Der achte Tag

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Schon über eine Woche ist es her, dass ich in diese Welt geraten bin. Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob ich das alles nur träume, oder tot bin. Mittlerweile hat sich schon sowas wie ein Alltag bei mir eingebürgert.

Das morgendliche Aufstehen, sobald die Sonne auf geht, Frühstücken, arbeiten, pause machen, arbeiten, bei Sonnenuntergang ins Haus gehen und schlafen gehen. Ich habe Dorotha und Willi richtig ins Herz geschlossen. Es fühlt sich schon so selbstverständlich an, dass ich bei ihnen wohne. Sie geben mir halt und ich fühle mich sicher. 

Das heißt.. fühlte. Als ich nun auf dem Feld draußen stehe und mit einer Arbeiterin über das schöne Wetter rede, sehe ich von weitem Reiter auf uns zu kommen. Es sind ungefähr fünf Leute und sie tragen das Wappen des Königshauses. Einen Wolf mit Flügeln. Was die wohl wollen?

Die Leute stoppen ihre Arbeit um die Ankunft des hohen Besuchs zu bestaunen, als sie vor mir stehen bleiben. 

"Du da!", ruft einer in meine Richtung. "Komm her."

Sofort fangen meine Hände an zu zittern und ich frage mich, was nun los sei. Wieso möchte dieser Kerl mit mir reden? Langsam gehe ich auf ihn zu. Die Blicke der Arbeiter verfolgen mich. Ich bleibe vor ihm und seinem Pferd stehen. 

"Der Prinz hat von deiner Ankunft erfahren. Ich habe befehl Euch in sein Schloss zu bringen. Es ging die Runde, dass eine wunderschöne Fremde in unser Land gekommen ist und das Volk hat nicht gelogen. Er will Euch zu seiner Mätresse machen. Packt Eure Sachen. Morgen Abend holen wir Euch. Und versucht gar nicht erst uns zu entkommen", sagt er mir. Und so schnell wie sie gekommen sind, verschwinden sie auch schon wieder. Ich stehe wie vom Blitz getroffen da und kann es gar nicht fassen, was ich gerade gehört habe. Es hört sich so abstrus an, jemanden zu sich zu bestellen, nur weil man so aussieht wie ich. Dort wo ich her komme, bin ich nicht mal eine der schönsten. 

"Nika, was wollen die Männer denn?", fragt mich Dorotha besorgt, als sie zu mir läuft. Ich drehe mich langsam zu ihr um und fange plötzlich an zu lachen. Ich komme mir vor wie in einem schlechten Film und kann nicht glauben, was da gerade passiert ist. 

Unter Tränen lachend verkünde ich: "Der Prinz hat mich zu sich bestellt um mich zu seiner Mätresse zu machen. Die wollen mich morgen Abend holen!"

Dorotha sieht mich besorgt an. "Oh Nika", sagt sie Kopfschüttelnd. "Ich hatte geahnt, dass so etwas passieren würde. Unser Prinz ist ein Trottel erster Güte."

Da verstummt mein Lachen komplett und ich sehe Dorotha fest in die Augen. Ich werde sowas nicht mit mir machen lassen. "Ich kann nicht hier bleiben", sage ich. "Ich werde fliehen. Ich werde sicher nicht irgend ein Spielzeug von irgend so einem Prinzen werden."

Dorotha nickt. "Du solltest Abends los reiten. Am Tag ist es zu gefährlich und nachts könnte dich jemand entdecken. Die Wachen sind überall", sagt sie bestimmt und ich nicke. 

Am Abend geht es los. Dorotha und Willi bringen mich in den Stall und satteln das Pferd. Ich umarme beide zum Abschied und sage: "Eines Tages werde ich wieder zurück kehren und euch besuchen kommen." Ehe ich aufsteige. Das Pferd ist anders als die Pferde zu Hause. Sein Fell ist schwarz und seine Beine sind Stark. Am Tag sieht er aus wie ein normaler Hengst mit langer, gewellter Mähne, doch des Nachts, fängt er an zu glühen. Nicht er, sein Schweiß. Er glüht in einer hellblauen Farbe. Ein wunderschönes Tier. 

"Pass gut auf dich auf, Nika", sagt Willi. 

Ich winke nochmals zum Abschied und reite los. Ich weiß nicht mal wo hin. Einfach nur weg. Weit weg. Ich begegne keinen anderen Menschen, als ich reite. Die Welt um mich herum scheint verstummt zu sein. Ich höre nur das Rhythmische stampfen der Hufe auf dem Boden. 

