Der sechzehnte Tag

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"Halte den Kopf gesenkt!"

"Steh gerade!"

"Ausweichen!"

"Steh wieder auf!"

"Spann deine Muskeln an!"

"Schneller, weiter, höher!"

Diese Worte allen mit schon den gesamten Tag in den Ohren, als mir meine Meisterin eine Lektion nach der anderen erteilt. Es hat sich heraus gestellt, dass mich die Leibwächterin des Prinzen trainieren wird. Jeder hier nennt sie Luca, obwohl ihr richtiger Name Lucida heißt. Ihre feuerroten Haare hat sie für den heutigen Tag zu einem strengen Zopf gebunden. Im Gegensatz zu mir, rinnt ihr nicht der Schweiß von der Stirn. Sie ist gefasst. Ruhig, obwohl heute einer der heißesten Tage seit langem ist und sogar im Schatten eine schwüle Hitze herrscht. 

Wir haben früh morgens mit Messerwerfen auf eine Zielscheibe begonnen. Zu sagen, dass ich schlecht war, wäre eine maßlose untertreibung. In den Stunden, die wir mit Üben verbrachten, ist kein einziges Messer in der Scheibe stecken geblieben. 

Und nun machen wir Ausdauertraining. In dieser Hitze. Ich schwitze an Stellen von denen ich nichtmal wusste, dass man dort schwitzen kann. Mein Gesicht ist knallrot und ich habe bestimmt schon um die vier Liter Wasser getrunken. 

"Lauf schneller!", ruft mir Luca zu. Dieses Respektvolle "Ihr" hat sie bis jetzt noch nie bei mir angewendet. 

Ich fühle, wie meine Lungen brennen, wie mein Atem stoßweise geht und wie heißer Schweiß meinen durchnässten Rücken hinunter fließt. Ich trage eine kurze Hose und eine Art Sport BH aus leichtem Stoff, der mir das Training erleichtern soll. Doch ich spüre gerade nichts von Erleichterung. Mir ist so heiß, dass ich am liebsten meine Haut abziehen würde. Krank nicht? Ich bin nur froh, dass wir gerade durch den Wald laufen und die Bäume etwas Schatten bieten. 

"Okay. Machen wir eine Pause!", ruft Luca schließlich und ich lasse mich augenblicklich noch im Lauf auf den Boden fallen. Mir wird schwarz vor Augen und ich habe das Gefühl, kotzen zu müssen.

"Scheiße, wie haltest du das aus?", frage ich keuchend, nach Luft ringend und kurz vorm Ersticken.

"Training", antwortet sie schlicht. "Ganz viel Training. Du stehst noch am Anfang. Ist klar, dass du dann nicht so leicht mithalten kannst."

Der Boden fühlt sich kühl auf meiner Wange an und ich glaube nicht, dass ich nochmals aufstehen kann. Meine Beine sind wie Pudding.

"Schau!", ruft Luca plötzlich im Flüsterton.

Ich hebe meinen schweren Kopf und blicke in die Richtung, in die sie blickt.

"Was?", erwidere ich ebenfalls flüsternd.

"Steh auf! Und schau dort hin!", befiehlt sie.

Ich unterdrücke ein Stöhnen und stehe langsam und wackelnd auf. Ich blicke in die Richtung, in die sie deutet und dann sehe ich es. Diese drachenartigen Vögel haben etwas erlegt. Eine Art Katze? 

"Was sind das für Tiere?", frage ich leise.

"Dracen. Sind sie nicht wunderschön hier draußen?", fragt Luca und ich nicke. Dracen heißen sie also. Sie sehen wirklich wie Drachen aus, nur in Taubengröße. 

"Fang eines", sagt Luca plötzlich.

Ich drehe mich zu ihr um, nicht ganz verstehend, was sie da gerade gesagt hat.

"Ich habe gesagt. Fang eines." Ihr Ton ist befehlend und lässt keinen Widerspruch zu.

Langsam stehe ich auf und blicke zu den Dracen. Sie scheinen mich noch nicht bemerkt zu haben. Es sind sicher über zwanzig Stück, einen werde ich wohl schon fangen. Oder?

Reminiscence - Meine ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt