Kapitel 20 - Elias Brown

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Leicht verwirrt und mit einem riesigen Loch in der Magengrube lief ich in das Haus. Mein Bauch sträubte sich davor noch länger ohne Essen auszukommen. Vor der Tür klingelte ich pausenlos und erwartete, dass Lorie aufmachen würde. Tatsächlich wurde dann endlich die Tür geöffnet, allerdings nicht von meiner Cousine.

Lächelnd stand meine Mutter vor der Tür mit einer heißen Tasse Tee. Perplex starrte ich sie für ein paar Sekunden einfach nur an. Es war merkwürdig, sie zu sehen. Normalerweise ließ sie sich nie hier blicken, wegen Großmutter.

,,Grace, mein Liebe. Was ist das denn an deiner Stirn?", trällerte sie und verschaffte mir Eintritt in das Haus. Besorgt wollte sie schon dahin greifen, aber ich stoppte sie noch.

„Halb so wild. Was machst du denn hier?", fragte ich sie neutral. Ich war weder begeistert noch genervt, dass sie hier auftauchte. Es war nur verwunderlich. Ich kannte sie gut genug um zu wissen, dass eine schlechte Absicht hinter ihrem Besuch liegen muss. Doch ich konnte mir nicht im Geringsten ausmalen, was sie wollte.

„Ich darf ja wohl meine Tochter besuchen." Zusammen liefen wir ins Wohnzimmer, in dem Lorie schon wartete. Skeptisch beäugte ich sie. Mehr als ein Schulterzucken bekam ich aber nicht von ihr.

Gemeinsam setzten wir uns aufs Sofa. Keiner sagte etwas. Diese peinliche Stille schien den Raum in eine toxische Art und Weise zu verschlingen. Ich betete dafür, dass jemand mit dem ersten Wort begann.

„Also...", fing Lorie an zu reden. Die Lage entspannte sich leicht. Doch auf einmal stand sie auf und steckte ihre Daumen in den Hosenbund. Erst jetzt fielen mir ihre riesen Augenringe auf. Generell sah sie ziemlich krank aus. Sofort machte ich mir Sorgen um sie. Als würden meine Mutterinstinkte geweckt, obwohl ich nicht mal Kinder hatte.

„Ich hab noch viel zutun. Entschuldigt mich.", beendete sie ihren Satz. Ihr Verhalten war so erwachsen. Sie benahm sich völlig anders. Das passte kaum zu ihr. In den letzten Tagen hatte sie nichts Dummes angestellt, was mir eigentlich schon sofort hätte suspekt vorkommen müssen.

Sie nickte uns kurz zu und verschwand genau so schnell die Treppen hoch.

„Ist alles in Ordnung mit ihr?", fragte mich nun meine Mutter. Ihr war es ebenfalls aufgefallen. Ich zuckte nur mit meinen Schultern. Später würde ich sie noch mal darauf ansprechen.

„Sei ehrlich. Wieso bist du hier?" Ich wechselte das Thema. Ihr Auftauchen beschäftigte mich gerade mehr. In unserer Familie war es üblich mehr zu nehmen als zu geben. Blindes Vertrauen in solch einem Umfeld wäre dein Todesurteil.

„Wegen dir. Ich versichere es dir." Ich runzelte meine Stirn. Ich glaubte ihr zwar nicht, aber es brachte jetzt auch nichts sie zu durchlöchern. Früher oder später würde ich es schon erfahren.

In meinem Kopf fingen alle Räder an sich zu drehen. Momentan wäre es die perfekte Situation um mehr über meinen Vater zu erfahren. In meiner Kindheit und Jugend verdrängte ich immer diese Gespräche. Meine Mutter selbst mied diese Konflikte, doch nun fühlte ich mich der Sache gewachsen. Es hatte Jahre gedauert um mir bewusst zu werden, was mir eigentlich alles entgangen war. Ich fragte mich, wie mein Leben mit einem Vater wohl ausgesehen hätte. Darunter konnte ich mir aber nichts vorstellen. Es war wie ein klaffendes, schwarzes Loch, das niemals geschlossen werden konnte.

Wie ein Mantra sprach ich die Worte in meinem Kopf.

Du schaffst das.

Du schaffst das.

Du schaffst das.

Ein letztes Mal atmete ich tief durch und griff nach meinem Rucksack.

„Gut. Dann reden wir über mich oder eher gesagt..." Schnell kramte ich das Buch aus dem inneren meines Rucksacks und öffnete es auf der Seite mit der Notiz.

„Meinen Vater." Ich hielt ihr den Zettel vor die Nase. Ihre Augen weiteten sich und sie griff nach der Notiz.

„Woher hast du das?" Ihre Stimme wurde ernst und fast schon zittrig.

„Die bessere Frage wäre doch, was diese Notiz zu bedeuten hat. Du kennst sie. Woher kennst du sie? Ist sie wirklich von-von ihm?" Die Fragen sprudelten nur so aus mir heraus. Ich wollte Gewissheit. Ich wollte Antworten, die mich zufrieden stellten. Aber es kam keine.

Sie zeigte keine Reaktion. Ihr Blick war nur stur auf das Blatt gerichtet.

„Erklär es mir. Bitte." Flehend schaute ich in ihre Augen.

„Ich...hab keine Ahnung." Kalt schaute sie nun auf mich.

Keine Ahnung? Das war alles, was sie dazu zu sagen hatte? Sie sah mir an, wie niedergeschlagen ich war und setzte wieder zum Gespräch an.

„Hör zu, Liebes..."

„Nein. Du hörst mir jetzt zu. Seit Jahren sagst du mir, dass du nichts mehr mit meinem Vater zutun haben willst und das habe ich akzeptiert. Dir zu Liebe wollte ich nie darüber sprechen, aber jetzt-jetzt ist da dieser Zettel und- Er muss von ihm sein. Vielleicht bin ich ihm doch nicht egal."

„Das ist lächerlich. Er hat uns verlassen, weil er dieser Situation nicht gewachsen war. Du kennst ihn nicht. Du weißt nicht, wie er war. Lass es einfach gut sein."

„Das ist doch der sprengende Punkt. Ich will ihn kennenlernen. Ich will wissen wie er war. Du kannst ihn mir nicht wegnehmen." Ich deutete auf den Zettel.

„Dort steht es doch. Schwarz auf weiß. Ich kann ihm nicht egal gewesen sein. Bitte, sag mir wenigstens seinen Namen."

Kopfschüttelnd unterdrückte sie ihre Tränen. Soweit waren wir also schon gekommen. Mein Herz raste vor Aufregung. Ihre ganze Argumentation war konfus, als hätte sie es auswendig gelernt. Ich wusste mir nicht mehr weiter zu helfen.

„Du verstehst es einfach nicht." Weitere Tränen kullerten ihr über die Wange. Ich war verwirrt und verstand es tatsächlich nicht.

„Elias Brown. Mehr kann ich dir nicht sagen." Sie wischte ihre Tränen weg und stand auf. Wollte sie jetzt wirklich gehen? War das ihr scheiß ernst?

„Warte. Wir werden das nun zu Ende diskutieren." Ich wollte nicht allein gelassen werden. Sie konnte mir das nicht antun. Ich hatte noch tausende Fragen.

„Es tut mir Leid." Sie lief in die Richtung der Tür und ich ihr gleich hinter her.

„Bleib stehen. Mum!", schrie ich sie an. Ich hatte sie noch nie so angeschrien. Kurz vor der Tür blieb sie stehen und schaute mich an. Ich nutzte die Gelegenheit um ihr ein Ultimatum zu stellen.

„Wenn du jetzt gehst, brauchst du auch nie wieder zurück zu kommen." Ich war nicht nur wütend, ich war ebenfalls verletzt.

Immer ließ sie mich los, wenn ich sie am meisten brauchte. Doch dieses Mal, ließ ich sie nicht so leicht davon kommen. Sie sollte endlich ihrer Rolle, als richtige Mutter gerecht werden. Das kann doch nicht zu viel verlangt sein.

Erst später bemerkte ich, dass sie die Notiz von meinem vermeidlichen Vater noch in der Hand hielt. Provozierend riss sie den Zettel in einzelne Stücke und schmiss ihn auf den Boden. Reflexartig hielt ich den Atem an und sah ihr dabei zu, wie sie aus dem Haus ging. Mit Tränen in den Augen lief ich zu den Fetzen und hob sie mühselig auf. Mein Inneres war zerbrochen.

Schon millionen Male hatte ich mich mit ihr gestritten, doch dieses Mal schien es endgültig. Damals hatte ich immer Gedacht, dass meine Mutter nicht von mir loslassen kann, aber eigentlich musste ich diejenige sein, die einen Schlussstrich zieht.

Langsam war mir nicht mehr nach Weinen. Ich lehnte mich an die geschlossene Tür mit den kleinen Papierschnipseln und ordnete sie an die richtige Stelle.

Je länger ich hier saß, desto größer wurde die Leere in mir. Soeben gerade hatte ich meine Mutter verloren.

Im Leben hatte aber alles sein Gleichgewicht.

Um diese Balance wieder herzustellen, müsste ich meinen Vater finden.

Elias Brown.

~*~

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 07, 2020 ⏰

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