Und die Gelegenheit ergab sich bereits am nächsten Tag, als die Ärzte entschieden, dass Tim wieder fit genug war, um Besuch empfangen zu können. Bis zu seiner endgültigen Entlassung würde es zwar noch ein paar Tage und viele Medikamente brauchen, aber ihn bis dahin zu versetzen, nur weil ich zu feige für mein Geständnis war, das kam nicht in Frage! Also musste ich jetzt einfach in den sauren Apfel beißen, um meinen Freund wiedersehen und ihm gute Besserung wünschen zu können. Ich musste ihm von meiner dritten Superkraft erzählen, bevor er herausfand, dass ich sie ihm bisher verschwiegen hatte.
Verdammt, ich schwitzte sogar, als ich mir vor seinem Zimmer nochmals das Oberteil zurecht zupfte! So nervös war ich. Echt peinlich eigentlich. Tim würde mir schon nicht den Kopf abreißen! Und sich selbst hoffentlich auch nicht. Ich würde einfach auf den passenden Moment warten, wenn das Gespräch darauf kam, was es unweigerlich tun würde. Bis dahin war die Gesundheit meines Freundes das allerwichtigste! Etwas beruhigter und sortierter atmete ich durch und klopfte.
"Ja", hörte ich seine leicht kratzige Stimme von drinnen und öffnete vorsichtig die Tür zu seinem Raum. "Hey Timbo, ich bins!"
Als er mich erkannte, lächelte er mich breit und glücklich an. "Hey Dino, schön dass du vorbeischaust!", seinem Murmeln folgte ein kurzer Husten, zusammen mit einem bedauerndem Blick. Doch sobald er wieder zu mir aufschaute, war dieser Ausdruck auch schon verschwunden. Armer Timmi... Ob er noch große Schmerzen hatte? Eilig schnappte ich mir einen Stuhl, stellte ihn neben das Kopfende von seinem Einzelbett und legte meine rechte Hand auf seine, die warm und regungslos auf seinem Oberkörper ruhte. "Wie geht es dir, Großer?"
"Besser", meinte er optimistisch mit einem Blick auf meine Finger, "Ich spüre die Verbrennungen jedenfalls nicht mehr."
"Das ist super!", wollte ich schon jubeln, aber Tim nahm mir schnell wieder den Wind aus den Segeln. "Dafür fühle ich auch vieles anderes gerade nicht... Ich muss schon aufpassen, dass ich mir beim Sprechen nicht auf-", er stockte und verzog seine Mundwinkel, "-auf die Zunge beiße... Mist."
"Wieso das denn? Soll ich jemandem Bescheid sagen?", fragte ich ihn alarmiert, wurde aber mit einem Kopfschütteln abgewimmelt. "Das muss so. Starke Schmerzmittel. Bin wenn alles gut läuft bis morgen noch halsabwärts taub, dann wollen sie die Dosis verringern. Sorry Stegi, dass ich dir so einen Ärger mache..."
Oh Timmi... Ich beugte mich schnell vor, um ihm einen Kuss auf die weichen Lippen zu geben: "Du machst mir keinen Ärger! Schlag dir das bitte aus dem Kopf! W-wenn schon habe ich dir Ärger gemacht, weil-!"
"Shhh..." Tim blinzelte mir liebevoll zu. "Einigen wir uns darauf, dass niemand Schuld ist, okay? Außerdem... immerhin habe ich ja jetzt auch eine gut sichtbare Narbe, genau das, was ich haben wollte, nicht wahr?"
Ich hätte am liebsten vor unterdrücktem Lachen geschnaubt durch seine Worte, wären sie nicht wieder so traurig und säuerlich im Nachgeschmack gewesen. Wie konnte ich ihn nur trösten und wieder wirklich glücklich machen? Er quälte sich noch immer so sehr an seinen unerfüllten Wünschen und seinem Drang, fröhlich und unbeschwert zu wirken, obwohl ihn die Schwermut innerlich auffressen musste! Hmm, eine Idee hätte ich, ob sie punkten konnte, würde ich gleich sehen. Vorsichtig löste ich unsere verschränkten Hände, sah ihn fragend an und begann dann langsam, die drei Knöpfe seines Oberteils zu öffnen, bis seine Brust frei vor mir lag. Mittig auf seinen sichtbar definierten Muskeln waren Julians Handabdrücke noch immer deutlich zu erkennen, zwei rote, nahe beieinander liegende Flecken frisch verheilter Haut, die mit etwas Fantasie an die Silhouette eines Vogels erinnerten, die die man als kleines Kind mit einer Taschenlampe als Schattenbilder erzeugt hatte. Ich beugte mich vor und setzte drei federleichte Küsse auf ihr ab, dazwischen murmelte ich zu Tim: "Weißt du, du besitzt in Wahrheit eine Superkraft, die kein anderer außer dir besitzt! Sie ist einzigartig und du hattest sie sogar schon, bevor uns der Blitz getroffen hatte. Willst du wissen, was für eine Kraft ich meine?"
