#13 Um Himmels Willen

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Als ich aufwache pochten meine Schläfen. Es war nicht schmerzhaft, aber doch war es da, stupste mich von innen heraus an, warf mir vor, was gestern passiert ist. Du hast dich mit deiner besten Freundin gestritten. Du hast die Schule geschwänzt. Du bist Motorrad gefahren. Du hast gekifft. Du hast nicht zuhause geschlafen.

Warte mal, was? Ich schlug die Augen auf und realisierte, dass ich nicht in meinem Zimmer war. Das Zimmer war ziemlich dunkel und im Nebenraum hörte ich Wasser aus einer Dusche prasseln. Fuck man, wo zum Teufel war ich? Als sich meine Augen ein wenig an die Dunkelheit gewöhnten sah ich mich ein bisschen um. Ich lag in einem großen Bett, zugedeckt mit einer schwarzen Bettdecke aus Daunen. Am anderen Ende vom Raum war ein Fenster, aber die Rollos waren nach unten gezogen, sodass kein Licht hinein schien. Ich fand eine Nachttischlampe neben mir und knipste sie an. Über dem Bett hingen Poster von David Bowie, Freddie Mercury und anderen Sängern, die ich nicht kannte oder nicht identifizieren konnte. Neben dem Bett stand ein kleiner Glastisch vor einer Couch, auf dem ein Aschenbecher voll mit Kippenstummeln stand. In dem Regal gegenüber stand dekorativ eine Shisha und eine Bong, ansonsten war es so gut wie leer, bis auf die Staubschicht, die sich auf dem Holz bildete. Als ich hörte, wie die Dusche aus ging, machte ich das Licht wieder aus, wobei kurz davor mein Blick auf ein Foto fiel, das vor der Lampe auf dem kleinen Tisch stand. Ein Mann Anfang 40 war zu sehen, mit hellen Haaren und einem freundlichen Grinsen im Gesicht. Um die Ecke vom Bilderrahmen war ein breites, schwarzes Band gebunden. Ich warf mich zurück in die Kissen und tat so, als ob ich schlief. Die Tür öffnete sich und jemand trat näher ans Bett, schmiss sich dann jedoch anscheinend auf die Couch, ein Feuerzeug zischte, danach Ruhe. "Wenn du heute in die Schule willst solltest du aufstehen."

Meine Augen weiteten sich, als ich Jonas' Stimme identifizieren konnte. Natürlich. Wir waren zusammen unterwegs. Ich bin eingeschlafen. Der Mann auf dem Foto war sein Vater.

"Ich weiß, dass du mich hören kannst.", sagte er und zog an seiner Zigarette, sodass der Geruch vom Nikotin mir langsam aber sicher in die Nase stieg und meine Augen leicht brennen ließ. "Warum zum Geier bin ich hier?" Ich setzte mich auf und funkelte ihn wütend an. Ja, alter. Warum zum Geier bist du hier? "Ich hätte dich ja schlecht im Wald liegen lassen können." "Warum hast du mich nicht nach Hause gebracht?" "Glaub mir, Schätzchen, besser du wärst in diesem Zustand nicht nach Hause gekommen." Nenn meine Freundin nicht Schätzchen du widerlicher Spast. "Nenn mich nicht Schätzchen, du Pisser." "Da ist wohl jemand ein Morgenmuffel." Als ich aufstehen wollte bemerkte ich, das ich bis auf meine Unterwäsche nackt war. Ich sprang hektisch auf und stürmte auf den Älteren zu. "Du perverses Schwein, ich schwör dir, wenn du auch nur einen Finger an meinem Körper hattest zeig ich dich an, damit du elendig im Gefängnis verrecken kannst, nachdem ich dir lebensbedrohliche Verletzungen zugefügt habe. Und deinen Schwanz hack ich dir auch ab." Ich baute mich vor ihm auf, verzweifelt und wutentbrannt starrte ich ihn an. Ich bring ihn um. Desinteressiert verkniff er sich ein Lächeln, dann beugte er sich auf den Knien ab und sah mir direkt in die Augen, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt.

"Ich würde dich nicht geschenkt nehmen, Schätzchen." "Wenn du der letzte Mensch auf der Welt wärst, würde ich Nonne werden." "Um Himmels Willen." "Du widerst mich an."

Ich nahm meine Klamotten, die über dem Schreibtischstuhl lagen, zog mich an und verließ ohne ein weiteres Wort das Haus. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, das es kurz vor 7 war und das meine Mutter mich angerufen hatte. Während ich zur Haltestelle lief rief ich sie zurück. Sie war sauer, doch seit Sebi's Tod traute sie sich nicht, mir ihre Meinung zu sagen. "Wo warst du, ich hab mir Sorgen gemacht!" "Ich hab bei Katharina geschlafen. Ich geh jetzt zur Schule." Ich legte auf. Sie tat mir leid. Vielleicht meinte sie es gut, aber sie konnte mir nicht helfen. Ich nahm den ersten Bus, der ankam, sodass ich eine halbe Stunde zu früh an der Schule war. Ich setzte mich auf die Bank auf dem Raucherpfad und zündete mir eine Kippe an, durch die mir leicht schlecht wurde. Gott, ich hatte Hunger. Irgendwann kamen dann Svenja, Markus und Joshua, die sich zu mir gesellten. Keiner sagte etwas zu gestern, dabei war ich sicher, dass sie es mitbekommen hatten. In Ruhe rauchten sie ihre Zigaretten und ich hieß die Stille willkommen.

Katharina war heute krank. Ich würde sie nicht anrufen, nicht im Traum dachte ich daran, ihr zu verzeihen. Wir stritten öfter mal, ich denke, das ist ganz normal bei einer Freundschaft, die wie zwischen Geschwistern ist, aber ihre Vorwürfe gingen eindeutig zu weit. Sie hatte eine unsichtbare Grenze überschritten und mir meinen letzten Stolz vor den Augen der ganzen Schule entrissen und darauf gespuckt. Ich war voller Hass und heilfroh, sie nicht sehen zu müssen. Nach der ersten Stunde lief ich den Gang entlang zur nächsten Stunde, als mich jemand von hinten antippte. Ich zog die Kopfhörer aus den Ohren und drehte mich um, ich hatte nicht erwartet, dass es Herr Thom sein würde. "Olivia, ich würde gerne einen neuen Termin mit dir ausmachen." Abstoßend nett lächelte er mich an. "Warum?" Diese Frage hatte er wohl erwartet. Ein mitleidiger Gesichtsausdruck machte sich auf seiner scheinheiligen Fassade breit. "Naja, ich dachte, nachdem was gestern passiert ist." Ich blieb stehen und sah ihn fragend an. "Was war denn gestern?", ich klimperte mit den verpappten Wimpern. "Du hast die Schule geschwänzt, Olivia, aber ich hab dich beim Direktor gedeckt. Ich habe nicht deine Mutter angerufen und auch sonst wird dein Abgang keine Konsequenzen für dich haben. Bis auf ein Gespräch mit mir." Er hielt mich an der Schulter fest, was mich irgendwie beunruhigte, und sah mir ernst in die Augen. "Das ist ein kleiner Beweis meinerseits, dass du mir vertrauen kannst und dass ich dir nur helfen will. Ich sehe dich nicht als einen Schüler, sondern als eine Freundin." Er nahm seine Flosse von meiner Schulter und ich atmete erleichtert aus. "Danke, Michael, aber es geht mir gut." Er schaute kurz auf seine hässliche Armbanduhr, dann wieder zu mir. "Wir treffen uns heute Nachmittag. Da du gestern nicht in der Schule warst stört es dich wahrscheinlich nicht, heute länger zu bleiben. Sei um 15 Uhr bitte in Raum B211." Entspannungszimmer, klasse. Bevor ich etwas erwidern konnte war er verschwunden und ich lief entnervt zur nächsten Stunde.

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Überarbeitet ✔️

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