Wer bin ich?

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Ich stand seit bestimmt einer halben Stunde vor dem Spiegel und starrte mein Spiegelbild an. Immer wieder rief ich mir in Erinnerung, was in Potsdam passiert war, und, obwohl ich keine 12 Stunden wieder zuhause war, kam mir das Erlebte bereits vor wie ein Traum. Ich dachte daran, was wäre wenn das irgendwer von meinen Freunden rausbekam, und mir wurde übel. Klar, die Schule war vorbei, aber dennoch, ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich es jemals jemandem sagen würde. Auf keinen Fall.

Ich konnte es mir ja nicht mal selbst sagen, hier vor dem Spiegel.

„Dennis" sagte ich zum Spiegel. „Du hast einen Kerl geküsst, zum wiederholten Mal. Und dir hat das gefallen." Mehr brachte ich nicht heraus.

„Bin ich schwul?" fragte ich schließlich den Spiegel, so leise flüsternd, dass ich mich kaum selbst verstand. Mein Spiegelblick sah mich mit angsterfülltem Blick an. Es hatte auch keine Antwort für mich.

„Ich bin doch nicht schwul, oder?" fragte ich jetzt, eine Spur lauter. Mein Spiegelbild sah mich verwirrt an. „Ich doch nicht!" sagte ich zum Spiegel.

Ich seufzte, und ging zum Fenster rüber. Es regnete, und man konnte nicht sinnvollen tun, außer zuhause zu sitzen und zu grübeln.

Ogott meine Mutter! An sie hatte ich gar nicht gedacht. Wenn sie es wüsste!

Aber andererseits, hatte Miki gesagt, es müsse niemand erfahren. Und ich vertraute ihm, dass er zu seinem Wort stand. Und wenn es niemand erfuhr, würde ich mich auch vor niemandem rechtfertigen müssen. Basta. Problem gelöst.

Genau in diesem Moment kam eine Nachricht rein.

Mik: Na, Denni, gut geschlafen?

Dennis: Ja, ging schon. Du auch, hoffentlich!?

Mik: klar, aber als du hier warst, gefiel es mir besser.

Dennis: Stimmt. War schön, dass es geklappt hat!

Mik: Mit uns?^^

Dennis: O Gott XD. Mit dem Treffen, meine ich.

Mik: ;)

Dennis: Wann sehen wir uns? Du wolltest doch mal bei mir vorbeikommen?

Mik: Wann hast du denn Zeit?

Dennis: Jetzt eigentlich immer. Die Abi-Prüfungen sind rum. Nur noch Zeugnisausgabe und Abiball stehen an. Aber sonst habe ich jetzt fast drei Monate frei :)

Mik: Was für ein Leben! Mit Wem gehst du hin?

Dennis: Zum Abiball? Mit Niemandem, vermutlich.

Mik: Okay. Das ist aber ein bisschen traurig.

Dennis: Nein, ich werde dich nicht fragen, ob du mit mir da hingehst.

Mik: Schade

Dennis: ???

Mik: Nein, schon gut. Ich glaube ich kann so in 3 Wochen was frei schaufeln. Dann könnte ich auch etwas länger bleiben. 4 oder 5 Tage. Hältst du mich so lange aus?

Dennis: Klar :-) Uns fallen schon ein paar Dummheiten ein, die wir machen können.

Mik: Ohja das glaube ich auch ^^

Dennis: Man Mik, so war das gar nicht gemeint.

Mik: Ich glaube das war doch so gemeint :)) Nein, schon gut. So wie du willst. Ich will dich einfach nur sehen.

Dennis: Das ist süß. Aber 3 Wochen O.O Das ist doch noch eine Ewigkeit!

Mik: Aber wir können ja schreiben. Und camen. Apropos... Was hast du gerade an?

Dennis: Miki...?? Was wird das?

Mik: Vielleicht möchte ich mir einfach vorstellen, wie du da im PC sitzt, und mir vielleicht ein paar warme Gedanken dazu machen...

Dennis: Du bist so schlimm... ^^

Mik: Und du bist ziemlich heiß. Ich steh halt auf dich. Nimmst du mir das wirklich übel? Sah nämlich gestern nicht so aus XD

Am Abend durchforstete ich das Internet, penibel darauf achtend, dass ich anschließend meinen Verlauf löschte.

Das war das erste Mal, dass ich bewusst im Internet über Coming out nachforschte, mich über Homosexualität informierte, die Geschichte in Deutschland darüber nachlas, und mir Gedanken darüber machte, wie es wohl jemandem erging, der sich outete. Auf welche Lebenslagen hatte das einen Einfluss? Und warum? Sollte es nicht eigentlich so sein, dass sich überhaupt nichts änderte? Man war ja nicht plötzlich eine ganz andere Person, nur weil man statt einer Freundin vielleicht einen Freund hatte. Ein riesiger Haufen Was-Wäre-Wenn-Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab, eine merkwürdiger als die andere. Immer wieder machte mein Kopf einfach dicht und ich konnte mir diese Seiten nicht weiter ansehen. Ich wollte nicht so sein. Konnte es einfach nicht.

Mein Abiball verlief ohne weitere Vorkommnisse. Ich hatte eine flüchtige Bekannte gefragt, ob sie mich begleiten wollte und sie hatte spontan zugestimmt. Josi hatte ich in einem Club getroffen und sie am gleichen Abend noch gefragt. So hatte auf ich dem Ball zwar eine Partnerin gehabt, was besser war, als mit irgendeiner schrulligen Lehrerin tanzen zu müssen, doch Josi war nun auf den Plan getreten, und hatte sich irgendwie in mein Leben geschoben. Ich hatte ihr zwar gleich gesagt, dass ich nur eine Tanzpartnerin brauchte, aber anscheinend hatte sie das einfach für meine Masche gehalten. Nun gab es da plötzlich Josi in meinem Leben, die mich ständig fragte, wann wir uns wiedersehen würden. Ich traf mich ein paar Mal mit ihr, auch wenn ich selbst nicht wusste warum. Klar, ich mochte sie irgendwie, aber dieses Interesse, ging eindeutig nur von ihr aus.

Vielleicht war es mein Ego, damit ich vor meinen Freunden mit einem hübschen Girl an der Seite glänzen konnte, vielleicht auch nur die Langeweile. Irgendwo hoffte ein Teil von mir vermutlich immer noch, für ein Mädchen tiefere Gefühle entwickeln zu können. Schließlich konnte man es ja mal versuchen!

Sie war nett, und süß, und roch nach diesem Pfirsichdeo, was ich an meiner Mutter so mochte. Dass das dumm war, wusste ich selbst. Aber schließlich war ich nicht mit Mik zusammen. Wir waren nur Freunde, die ein bisschen mehr füreinander übrig hatten, als es üblich war. Ein bisschen mehr miteinander taten, als es üblich war. Aber das ging ja nur uns etwas an. Trotzdem. Solange Mik noch irgendwo mit Tommy an ihrer On-Of-Beziehung arbeitete, hatte ich auch kein schlechtes Gewissen, wenn ich mich mit jemand anderem traf.

Josi war irgendwie niedlich. Wir verbrachten Zeit miteinander, lachten, und hatten eine Menge Spaß. Es dauerte nicht lange da nannte ich sie meine Freundin. Zumindest vor meiner Mutter und meinen Freunden. Dass dies nicht ganz der Wahrheit entsprach, wussten Josi und ich sehr gut. Ich sagte ihr fast täglich, dass ich nichts Ernstes wollte, doch sie ging damit ganz unbeschwert um.

Manchmal fragte sie, ob ich nicht mehr von ihr wollte, als flüchtige Küsse auszutauschen und ein wenig zu kuscheln. Dann hauchte ich ihre ein Schmatzer ins Haar.

„Irgendwann vielleicht" sagte ich ihr dann. „Aber im Moment bin ich froh so wie es ist."

Ich dachte daran, dass sich meine Gefühle für sie vielleicht noch verstärken würden. Doch eigentlich wusste ich bereits, dass das vermutlich nicht der Fall sein würde. Denn offensichtlich tickte ich ganz anders.

More than youthful curiosity - eine Kostory FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt