Hanna+Azog

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„Schnell, schnell! Hier entlang!", hörte ich einen Ork schon von Weitem schreien. Seufzend wrang ich den Lappen aus, mit dem ich gerade noch die Wunde eines anderen gereinigt hatte und wartete darauf, dass der Verursacher des Lärmes in diesen Teil der Höhle vordrung. Seit die Schlacht vor den Toren Morias wütete, brachte man regelmäßig verletzte Scheusale hinein. Allerdings nie so viele, wie tatsächlich verletzt worden sein mussten. Die meisten ließ man wohl liegen. Mir sollte es recht sein, ich hatte mit den Anwesenden schon mehr als genug zu tun, der Platz war rar von den hygienischen Umständen ganz zu schweigen. Die Orks lagen auf dem feuchten Steinboden im Dunkeln und ein paar Gefangene stiegen mit Fackeln über sie hinweg, um ihre Wunden zu säubern und die Blutungen zu stillen. Kräuter, Medizin und ähnliches hatten wir, doch dem Tod des einzelnen schien auch keine große Bedeutung angemessen zu werden. Halbherzig tauchte ich das Tuch in das bereits dreckige Wasser meiner kleinen Schale, als einige Orks einen vor Schmerzen schreienden hinein trugen. „Schneller, wir brauchen Heiler!", quickte ein kleiner Ork. So etwas haben wir hier nicht, dachte ich bitter, während ich aufstand, um zu Tunneleingang zu gehen. „He, Weib, schneller! Er ist schwer verletzt!" Hasserfüllt funkelte mich einer der Soldaten an, nur beschleunigte ich mein Tempo nicht.

Dem blassen Ork, dessen Haut weiß erschien, wurde der Unterarm abgeschlagen, ein glatter Schnitt. „Legt ihn dorthin und bringt mir große Tücher!", befahl ich. Nach einer lautstarken Diskussion und einigen Beleidigungen kamen sie dem nach und legten ihn auf einen freien Platz an die Wand. Während sie ihn festhielten, stoppte ich die Blutung und wendete mich dem nächsten zu.

So ging es Tag um Tag ohne nennenswerte Veränderung.

„Warum seid ihr hier?", fragte mich der bleiche Ork eines Tages. „Warum nicht?", stellte ich die Gegenfrage. Ich war erschöpft, genervt und wollte einfach nur nach Hause. „Ihr seid ein Menschenmädchen, was wollte ihr in einem Orkstollen?", fragte er erneut und blieb dabei erstaunlich ruhig. Beschämt ließ ich den Blick an mir herunter wandern und betrachtete meine Hände. Wie ein Mensch fühlte ich mich schon lange nicht mehr. Meine Haare waren verfilzt, ich stank und war so dreckig wie die Lappen zum Reinigen. Mein Körper war abgemagert, sodass die Knochen hervorstanden und ich aß rohes Fleisch, um nicht zu verhungern. „Wie lange seid Ihr hier?" Traurig zuckte ich mit den Schultern, ohne ihn anzusehen. „Ich weiß es nicht... es fühlt sich wie eine Ewigkeit an.", wisperte ich. „Ihr stammt aus einem der geplünderten Dörfer.", stellte der Ork sachlich fest.

Ab diesem Moment redete er mit mir, wenn ich in der Nähe seines Liegeplatzes war und so erfuhr ich auch, dass er Azog hieß und eine höhere Position hatte. Sein Gesundheitszustand verbesserte sich vergleichsweise schnell und schon bald verließ er das Lazarett zeitweise.

„Ich gehe.", eröffnete Azog mir eines Tages und blickte mich wachsam an. Ein Gefühl von Wehmut beschlich mich, er war der einzige der Orks, mit dem ich gerne sprach. „Begleitet mich." Überrascht sah ich ihn an. „Ich darf hier nicht weg." „Ich habe hier das Sagen.", antwortete er bloß und verschwand aus meinem Blickfeld. Verwirrt blieb ich sitzen und betrachtete nachdenklich den Steinboden.

„He, Mensch!", brüllte mich einer der Soldaten an und zerrte mich an den Haaren hinter sich her. Schmerzhaft schrie ich auf, was ihm ein kaltes Lachen entlockte, während er mich erbarmungslos hinter sich her schliff. Hilflos klammerte ich mich an seinem Arm fest, um die Schmerzen zu lindern und versuchte mit ihm Schritt zu halten.