"Ja", flüsterte er gespannt. "Du kannst mich mit einem einzigen Wort wieder aufmuntern, wenn es mir schlecht geht. Du bist immer für mich da und bei dir fühle ich mich total geborgen! Ich liebe dich und du bist für mich etwas ganz besonderes, genau so wie du bist! Das ist deine Kraft und egal was passiert, ich würde sie über jede andere bevorzugen. Du bist mein Held!"
Timbo schniefte leise. "Du bist süß, Dino. Ich weiß, ich jammere viel zu viel und sollte das schätzen, was ich hab! Ich liebe dich auch Kleiner, Dankeschön!"
"Kein Problem!", lächelte ich erleichtert, "Und sobald es dir besser geht und du wieder alles fühlen kannst, werde ich dich mit Küssen überhäufen, okay?"
"Ich habe sie gefühlt, deine Küsse. Mit meinem Herzen!" Tim grinste: "Komm her Dino!" Das ließ ich mir nicht doppelt sagen! Dieses Mal war unsere Verbindung intensiver, unsere Lippen arbeiteten im Gleichtakt miteinander und mein Freund gab sich Mühe dabei, trotz seiner Lähmung das Tempo beizubehalten. Aber es fiel ihm schwer, das spürte ich. Er atmete immer heftiger und irgendwann löste ich mich von ihm, damit er besser atmen konnte. In seinen Blick mischte sich eine ungeheure Sehnsucht, während er zu meinem Tshirt wanderte: "Darf ich... deinen Körper auch nochmal sehen?"
Auch diesen Wunsch erfüllte ich ihm ohne weitere Nachfragen. Mit wenigen Handgriffen hatte ich mir das Oberteil behutsam über den Kopf gestreift und Tim eine freie Sicht ermöglicht. Wie er vorhergesagt hatte, war die auffällige Blitznarbe mittlerweile fast komplett in nahezu unsichtbare rote Muster verheilt, nur stellenweise schienen die beiden Fronten noch gegeneinander zu kämpfen und auf seltsame Art miteinander zu einem Gesamtbild verschmelzen. Und obwohl ich zuletzt beide akzeptiert hatte, war ich doch froh, dass die vielen Streifen und Flecken jetzt verblassten und diese kompliziert verzweigten Figuren bildeten. Im Unterricht hatten wir erfahren, dass sie Lichtenberg-Figuren hießen und jeder von uns tatsächlich zu einer Art Kunstwerk geworden war durch seine ganz individuelle Musterung. Diese Info hatte allen deutlich geholfen, besser mit ihren Narben klarzukommen, das hatte man auch ohne Superkräfte sehen und spüren können!
"Woah...!", hörte ich meinen Freund wispern, als er die einzelnen Linien mit den Augen nachzog, "Wunderschön..."
Am liebsten hätte ich Tim noch mehr Zeit gegeben, um mich zu betrachten, aber als meine Sinne ansprangen und mich warnten, dass gleich mehrere Krankenschwestern an seinem Zimmer vorbei laufen würden und eine von ihnen uns möglicherweise stören könnte, schnappte ich mein Shirt und zog es mir eilig wieder über. Mein Freund wirkte ein wenig enttäuscht, aber er protestierte nicht. "Wirst du... schon wieder gehen?", fragte er mich und ich wog unsicher meinen Kopf. "Ich bleib auch gerne noch ein wenig, aber ich muss heute Abend auf jeden Fall für einen Test lernen."
"Oh, okay. Dann lern besser, schreibst du mir in den Stunden mit?" Ich nickte eifrig: "Kriegst du am Wochenende!"
"Danke Dino, bis morgen dann?"
"Genau, bis morgen! Ich hab dich lieb, Timbo!"
Gerade als ich nach der Türklinke greifen wollte, rief er mich aber nochmal zurück. Fragend schaute ich ihn an. "Stegi, mir ist eben noch etwas eingefallen, das ich nicht ganz verstehe. Als wir in der Schule waren, woher wusstest du da, was passieren würde? Julian war zwei Stockwerke über uns gewesen! Wie hast du das gemacht?"
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Vielleicht hatten es einige schon in der neuen FF gelesen, aber für die anderen Leser auch nochmal hier: Ich schätze, ich habe die dämliche Schreibblockade überwunden und es wird bald mit neuen Kapiteln weitergehen! Mich stört es ja auch selbst, wie zusammengeflickt die FF bisher wirkt und ich möchte es so gut und so schnell wie möglich weiter- oder sogar fertig schreiben! :)
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We are Heroes! (#Stexpert)
Fiksi Penggemar"Aus großer Kraft wächst große Verantwortung. Das ist aus Spiderman, nicht wahr?" "Richtig. Und sehr passend, findest du nicht auch? Würden sich nur mehr Menschen daran halten, dann könnte die Welt ein so viel besserer Ort sein. Schöne Vorstellung...