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Dementsprechend müde war ich auch am nächsten Morgen, müde und demotiviert. Würden wir heute nicht diese dusselige Physikarbeit schreiben, dann wäre ich am liebsten gar nicht erst zur Schule gegangen. Es war mir nie schwer gefallen, die Unterschrift meiner Eltern für eine Entschuldigung zu fälschen, aber ich hatte sowieso schon zu viele Fehlstunden auf meinem Konto. Also hieß es jetzt, in den sauren Apfel zu beißen und auf das Beste zu hoffen, was die Fragen in der Leistungskontrolle betraf. Elektromagnetische Wellen waren zwar nicht gerade der schwierigste Stoff der Welt, aber ich war so abgelenkt. Die ganze Zeit schweifte ich ab zu meinem Gespräch mit Tim von gestern und was ich am besten anders gemacht hätte. Was wenn ich alles in einer anderen Reihenfolge angegangen wäre? Ihm gegenüber zuerst ehrlich und weniger schusselig gesagt hätte, was es mit meiner neuen Fähigkeit auf sich hatte, und ihm dann erklärt, dass er noch immer die stärkste Kraft von allen besaß? Es hatte ja kurzzeitig geholfen und er war zufrieden mit sich gewesen! Hätte das vielleicht etwas verändert? Aber dummerweise hatte ich es vergessen, bis mein Freund mich darauf hingewiesen hatte! Nur weil ich so ein Schussel war...!

Frustriert schüttelte ich meinen Kopf, stopfte mir mein belegtes Brötchen in den Mund und stand seufzend auf. Ich musste los, es nützte ja doch nichts... Die Arbeit war gleich in der ersten Stunde und es war besser, wenn ich überpünktlich da war, nochmal in meine Notizen schauen konnte und meine ganzen Hilfsmittel auf unerlaubte Spicker kontrollierte. Unser Lehrer war da nämlich sehr genau und verteilte erbarmungslos Sechsen, wenn er nur eine einzige Formel in unseren Rechnern oder Blöcken fand. Und er kontrollierte gründlich! Ihn zu überlisten war beinahe ein Ding der Unmöglichkeit und ich war nie scharf darauf gewesen, es selbst auszutesten, welche schlaue Idee fürs Schummeln er nicht durchschauen würde.

Am liebsten hätte ich mich auch nochmal kurz mit Tobi getroffen und ihm mein Herz über gestern ausgeschüttet, doch er hatte aufgrund seiner Fächerwahl jetzt zwei Freistunden, der Glückliche! Dann musste das halt bis zur Pause warten. Vielleicht hatte er ja einen Tipp für mich, wie ich Tim in Zukunft aufmuntern konnte. Er war gut in sowas! Besser als ich jedenfalls. Aber nunja, er konnte mir erst helfen, wenn er hier war und jetzt musste ich mich dringend auf Physik konzentrieren!

Es herrschte eine aufgeheizte Stimmung in dem engen Klassenzimmer, als ich eintrat. Wie immer vor Leistungskontrollen saßen überall Dreiergrüppchen zusammen über den Heftern, brüteten oder dachten sich zusammen Eselsbrücken aus. Unser Klassenbester erklärte dem Loser und der Tussi zum wiederholten Mal, was sie bei Anwendungsaufgaben zu beachten hatten und welche simplen Fehler sie nicht machen durften. Ihnen rauchten bereits förmlich die Ohren und ihre Hirne, aber sie nickten tapfer. Nur einer beteiligte sich heute nicht am Trubel. Dominik aus meiner Klasse, ein ziemlich stämmiger und durchtrainierter Kerl mit strohblonden Haaren, der eigentlich immer hitzig mitdiskutierte und alles hinterfragte, was seine Partner soeben erst verinnerlicht hatten, saß mit überkreuzten Beinen und auf dem Pult abgelegten Füßen an seinem Platz und wartete völlig entspannt auf den Beginn der Stunde. Nanu? War er sich heute so selbstsicher, dass er das packen konnte, ohne nochmal den ganzen Stoff vorher zu überfliegen? Seltsam, aber okay! Ich gönnte es ihm, dass endlich der Groschen gefallen war! Und ich musste mich so langsam auf mich selbst konzentrieren, sonst würde ich heute echt alt aussehen. Also, weg mit den erweiterten Sinnen, sie einzusetzen wäre sowieso Betrug! Etwas murrend verkleinerten sie ihren Beschattungsradius und mir gelang es, alles nochmal detailliert durchzugehen, bevor es klingelte und wir unsere Blätter bekamen.

Ein erster Blick verriet mir, dass ich unmöglich eine Eins bekommen würde. Ich sollte unter anderem den Ablauf eines Versuchs zum Aufbrechen des Farbspektrums aufzeichnen und ich merkte mir nie, wieviele Linsen man dafür brauchte und wie sie gekrümmt sein mussten. Nur das Prisma hatte sich unfehlbar in mein Gedächtnis eingebrannt und ich wollte es eben auf meinem Block einzeichnen, als meine Sinne wie ungeduldige Kinder an meiner Aufmerksamkeit zu zupfen begannen. Der Lehrer war aufgestanden und machte jetzt seinen ersten Kontrollgang. Gut, sollte er doch. Ich hatte nichts zu befürchten. Also verschloss ich meine Ohren und Augen wieder für alles außer dem Test, als sie sich sofort wieder meldeten. Genervt ignorierte ich sie. Wegen einer Aufgabe und vielleicht zwei Notenpunkten Abzug würde ich nicht betrügen und zum Beispiel versuchen, nach den richtigen Antworten auf dem Lehrertisch zu lunsen. Dass es mir mit meinen scharfen Augen möglich sein würde, wusste ich mit überraschender Sicherheit. Aber gleichzeitig reizte es mich kaum, es wirklich herauszufinden.

Als meine Gedanken aber immer mehr durch das Drängen meiner Sinne abschweiften, schaute ich frustriert auf. So konnte ich mich nicht konzentrieren! Was war los? Sonst war ich doch auch nicht so aufgekratzt! Möglichst unauffällig warf ich einen Blick in die Klasse rund um mich. Nichts besonderes, der Lehrer war gerade schräg hinter mir und half jemanden bei der Aufgabenstellung. Viele angestrengte Gesichter, der Loser wisperte stumm etwas vor sich her wie ein Mantra. "Längstwellen, Frequenz 3 bis 30 Kilohertz...", hörte ich heraus. Bestimmt berechnete er gerade etwas, das mich aber momentan nicht interessierte. Wieso schlugen meine Sinne so aus? Es war doch alles recht normal! Kopfschüttelnd wollte ich meinen Stift wieder aufnehmen und weiterschreiben, als mir endlich auffiel, was anders war! Der Lösungszettel vom Lehrerpult, er war weg!

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Nanü, wo könnte der Zettel nur hin sein? :O

Gefällt euch die Geschichte soweit noch? Oder habt ihr was zu bemängeln? Irgendwie hab ich das Gefühl, dass es immer weniger Leser werden und das besorgt mich doch etwas...

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