13. Rückwärts

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Taekwoon hockte vor seinem geöffneten Koffer. Er hatte seine Kleidung ordentlich gefaltet, Aufladekabel für jegliche elektronische Geräte in einer Plastiktüte gesammelt, ebenso wie seine Schuhe, sein Aftershave und ein paar Cremes. Es waren die ersten Indizien eines Neuanfangs. Am nächsten Morgen würde er den Zug in die nächste Großstadt nehmen und seine Heimatstadt hinter sich lassen.

Der hochgewachsene Junge ließ den Blick durch sein Zimmer schweifen. An der Wand über dem Schreibtisch hingen noch ein paar Fotografien von ihm und Jaehwan. Auf dem einen waren sie vierzehn und grinsten in die Kamera, im Hintergrund die rote Plastikrutsche aus der Einkaufspassage, die letztes Jahr geschlossen worden war. Auf einem anderen, da waren sie sicherlich schon sechzehn, biss Taekwoon Jaehwan ins Ohr. Die zitronengelb gestrichenen Wände verrieten, dass das Foto in Jaehwans Kinderzimmer geschossen worden war.

Zwischen einigen Fotos waren die Abstände zu groß, um gewollt zu sein. Dort hatten früher einmal Bilder von Sanghyuk gehangen, doch Taekwoon hatte sie abgenommen, da sie ihn irgendwann nur noch traurig gemacht hatten.

Er fühlte sich klein und lächerlich, wenn er an Sanghyuk dachte, der sich schon seit so langer Zeit nicht mehr bei ihm gemeldet hatte. Manchmal hatte Taekwoon ihn noch in der Einkaufsstraße gesehen oder an der Bushaltestelle, doch es war ihm stets gelungen, dem Jungen aus dem Weg zu gehen. Sanghyuk, der letzten Person aus seiner Jugend, die noch hier war. Alle anderen waren weggezogen bis auf ein paar, mit denen Taekwoon nie gesprochen hatte. In dieser Stadt war er nur noch ein Schatten; ein Name, der irgendwie hierher gehörte, an den sich aber niemand sonderlich gut erinnerte. Nicht einmal Sanghyuk, wie es schien, obwohl sie doch einst die besten Freunde gewesen waren.

Taekwoons verräterische Finger fanden den Weg auf sein Bett, wo sein Handy lag. Doch als er den Bildschirm einschaltete, war da nicht das, nach dem sich sein Herz so sehnte: Keine Nachricht von Sanghyuk. Sein Zeigefinger schwebte über dem Symbol, hinter dem sich seine Handy-Fotos verbargen, doch statt es anzutippen, legte er sein Handy wieder weg und machte sich daran, den Koffer zu schließen.

Er sollte jetzt nach vorne blicken und nicht an eine Person denken, die sicherlich seit Monaten nicht einen Gedanken an ihn verschwendet hatte.


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Taekwoon merkte schon in den ersten Tagen, wie er in ein ungesundes Denkmuster verfiel. Er wollte sich selbst dafür ohrfeigen, denn er wusste, dass er damit alles nur kaputt machen würde. Immer öfter dachte er an die alten Zeiten zurück. Er dachte an die hübschen, zierlichen Gesichter von Sanghyuks Ex-Freundinnen, an Sanghyuks laute Freunde, die so anders gewesen waren als er selbst, und daran, wie sich der Jüngere immer weiter von ihm entfernt hatte.

Was wenn das alles wieder passieren würde? Was wenn sich in diesem Sommer alles, was vor all diesen Jahren passiert war, spiegeln würde?

Es passierte nun öfter, dass er zusammenzuckte, wenn Sanghyuk ihn berührte. Er sah jedes Mal den Schmerz in dem Blick des Jüngeren und versuchte, die eigenartige Reaktion hinunterzuspielen, zu lachen oder dem Anderen zu versichern, dass er sich nur erschreckt habe. Gleichzeitig suchte er in Sanghyuks Augen nach Anzeichen des Ekels, der Abneigung und des Desinteresses. Er hatte das Gefühl, völlig verrückt zu werden. Das hier war alles, was er sich je gewünscht hatte. Wieso schien es also, als ob sein Körper sich mit allen Mitteln dagegen zu wehren versuchte?

Das Ganze beschäftigte Taekwoon so sehr, dass er sich eines Nachmittags nach der Uni vor der Tür von Jaehwans Wohnung wiederfand und auf die klebrige Klingel unter dem Namensschild Lee drückte. „Wer ist das denn jetzt schon wieder", hörte er Jaehwan von drinnen murmeln und biss sich nervös auf die Unterlippe. Was wenn sein bester Freund gerade beschäftigt war? Vor Taekwoons inneres Auge schob sich ein ziemlich unanständiges Bild von Jaehwan und Hakyeon, das übertriebene Zungenküsse und nackte Haut beinhaltete. Er verzog angewidert das Gesicht und betete, dass Hakyeon nicht gerade zu Besuch war und seine Vermutungen bestätigen würde.

Leo/Hyuk: Sommerspiegel [VIXX Fan-Fiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt