Die Welt schein stehen zu bleiben. Alles andere war plötzlich egal. Nur er. Und sein Blick. Und wie er auf mich zukam. Mein Verstand sagte mir, ich solle weglaufen. Fliehen. Mich in Sicherheit bringen. Doch kein Muskel bewegte sich. Und dann stand er vor mir. Ziemlich nah wie ich fand. Zu nah. "Können wir reden? Später vielleicht? In der Mittagspause oder nach der Schule?", fragte er leise und senkte den Blick auf den Boden. Dabei rutschte seine Brille ein wenig seine Nase runter. Plötzlich hatte ich Mitleid mit ihm. Ich nickte. "Ja...", brachte ich atemlos hervor. Er nickte ebenfalls. "Antonia...es tut mir leid...ich- lass uns das späte besprechen. Wir müssen ja zum Unterricht und so...Soll ich später dann vorbeikommen?", sein Blick richtete sich auf mich. Ganz langsam. Eher schon vorsichtig. Ich konnte diesem Blick nicht länger standhalten. Hastig wich ich ein paar Schritte zurück. Meine Wangen fingen an zu brennen. So als hätte er es wieder getan. "Tyler...ich, ich...du hast...wir sollten...", was stotterte ich da? Und was wollte ich ihm eigentlich sagen? Ich musste mit ihm darüber reden, das war mir klar. Und das war auch unumgänglich. Aber ich konnte das nicht! Das was er getan hatte tat noch immer weh. Und das nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes. "Hey, Tyler! Was geht so?", ich zuckte zusammen. Das würde nicht gut ausgehen! Jo stellte sich neben mich und legte seinen Arm um meine Schultern. "Ach...ähm...nichts. Bei dir so?", Tyler klang wie immer. Er ließ sich absolut nichts anmerken. Wie konnte das sein? Wie konnte er in dem einen Moment so ausrasten, sich im Nächsten kleinlaut bei mir entschuldigen und danach mit Außenstehenden ganz normal plaudern? Jo sah ihn herausfordernd an. Ich wusste er wartete auf irgendetwas, was Tyler falsch machte. Ja, ich glaubte er hoffte sogar darauf. Eine falsche Bewegung. Ein falsches Wort. Das kleinste Anzeichen von Aggression. Doch Tyler blieb ganz ruhig. So wie er es zuvor auch immer gewesen war. "Nichts. Alles in bester Ordnung", man konnte den provokanten Unterton von meinem Bruder nur schwer überhören. Tyler schien es allerdings nicht bemerkt zuhaben. Oder überspielte es. "Ok...ich muss dann zum Unterricht. Man sieht sich, Jo. Ich hol dich dann später ab, Antonia!", er sah mich lange an, bevor er sich umdrehte und davon ging. ich sah zu Jo. Er hatte die Zähne fest zusammen gebissen. "Hast du Landon davon erzählt?", fragte ich. Ein wenig kleinlaut, wie ich selber zugeben musste. "Was denkst du denn? Wann trefft ihr euch?", er sah mich nicht an. Plötzlich schämte ich mich. Ich wusste gar nicht genau warum. Vielleicht hätte ich Jo nichts davon sagen sollen. Er hätte es nicht mitbekommen dürfen. Das wäre für Alle am besten gewesen. Ich müsste mir dann keine Gedanken machen. Und Jo und Tyler würden ganz normal miteinander umgehen. "Ich muss jetzt auch los...", ich duckte mich unter seinen Arm hinweg und flüchtete regelrecht den Gang entlang, zum Klassenzimmer. Kaum war ich im Geschichtsraum angekommen, winkte mir Meredith schon aufgeregt zu. Ich setzte mich schnell auf meinen Platz neben ihr und sofort fing sie an zu erzählen. Irgendein Junge hatte sie vorhin an gegraben und sie hatte ihn abblitzen lassen. Ehrlich gesagt hörte ich ihr gar nicht richtig zu. Meine Gedanken wanderten immer wieder zu Tyler. Und das bevorstehende Treffen. Ich konnte das Gefühl der dumpfen Angst in meiner Brust nicht loswerden. Ich wollte nicht mit ihm alleine sein. Nicht nach gestern! Aber niemand durfte davon wissen. Allein deshalb musste ich es riskieren, mit ihm alleine zu sein. "Ann? Noch anwesend?", Meredith sah mich besorgt an und wedelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. "Was? Tut mir leid!", ich sah sie an und zwang mich zu einem Lächeln. "Ob Landon noch mehr trainiert hat? Er sieht unheimlich scharf aus!", sie stützte das Kinn auf ihre Hände und fixierte mit ihrem Blick meinen Bruder. Er saß auf seinen üblichen Platz, ein paar Reihen vor uns und unterhielt sich mit Cat. "Das ist mein Bruder! Es ist komisch, wenn du so über ihn redest!", protestierte ich. "Naja, ihr seid nicht wirklich verwandt! Er ist nur dein Stiefbruder. Das heißt ich darf so über ihn reden!", sie grinste mich frech an. Und ich musste ebenfalls lächeln. Sie schaffte es immer wieder mich zum Lachen zubringen. Egal wie mies ich drauf war. Aber nicht nur mich. Keiner konnte ihr etwas übel nehmen. Mit ihren orangenen Haaren und den strahlenden, grauen Augen, sah sie viel zu niedlich aus, um ihr je böse zu sein. Und das wusste sie nur zugut. Ehe ich etwas erwidern konnte, betrat unser Lehrer die Klasse. Mr. Eliot überprüfte, wie zu Beginn jeder Stunde, die Anwesenheit und ging dann sofort zum Unterricht über. Normalerweise mochte ich Geschichte. Aber in dieser Stunde musste ich mir echt Mühe geben nicht einzuschlafen. Das lag bestimmt an den Tabletten. Sonst war ich nämlich nie so müde. Als das Klingeln zur nächsten Stunde ertönte, schrag ich von meinem Stuhl hoch. So schnell schon? "Alles gut bei dir? Sonst bist du doch nie so schreckhaft", wollte Meredith neben mir wissen. "Ja, alles gut. Ich habe nur schlecht geschlafen. Sehen wir uns später beim Training?", ich packte meine Sachen zusammen und verließ das Klassenzimmer, ohne auf eine Antwort von ihr zuwarten. Ich hatte jetzt Mathe. Mir graute es jetzt schon davor. Eine Doppelstunde neben Tyler. Vor allem, weil Landon und Jo beide im selben Kurs waren. Nach einem kurzen Stopp am Spind, um mein Mathebuch zu holen, ging ich weiter die Flure entlang. Vor dem Raum blieb ich kurz stehen und atmete tief durch. Lass dir bloß nichts anmerken, Antonia! Nichts anmerken lassen! Die ersten paar Schritte in den Raum hinein, fiel mir gar nicht so schwer. Doch dann wurde ich auch schon aufgehalten. Zoé, die in der ersten Reihe saß, rief mich zu sich. Und was konnte ich anderes machen, als zu ihr zugehen? So tun als hätte ich sie nicht gehört, war unmöglich. Dafür waren noch zu wenige Schüler im Raum. "Hey! Ich wollte dir nur eben sagen, dass ich für heute Abend ein Meeting einberufen habe. Wir müssen das Car-Washing noch mal genauer planen. Das Footballteam kommt auch vorbei. Ich habe euch allen schon eine Nachricht geschrieben, aber ich dachte mir, ich sag es euch auch noch mal persönlich", sie strahlte mich an, so als wartete sie auf eine Antwort. "Oh ja, natürlich! Ich werde da sein", ich lächelte. Zumindest versuchte ich es. "Ich auch, aber bestimmt nicht wegen euch komischen Cheerleadern!", warf Cat ein. Wofür sie von Zoé einen bösen Blick erhielt. Und Rose und John mussten sich beide das Lachen verkneifen. Ich ging, ohne ein weiteres Wort, zu meinem Platz und wartete darauf, dass es endlich losging. Je schneller es anfing, desto schneller war es vorbei. Ein paar Sekunden später kam auch Tyler durch die Tür. Neben sich Janette. Seine beste Freundin. Die ganz sicher auf ihn stand. Was auch der Grund war, warum sie mich hasste. Tyler setzte sich auf seinen Platz und lächelte mich an. Ganz normal. So wie immer. Ich senkte den Blick auf die Tischplatte. Zum Glück kam Mr. Lewis in den Raum. Er stellte, wie immer, seine Tasche auf das Pult und ließ den Blick durch die Klasse schweifen, um zusehen wer fehlte. Sein Blick blieb kurz an John hängen. Und dann an Rose. Doch dann fing er mit seinem Unterricht an. Es war für Rose und John sicher komisch, vom eigenem Vater unterrichtete zu werden. Bestimmt genauso komisch, wie ich mich fühlte, jetzt neben Tyler zu sitzen. Er verhielt sich so wie immer und versuchte sie so viel Notizen zu machen wie nur möglich. Wie konnte das ein? Ich blickte zu Landon. Der jede kleinste Bewegung von Tyler im Blick behielt. Ich konnte ihm ansehen, dass er bei der aller kleinsten Bewegung, die irgendwie kritisch sein könnte, aufspringen würde und Tyler eigenhändig aus dem Fenster werfen würde. Und insgeheim wünschte ich mir, es würde soweit kommen. Dann könnte ich dem Gespräch aus dem Weg gehen. Dann könnte ich das alles vergessen. Dann könnte ich so tun, als hätte es Tyler nie gegeben und so leben wie vorher. Je länger ich so darüber nachdachte, desto mehr Zweifel kamen auf. Ich könnte ihn nie vergessen. Ich könnte ihn nicht nie ganz hinter mir lassen. Er hatte mir geholfen, als ich am Boden war. Er hatte mir gezeigt, dass es wichtigeres gab, als Klamotten und Jungs. Er hatte mir das Gefühl gegeben, etwas besonderes zu sein. Er hatte es geschafft, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Ja, ich liebte ihn wirklich. Aber das machte die Sache nur noch schlimmer. Wie konnte ich so jemanden lieben? Keiner verdiente es geliebt zu werden, wenn er zu so etwas fähig war. Ich musste aufhören darüber nachzudenken! Doch ich konnte nicht. Dazu war ich viel zu verwirrt. Und viel zu müde. Wie auf wundersame Weise schaffte ich es, auch die Mathestunden hinter mich zubringen. "Ich komme dann nach der nächsten Stunde bei dir vorbei, okay?", Tyler sah mir direkt in die Augen. Ich nickte. Mehr brachte ich nicht zustande. Daraufhin drehte er sich um und verließ lächelnd den Raum. Ich blieb stehen. Hatte er gerade gelächelt? Freute er sich etwa auf dieses Gespräch? Müsste es ihm nicht genauso unangenehm ein wie mir? Wenn nicht sogar unangenehmer? Oder hatte ich mir das Lächeln nur eingebildet? Verwirrt über die ganze Situation ging ich zur nächsten Klasse. Erdkunde. Ich hasste dieses Fach. Weshalb es mir nicht schwer fiel sofort wieder in meine Gedanken zu verfallen. Während der Stunde wurde das Kribbeln in meiner Brust immer schlimmer. Die Aufregung war kaum auszuhalten. Aber das komische Gefühl war nicht nur Aufregung, sondern auch Angst. Eine Mischung aus beidem. Ich hatte nämlich keine Ahnung was auf mich zukommen würde. Würde er sich entschuldigen? Und es auch wirklich ernst meinen? Oder würde es so wie gestern Abend laufen? Würde er wieder ausrasten? Ich hatte das Gefühlt wahnsinnig zu werden. Angespannt verließ ich, nach der Stunde, den Klassenraum und lief ohne alles andere um mich herum wirklich wahrzunehmen nach Hause. Ich warf meine Tasche achtlos in die Ecke und nahm mir was zutrinken aus dem Kühlschrank. Ich musste meine Nerven beruhigen. Neben dem Apfelsaft stand noch Wein. Ich nahm einen großen Schluck und verzog das Gesicht. Widerlich! Aber es war Alkohol. Das war das Einzige, was zählte. Auch wenn ich wusste, dass ich nichts trinken sollte wegen den Tabletten, die ich genommen hatte, tat der Alkohol seine Pflicht und ich fühlte mich ruhiger. Wenn auch nicht viel. Ein Klopfen ließ mich zusammen fahren. Ich stellte den Wein zurück und ging zur Haustür. Tief durchatmen! Alles wird gut! Du musst nur ruhig bleiben! Ich öffnete die Tür und Tylers blauen Augen sahen mich direkt an.

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I need you
RomansaToni, eigentlich Antonia, kann es immer noch nicht glauben. Konnte sie sich wirklich so in ihm geirrt haben? Oder war sie an allem selber schuld? Er war doch immer so nett gewesen. Langsam fängt sie an zu zweifeln, ob er wirklich der Richtige ist. D...