Kapitel 2

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Ich spürte den Schmerz schon bevor ich komplett aufgewacht war. Er schien überall auf meinem Körper zu seien. Vor allem in meinem Kopf. Als ich die Augen aufschlug hätte ich fast gestöhnt, so weh tat es. Wie? Wie konnte das Augen aufmachen wehtuen? Ich stütze mich auf meinen linken Arm und knickte sofort wieder weg. Mit voller Wucht fiel ich zurück auf die Matratze. Neben meinem Bett, auf dem Nachttisch, lag noch die Schachtel mit den Tabletten. Ich griff danach und nahm gleich zwei auf einmal. Danach setzte ich mich auf und schwang meine Beine über die Bettkante. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Ich atmete tief durch und fuhr mir mit den Händen durch die Haare. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Tracy kam in mein Zimmer. Einfach so. Ohne anklopfen. Was fällt dieser Bitch eigentlich ein? "Schon mal was von Privatsphäre gehört?", warf ich ihr an den Kopf. "Pahh! Tu nicht so auf scheinheilig! Du kannst nicht so viel auf Privatsphäre geben, wenn du es mit deinem Lover immer und überall rummachst. Keiner will euch im Badezimmer sehen! Also komm runter, Bitch! Charlotte will nur deinen schwarzen Rock haben", keifte mich Tracy an. Dios mio! Macht die immer alles was Charlotte will? "Der ist in der Wäsche, du Miststück! Soll sie sich selber einen kaufen, wenn sie einen haben will!", ich stand auf. Und bereute es sofort. Alles schein sich zu drehen. Und Schmerz schoss meinen Rücken empor. "Uhhh. Wie siehst du denn aus? Mir scheint es, als hättet ihr es gestern ein bisschen zu wild getrieben! Du solltest dich besser schminken. Ist ja abartig!", sie sah mich abschätzig an und verließ dann mein Zimmer. "Mach die beschissene Tür zu!", rief ich ihr hinterher. Ich hörte nur noch ein leises "Fick dich!" auch dem Flur. Aaarrgh! Was fällt ihr ein? Und für wen hält sie sich? Aber okay. Sie hatte in einem Punkt recht. Ich sah wirklich beschissen aus. Kaum hatte ich in den Spiegel geguckt, sah ich auch schon wieder weg. Ich konnte diesen Anblick nicht ertragen. Tränen schossen mir in die Augen. Schnell blinzelte ich sie weg. Es war doch lächerlich wegen ein paar blauen Flecken rumzuheulen. Ich war schon mal in schlechterer Verfassung. Langsam zwang ich mich wieder meinen Blick auf den Spiegel zurichten. Mir stockte der Atem. Meine linke Wange war komplett blau gefärbt und um mein rechtes Auge zog sich ein blauer Kreis. Und als ob das nicht genug wäre, zog sich die hässliche Farbe bis an die Schläfen hoch und meine Haut auf der Höhe des rechten Kieferknochens war ebenfalls dunkel verfärbt. Unzählige Flecken zogen sich den Hals runter und über meine Schultern bis zum Rücken runter. Der Anblick von meinem Spiegelbild machte mich fassungslos. Entsetzen machte sich in mir breit. Es sah erbärmlich aus. Und so fühlte ich mich auch. Ich hatte in meinem Leben schon so viel durchgemacht. Aber nie hatte ich mich schlechter gefühlt als jetzt. Ich habe jahrelang in den Slums Mexikos gelebt. Aber nie sah ich schlimmer aus als jetzt. Ich bin nach dem Tod meines Vaters mit meiner Mutter von einem Geliebten zum anderen gewandert. Aber nie fühlte ich mich elender als jetzt. Ich musste diese Sprach lernen und mich so gut wie alleine zurecht finden. Aber nie hatte ich mich hilfloser gefühlt als jetzt. Ich wirbelte herum und setzte mich schnell an meinen Schminktisch. Das würde schon wieder werden! Schminke half doch bei allem. Ich griff nach meinem Make-up und nach meinem Pinsel. Nach ein paar Pinselstrichen wurde mir allmählich klar, dass das nicht so zu funktionieren schien, wie ich gedacht hatte. Das Make-up überdeckte nicht so viel von den blauen Flecken wie ich dachte. Frustriert warf ich den Pinsel auf den Tisch zurück. Warum machte ich mir überhaupt solche Mühe? Es würde eh rauskommen. Alles würde auffliegen. Er würde Probleme kriegen, für das was er getan hat. Und dann würde es noch schlimmer werden. Also musste ich es hinkriegen alles zu überdecken. Ich pinselte noch einige Minuten mit Make-up in meinem Gesicht herum. Naja, es war zwar nicht perfekt aber es würde gehen. Hoffte ich zumindest. Noch Puder, Wimperntusche und Lippenstift und dann war ich fertig. Ich seufzte. Ich sah kein bisschen so aus wie sonst. Kein Rouge. Kein Liedstrich. Aber es war unter diesen Bedingungen gut genug. Ich stand auf und ging zum Kleiderschrank. Das würde schwieriger