Doch dann plötzlich geht es nicht mehr weiter. Ich ziehe ruckartig an den Zügeln und bleibe vor dem Meer stehen. Das Meer. Der Mond und die Sterne spiegeln sich auf dessen glatte Oberfläche. Es ist so ruhig. Es erinnert mich an jenen verhängnisvollen Tag, als das Wasser mich in die Tiefe zog und mich aus meinem Leben riss. Die Erinnerung hängt wie ein dunkler Schleier über meinen Gedanken. 

Ich schüttle den Kopf, denn ich muss weiter. Ich blicke nach links und rechts und sehe unweit von mir einen Hafen mit Schiffen. Ich reite darauf zu, am Strand entlang. Am Hafen sind nicht so viele Menschen unterwegs. Ich höre nur einen Mann noch schreien: "Letzte Chance! In ein paar Minuten legen wir ab!"

Ich treibe mein Pferd weiter voran und verdecke meine Haare und mein Gesicht, als ich vor ihm stehen bleibe. Ich weiß nicht, wohin das Schiff fährt, noch, ob ich überhaupt weit komme. Doch ich muss es riskieren. 

"Zwei Karten?", fragt mich der Mann und zeigt auf mich und den Hengst. Ich nicke und bezahle mit dem Geld, das mir Willi gegeben hatte. 

Langsam steige ich auf das Schiff und mache mein Pferd an einer Stange fest. Ich drehe mich noch einmal um und sehe die schlafende Stadt. Liverad. Eine schöne Stadt. Es tut mir fast ein wenig leid, sie hinter mir lassen zu müssen. Doch ich habe keine andere Wahl. Werde ich nun immer auf der Flucht sein müssen? Frage ich mich unwillkürlich. Plötzlich werden meine sentimentalen Gedanken unterbrochen, als sich etwas schwarzes aus den Schatten löst. Nein, nicht irgendetwas. Ein Mensch. Um genau zu sein der Mann, der mich vor einigen Tagen umgeworfen hatte. 

Ich mache einen Schritt zurück, als er auf mich zu kommt. Etwas bedrohliches geht plötzlich von ihm aus und ich fühle mich unsicher, angespannt. 

"Ihr seid doch die Frau mit den weißen Haaren, nicht?", fragt er mich. 

Wie hat er mich erkannt? Ich habe doch meine Haare und mein Gesicht verdeckt. Ich antworte ihm nicht. 

"Mein Name ist Zen. Ich habe Auftrag Euch in das Schloss des Prinzen zu bringen", sagt er Sachlich. Ich mache noch einen Schritt zurück. 

"Fasst mich nicht an!", rufe ich, als er mich an meinem Arm packt. Doch er lässt nicht locker. Er ist verdammt stark. Ich versuche mich zu wehren und schlage auf seinen Arm, schlage wild um mich, doch er dreht mir den Arm auf den Rücken und führt mich wie eine Gefangene zum Steg des Schiffes nur... dass da plötzlich keines mehr ist. Und die Stadt sieht plötzlich so viel kleiner aus als vorher. Wir... wir haben abgelegt? Wir haben abgelegt! Ich muss einen Jubelschrei unterdrücken, als ich das sehe. Ich habe noch eine Chance!

Währenddessen fühle ich, wie sich Zen von oben bis unten komplett verkrampft. "Scheiße!", ruft er und lässt mich los. Er rennt von einer Seite des Schiffes zur anderen und kann es gar nicht glauben. Idiot. Arschloch. Sklaventreiber. 

"Was ist los? Funktioniert dein kleiner Plan etwa nicht?", verhöhne ich ihn und lache. 

Er sieht mich böse an und sagt dann: "Das Schiff fährt nicht weit, ich werde ich noch zum Prinzen bringen." 

Bevor ich etwas erwidern kann, bringt er mich nach unten in einen kleinen Raum mit nur einem Bett und schließt uns beide darin ein. Ich bin gefangen. Hier gibt es ein kleines Fenster, durch das das Mondlicht scheint und den kleinen Raum etwas erleuchtet.

"Wieso tut Ihr das?", frage ich ihn, als ich mich geschlagen setze. 

"Wieso nicht? Der Prinz hat mich bezahlt, also führe ich den Auftrag aus", erwidert er trocken. Die Magie, die zwischen uns an dem Tag am Marktplatz war, ist wie weg geblasen. 


Reminiscence - Meine ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt