: "Nun, ich komme gleich zum Punkt. Woher kanntest du Sebi?"
Tu doch nicht so als ob du es nicht wüsstest. Aber das Spiel kann ich auch.
O: "Wir wohnten in einer Straße."
M: "Wow, dann kanntet ihr euch wohl schon ziemlich lange, was?"
Gut kombiniert, Sherlock.
O: "Kann man so sagen."
M: "Und, ohne dir jetzt zu Nahe treten zu wollen, wie würdest du deine Beziehung zu ihm beschreiben, wenn dir das nicht zu persönlich ist."
O: "Wir waren zusammen in der Kiste."
Das hat er nicht erwartet.
M: "Also kann man sagen, dass da mehr als nur Freundschaft zwischen euch war?"
Er war die Liebe meines Lebens.
O: "Ich weiß nicht, Sie sind der Gelehrte, sagen Sie es mir."
M: "Ich will da garnicht irgendwas betiteln, aber bitte sag doch du, sonst fühl ich mich so alt."
O: "Entschuldige, Michael."
Du bist alt.
M: "Sag mal, trägst du eigentlich öfter schwarz?"
O: "Macht schlank."
M. "Fühlst du dich denn unwohl in deinem Körper?"
Moment, für solche Erkenntnisse hast du 5 Jahre lang studiert?! Wow, was für eine vielversprechende Zukunft, deine Eltern müssen stolz auf dich sein.
O: "Für Sebi hat es gereicht."
M: "Ist es dir denn wichtig gewesen, was er über dich gedacht hat?"
O: "Sagen wir es war mir nicht gänzlich egal."
M: "Und hast du ihn schonmal am Grab besucht?"
Diese Frage überforderte mich. Warum habe ich ihn noch nicht am Grab besucht. Vielleicht, weil es mir das Herz zereisen würde? Aus Angst davor, zusammenzubrechen?
O: "Ich hatte noch nicht die Zeit."
M: "Oh, das ist aber schade. Meinst du nicht er würde sich freuen, wenn du ihn besuchst?"
O: "Er ist tot. Ich glaub kaum, dass er im Sarg vor Freude im Dreieck springt."
M: "Du musst keine Mauer um dich bauen, Olivia. Wir sitzen alle im selben Boot."
Und wir gehen alle zusammen unter.

Selten war ich so froh darüber, das schrille Klingeln der Schulglocke zu hören, die mich in die Pause rufen würde.

"So, dann will ich nicht weiter deine Zeit beanspruchen." Das ist auch besser so für dich. "Ich glaube, unser Gespräch war sehr aufschlussreich, findest du nicht?" "Doch, mit Sicherheit." "Na dann, tschüss Olivia. Wir sehen uns dann in der Gruppensitzung am Montag."

Ich kann es kaum erwarten.

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Überarbeitet ✔️

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