Endlich ließ mich das Scheusal los –und ich schlug mit dem Kopf hart auf dem Boden auf. Kurz sah ich Sterne, ehe ich in das Rech der Bewusstlosigkeit glitt.

Als ich langsam wieder zu mir kam, hatte ich nicht nur das Gefühl, dass sich alles auf merkwürdige Art und Weise bewegte, der Untergrund schwankte wirklich. Dunkle Schatten schienen nach mir greifen zu wollen, der eisige Wind jage mir eine Gänsehaut über den Körper und mein Magen wollte das letzte bisschen Nahrung ausspeien. Würgend strampelte ich und stemmte mich hoch. Ich hing auf einem Warg, den Reittieren der Orks, spürte einen leichten Druck auf meinem Rücken und sah eine bleiche Hand, im zottligen Fell vergraben. „Still!", knurrte eine Stimme leise, die mir einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Azog! Stumm nickte ich und glaubte sogar ein leichtes Streicheln wahrzunehmen. Leider konnte ich mich nur mäßig beruhigen und nur mit großer Mühe in dieser unbequemen Position verharren. Meine Übelkeit wurde stetig schlimmer, weswegen ich mich nach einer Weile übergeben musste. Etwas von dem undefinierbaren Brei blieb im Fell des Wags hängen, der seinen Kopf mit gefährlich gefletschten Zähnen zu mir drehte, dann aber von Azog zu einem Sprint getrieben wurde. Erschöpft lehnte ich mich zurück und driftete bald wieder ab.

„Hanna! Wach auf!", zischte jemand und rüttelte an meiner Schulter. Verschlafen blinzelte ich, ehe ich unsanft auf dem Boden aufschlug. Ein undefinierbares Geräusch erklang, was sich mit einem Blick nach oben als Azogs Lachen herausstellte. „Du kannst lachen?", entfuhr es mir. „Anscheinend.", gab er mit einem Schmunzeln auf den dünnen Lippen zurück. Die Tatsache, dass er über mich lachte, weil ich vom Warg fiel, völlig ausblendend. „Kommt nun, Orks sind ungeduldig und der Schmied soll die Nacht noch überleben." „Welcher Schmied?", fragte ich stirnrunzelnd. „Dem das Haus gehört und bei dem Ihr bleiben werdet, Hanna." „Wa-Warum? Ich verstehe nicht..." „Im Orkstollen würdet Ihr elendig zu Grunde gehen und über kurz oder lang als Mahlzeit enden. Dafür seid Ihr mir zu wertvoll.", stellte er mit ernster Miene fest. „Wie meint Ihr das?", flüsterte ich, nachdem ich über seine Worte nachgedacht hatte. „So jung und unschuldig...", wisperte er noch leiser und strich mir liebevoll eine der zerzausten Strähnen aus dem Gesicht, „Schon viele Wesen habe ich getroffen, doch keins hat mich so fasziniert wie Ihr." Überrumpelt starrte ich den großen Ork an und bekam keinen Ton heraus. Seine Worte berührten mich und ließen mein Herz noch schneller schlagen. Rasch überbrückte er den Abstand zwischen uns und legte seine Lippen kurz auf meine. Doch so plötzlich wie es anfing, hörte es wieder auf und ehe ich den Moment genießen konnte, entfernte er sich wieder von mir.

Mit großen Schritten lief er zu der Hütte, in die ich im kurz darauf folgte und stellte mir einen großen, bärtigen Mann vor. Dieser hatte für ihn Waffen, Werkzeuge und eine Art Greifzange als Handersatz geschmiedet. Doch das alles rauschte an mir vorbei, während ich unbeteiligt und in meiner eigenen Welt gefangen im Raum stand. Bald darauf verließen die Orks die Hütte, Azog als letzter. Er hauchte mir sanft einen Kuss auf die Stirn und lächelte mich milde an, ehe er in die Nacht verschwand.

Lange noch starrte ich auf die geschlossene Tür, bis ich begriff, sie aufstieß und den kleinen Pfad entlang zur Lagerstelle ließ. Doch sie waren fort und Azog mit ihnen. „Aber ich liebe dich doch.", kam es mir leise über die Lippen, während ich allein in die Dunkelheit starrte.



Danke für's Lesen!

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