werden. In Gedanken ging ich alles durch, was auf keinen Fall ging. Keine T-Shirts. Keine Tops. Nichts Bauchfreies. Kein weiter Ausschnitt, weder am Dekolletee noch am Rücken. Ein Rollkragenpullover war eigentlich perfekt. Aber im Sommer? Das würde auffallen. Und ich würde definitiv eingehen. Aber was dann? Ich hatte nichts, was alles verdeckte und was passend zum Wetter war. Plötzlich fiel mir etwas ein. Meredith hatte eine blaue Bluse, die passend war. Ich zog mir eine Strickjacke an und lief in ihr Zimmer. Nach kurzem Suchen fand ich die Bluse dann im Kleiderschrank. Ich nahm sie mit und zog sie in meinem Zimmer an. Mit dem Lederrock und den Wedges sah es sogar recht cool aus. Ähnlich meines sonstigen Klamottenstiels. Mit einer breiten Kette konnte ich den größten Teil von meinem Hals abdecken. Ich wuschelte mir durch meine Locken und schnappte mir meine Schultasche. Mit einem letzten Blick in den Spiegel stellte ich fest, dass ich mit diesem Outfit auch zu einem Businessmeeting gehen könnte. Naja, sei's drum. Ein letztes Mal atmete ich tief durch. Jetzt lag es an mir. Ich musste mich ganz normal verhalten. Dann würde alles gut werden. Schwungvoll öffnete ich meine Zimmertür. Auf der Treppe kam mir Miriam entgegen. Sie sagte kein Wort. Noch nicht mal ein flüchtiger Blick. Also alles so wie sonst. In der Küche angekommen fand ich wie jeden Morgen Tracy, Charlotte und Meredith vor. Charlotte saß wie immer am Küchentisch und ließ sich von Tracy bedienen. Meredith saß auf der Arbeitsplatte und sah mich lächelnd an. "Morgen Häschen! Du siehst echt fertig aus. Warte...hier das kannst du jetzt gebrauchen", sie gab mir ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit. Ich roch daran. Gant klar Alkohol. "Ohh Danke! War lang gestern", antwortete ich ihr. Was im Grunde ja noch nicht mal gelogen war. Ich kippte den Inhalt des Glases einfach hinunter. Es brannte leicht, aber ich ignorierte es. "Ohh Gott! Hast du gestern Zoé gesehen, Charlotte? Dieses Outfit war doch mal zum fremdschämen. Wenn ich mich nicht irre, war es das Trikot von John. Ich sollte im Block darüber schreiben. Das ging ja gar nicht!", fing Tracy mit ihrer morgendlichen Lästerrunde an. Meredith und ich konnten uns das Augenrollen nicht verkneifen. "Du dummes Schein! Das ist nichts worüber man blocken müsste. Komm über deine Fantasien mit Zoé hinweg! Schreib lieber über mich! Ich bin nämlich auf dem besten Weg Cheer Captain zu werden. Das interessiert die Leute doch wirklich. Und nicht das Trikot von so einer Hure!", konterte Charlotte in ihrem üblichen überheblichen Ton. "Gehe wir? Ich kann mir so einen Schwachsinn nicht mehr mit anhören! Wir wissen doch alle, wenn jemand die nächste Captain wird, dann An", wandte sich Meredith an mich und sprang von der Küchenzeile. "Ja, danke. Zoé hat mir den Posten schon angeboten", spielte ich mit. Ich wusste, das würde nie passieren, aber solange es Charlotte wütend machte, würde ich es weiterhin behaupten. Wir verließen das Haus und gingen Richtung Schule. Auf dem Weg trafen wir auf einige Mitschüler. Alle unterhielten sich über verschiedene Dinge. Ich ging nur nebenher. Ich wusste nicht was ich zu all dem sagen sollte. Je näher wir der Schule kamen, desto nervöser wurde ich. Ich wusste nicht wie es werden würde, wenn ich auf ihn treffen würde. Würde es so sein wie sonst? Oder würde er mich ignorieren? Würde er es wieder tun? Aber doch nicht in der Schule. Nicht da wo es andere sehen könnten. Das würde er nicht riskieren. Oder? Mir wurde schlecht bei dem Gedanken. Ich zog mein Handy aus der Tasche und öffnete Snapchat. Erstmal Flammen sichern. Danach noch auf Instagram durchscrollen. So musste ich mit niemanden reden und konnte mich ablenken. Wir liefen immer weiter in die Schule. Ich kannte den Weg so gut, dass ich gar nicht mehr von meinem Handy aufsehen musste. "Ms. Liner! Darf ich bitten?", ich zuckte bei der Stimme von Mr. Clancy zusammen. Unser Englisch Lehrer stand vor mir und hielt mir die Hand hin. Ich gab ihm widerwillig mein Handy. Das war schon das dritte Mal dieses Schuljahr. Mr. Clancy sah mich nur streng an und ging dann an mir vorbei. Am liebsten hätte ich vor Frustration geschrien. Aber hey! Es kann immer noch schlimmer kommen. Ich bog mit meinen Freunden in den nächsten Gang ein. Und blieb wie angewurzelt stehen. Da war er. Und sah mich direkt an.

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