Runaways

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Die Lehrerin, die vorne links neben der Tafel saß, räusperte sich laut. Sie hatte meinen Namen schon drei Mal gesagt, ich hatte meinen Blick aber nicht von den blauen Augen in der letzten Reihe losreißen können. Beim vierten Mal schaffte ich es endlich und drehte mich zu ihr um. Während ich versuchte, meinen Blick von Verwirrung auf Langeweile umzuleiten, begann sie sich schon hektisch vorzustellen. 

"Du musst die Neue sein, richtig?" Ich gab der jungen Frau keine Antwort, weshalb sie nach einigen Sekunden einfach weitersprach. "Ich bin deine neue Klassenlehrerin, Frau Dinkels. Das hier ist meine erste 10, wie ich deinen Mitschülern eben schon erklärt habe, deshalb kann es sein, dass es ein wenig drunter und drüber geht in den nächsten Wochen.", sagte die Dinkels und lachte hell. Es lachte aber keiner mit, bis auf einen Jungen in der letzten Reihe mit blonden, schulterlangen Haaren. Es war ein sanftes Lachen, und ich ließ meinen Blick nur eine Sekunde auf Lucas ruhen, ehe ich mich wieder der Dinkels zuwandte.

"Jedenfalls freue ich mich, dich kennenzulernen." Sie stand auf und streckte mir eine Hand hin. Ihre Maniküre war aber furchtbar, weshalb ich mich weigerte, sie zu nehmen. Die Dinkels schien das aber nicht zu kümmern, denn sie verwandelte ihre ausgestreckte Hand in eine Klatschgeste.

"Wie wär's du stellst dich der Klasse einmal kurz vor?" fragte sie jetzt und lächelte mich motivierend an. Danach setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch, faltete die Hände vor sich und verschlug ihre Beine. Als ich nichts sagte, ergänzte sie ein ermütigendes: "Na los!"

Obwohl ich mich weigern wollte, entschied ich mich doch dafür, mich vorzustellen. Schließlich sollten meine neuen Mitschüler wissen, mit wem sie es jetzt zu tun hatten.

Also drehte ich mich um, um einen kompletten Überblick über die Klasse zu haben. Ich hob die Sonnenbrille, die ich bisher getragen hatte, von meinen Augen und ließ meinen Blick langsam über die Gesichter meiner neuen Mitschüler schwenken. Die Meisten wirkten gewöhnlich. Die erste Reihe war gefüllt mit dem Stereotyp Streber. Ich sah von einer Brillenschlange zur nächsten. Die meisten verzogen beängstigt das Gesicht, nachdem ich sie angesehen hatte, Die Reihe war so uninteressant, dass ich mit einem Augenrollen die zweite nach etwas, was mein Interesse weckte, absuchte. Hier saßen die Mädchen, die sich für die "Mean Girls" der Klasse hielten. Mit Regina George hatten sie aber nicht besonders viel gemeinsam. Während ich von einer Blondine zur nächsten schaute, die alle krampfhaft versuchten, sich ihre Beunruhigung nicht anmerken zu lassen,  blieb mein Blick kurz auf ihrer offensichtlichen Anführerin hängen. Sie saß genau in der Mitte und so quasy direkt vor vor mir. Ihre Haare waren hellblond und zu einem Dutt zusammen gebunden. Ihr Lippenstift war pink und glänzend und ihr Top pink und kurz. Ich schenkte ihr ein spöttisches Lächeln, das sie mit einem irritierten Blick erwiderte. Ansonsten wirkten die Mädchen der zweiten Reihe wie Klone von ihrer Anführerin.
In der dritten und vierten Reihe saßen die Standard-Jungs, die mich schon seit einigen Jahren nur noch langweilten - alle die selbe Frisur und dem selben dämlichen Grinsen. Ich hielt mich nicht lange an ihnen auf, ehe ich meinen Blick in die letzte Reihe fahren ließ, die einzige Reihe, in der noch ein Platz frei war. Die Reihe der Lochboys, die heute außnahmsweise alle anwesend zu sein schienen. Ganz außen links saß Lucas, der mich freundlich anlächelte. Daneben Harvey, der mich nicht beachtete und Lucas in diesem Moment einen Zettel zuschob. In der Mitte dann Heiko, der mich angrinste. Sein Grinsen war nicht freundlich. Es hatte etwas bedrohliches an sich. Auch Roman, der neben ihm saß, ignorierte mich. Sein Blick hatte sich auf das Fenster fokusiert und er schien etwas zu beobachten, was draußen passierte. Ich folgte seinem Blick nicht sondern schaute auf Leon, der mich genervt musterte. Wir hatten einen kleinen Staring-Contest, ehe ich mich endlich vorstellte.

"Vielleicht habt ihr schon von mir gehört" sagte ich, und meine Stimme klang so neutral und gelangweilt, dass die Anführerin der Mädchenclique ihre Nase rümpfte. Ihre Klone taten es ihr gleich. "Ghettobarbie. Sagt das wem was?" 

Niemand traute sich zu antworten, aber ich sah in den Gesichtern der Meisten, dass sie den Namen schon einmal gehört haben mussten. Die Streberreihe musterte mich verängstigt, die Mädchen der zweiten Reihe wirkten geschockt und die Jungs, inklusive dem Großteil der Lochboys, wirkten interessiert. Der einzige, der eine laute Reaktion zeigte, war Heiko, der laut auflachte. Ein einfaches "Ha!", gefolgt von einem leiseren "Na das kann ja interssant werden" in Roman's Richtung, der sich dann endlich auch zu mir umdrehte. Ich versuchte mich von seinen blauen Augen nicht ablenken zu lassen, fühlte aber das Gewicht, dass sie auf mir hinterließen.

"Eigentlich heiße ich Chaney, aber ob ihr das Privileg habt, mich auch so zu nennen, weiß ich noch nicht." gelangweilt schaute ich auf meine Fingernägel. "Eine Sache weiß ich aber ganz sicher" ich hob den Blick und ließ ihn über meine Klassenkameraden schweifen. Meine Stille schien sie zu zerreißen, genau wie die Anspannung, die in der Luft lag. Als ich endlich fortfuhr, war die erste Reihe Kreidebleich im Gesicht. "Ich werde es euch sicher nicht einfach machen, den Schulalltag zu überleben." Danach ging ich wortlos auf den freien Platz und ließ die Worte, die ich gerade gesagt hatte, auf meine Klassenkameraden wirken.

Aus meinem Augenwinkel sah ich die Reaktionen der Lochboys. Heiko lachte und murmelte seinem Zwillingsbruder etwas zu. Leon hatte ein genervtes Schnauben von sich gegeben, eher er sich wieder nach vorne drehte. Harvey hatte sich zu Lucas gelehnt und ihm etwas zugeraunt, der mit einem Lachen reagiert hatte. Und Roman - Roman drehte sich zum ersten Mal an diesem Tag zu mir um und musterte mich. Ich hatte das Gefühl, als würde er direkt durch die Wand,  die ich in den letzten Jahren um mich herum aufgebaut hatte, durchschauen. Ich versuchte mir die Unsicherheit, die seine Blicke in mir auslösten, nicht anmerken zu lassen. Es brachte nichts. Aus meinem Augenwinkel sah ich ein kleines, geheimes Grinsen, das sich auf Roman's Gesicht bildete.

Mein Badgirl (Die Lochis FF) #Wattys2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt