12.

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Überrascht blieb ich stehen und schaute ihn an. Er wartete noch geduldig, bis Julian die Tür hinter sich zugezogen hatte, dann musterte er mich einmal gründlich. "Wie bist du in die ganze Sache verstrickt gewesen? Hast du in der Schülermenge gestanden, als es passiert war?"

Wahrheitsgetreu verneinte ich dem Mann. "Ich habe den Tumult gehört und gewusst, dass etwas nicht stimmte!", berichtete ich. Rafaels Stirn bekam leichte Falten, als er zu überlegen begann. "M-hm... Du wolltest ihn stoppen, hatte ich das richtig verstanden?"

"Ja."

"Obwohl du wusstest, dass er auch dich verletzen könnte mit seiner Kraft?"

"Ja", antwortete ich erneut. Jetzt wurde ich langsam unsicher, auf was er mit seinen Fragen hoffte.

"Hattest du keine Angst vor ihm? Oder Zweifel daran, ob du es wirklich schaffst?"

Ich schluckte. "D-doch, schon! Ich war mir nicht sicher, wie ich ihn überzeugen sollte, aber ich wusste, dass er nicht richtig handelte! Und da niemand anderes ihn aufgehalten hat, dachte ich-, also, ich habe mich irgendwie dafür verantwortlich gefühlt! Ich konnte ja nicht einfach zuschauen, wie er jemanden in seinem Zorn halb erwürgt!"

Irgendwie glaubte ich, schon wieder viel zu viel gesagt zu haben. Und es war mir ziemlich unangenehm. Auch Rafael durchbrach das Schweigen nicht mit einer weiteren Frage, er starrte mich nur konzentriert an. Nervös wartete ich ab, bis ich mich plötzlich an seine letzten Sätze an Julian von eben erinnerte. "Aus großer Macht folgt große Verantwortung. Das ist aus Spiderman, nicht war?"

Rafael schmunzelte. "Richtig. Du kennst die alten Filme?" Natürlich! "Meine Lieblingsfilme!", grinste ich breit, "Das hatte Onkel Ben zu Peter gesagt!"

"Passend, findest du nicht auch? Wenn sich nur mehr Menschen an seine Überzeugung halten und ihre Macht über andere verstehen würden, dann könnte die Welt ein so viel besserer Ort sein. Keine Kriege, keine Diktaturen, kein Leiden mehr. Das wäre eine schöne Vorstellung, oder?"

Eigentlich wollte ich sofort mit Ja antworten. Was sollte es denn besseres geben als eine Welt im vollständigen Frieden? Doch ich hielt rechtzeitig inne, um nochmal über diese Vorstellung nachzudenken. Wer legte denn fest, was die Menschen mit der meisten Macht für verantwortungsbewusste Taten hielten? Einige fanden es vielleicht sinnvoller, ihr ganzes Vermögen an Bedürftige zu spenden, während andere es lieber für das eigene Wohlergehen ausgaben. Es müsste eine Universalregel dafür existieren, was mit dieser Macht geschehen sollte! Und genauso auch eine Regel für politische Macht und für wirtschaftliche Macht. Die konnten bestimmt irgendwie geschaffen werden, und dann wären alle Leute nach einiger Zeit gleich. Gleich, aber unfrei, das zu tun, was sie vielleicht statt der vernünftigen Richtlinien einmal tun wollten, zum Beispiel um sich selbst für Strapazen zu belohnen oder einfach mal nur zu entspannen. Sicher würde es dann auch Kontrollen geben, um eben solche abtrünnigen Einzelpersonen wieder einzugliedern und zack - waren wir in einer neuen Art Diktatur gelandet, obwohl wir genau das mit der Verantwortung eines jeden einzelnen beheben wollten! Also schüttelte ich unzufrieden den Kopf. "Zuerst wäre es bestimmt schön, aber ich glaube, es würde schnell öde oder einengend werden. Es würden auch sicher nicht alle dabei mitmachen. Das war immer so und es wird auch immer Einzelgänger oder Regelbrecher geben."

Dunkelbraune Augen durchbohrten mich, anerkennend und interessiert. "Du hast nicht Unrecht", meinte Rafael schließlich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Glücklich über sein Lob ballte ich innerlich meine Faust zusammen und stieß sie zufrieden über mich gen Himmel. Wow! Und ich hatte schon befürchtet, dass er keinen Zweifel an seinem idealen Weltbild zulassen würde! Aber ich hatte mich da wohl getäuscht. Er war einfach richtig cool und bodennahe geblieben, trotz seiner hohen Arbeit!

Trotzdem ließ er mich immer noch nicht gehen. "Sag, hast du eine besondere Fähigkeit bekommen?"

"Ja, ich brauche keine Brille mehr, habe plötzlich krasse Muskeln gekriegt und-, ...und kann extrem weit und genau hören, was um mich herum passiert! So hatte ich auch Julian gefunden!", plapperte ich munter drauf los und sah Rafaels Augenbrauen nach oben wandern. "Drei verschiedene Kräfte?"

"Genau! Und ein bisschen wie Spiderman!", sobald ich den letzten Satz gesagt hatte, war er mir auch schon peinlich. Hoffentlich hielt er mich jetzt nicht für ein totales Kleinkind! Aber er schmunzelte wieder so unverschämt. "Spinnensinne? Das ist allerhand! Mich würde es wirklich interessieren, was du aus deiner Verantwortung machen wirst!"

Es klopfte wieder und verwundert ging ich los, um zu öffnen. Julian? Hatte er irgendetwas vergessen? Aber als ich Tobi dort im Gang stehen sah, mit leuchtend roten Wangen und erwartungsvoll glänzenden Augen, konnte ich nicht anders, als aufzulachen. Es war ganz klar, dass er damit gerechnet hatte, Rafael würde ihm persönlich öffnen und ihn hereinbitten! So ertrug er meinen spielerischen Spott mit einem stummen Grabesblick in meine Richtung, ehe er sich auch schon wieder mit gerecktem Hals nach seinem Schwarm umschaute. "Komme ich grade ungelegen?"

Der Mann grinste: "Ganz und gar nicht! Eigentlich sogar perfekt, ich war gerade mit Stegi fertig. Was gibt es denn?"

Tobi warf mir einen raschen Blick zu und schulterzuckend verließ ich das Büro. Bestimmt Privatsachen, über die sie sich unterhalten wollten. Das ging mich nichts an und artig rief ich meine Sinne zurück, die neugierig durch die verschlossene Tür zu schlüpfen versuchten, um das Gespräch dahinter zu belauschen. Wenn etwas positives herauskommen sollte, war ich sowieso der erste, der davon erfuhr!

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