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"Du hast was?"

Ich nickte dem ungläubigen Tobi zu. "Gestern eine Frau gerettet!" Nachdem ich nochmal eine Nacht über den Ereignissen geschlafen hatte, kamen sie mir so cool und surreal vor, dass ich es unbedingt jemandem hatte erzählen wollen! Tobi war der erste gewesen, der in Frage gekommen war, aber an seinem Gesichtsausdruck sah ich schon, dass etwas an meiner Erzählung ihn uneins stimmte. "Was ist denn?", fragte ich ihn.

"Naja, weißt du... Das ist ja schön und gut, aber ich hatte schon einmal gesagt was ich davon halte, dass Rafi dich zu sowas anstiftet! Es ist zu gefährlich für dich!"

"Rafi hat mich aber gar nicht angestiftet!", protestierte ich, "Ich habe mich selbst dazu entschieden, ihr zu helfen, das hätte ich auch vor dem Gespräch schon getan!" Tobi biss sich auf die Unterlippe: "Und jetzt denkst du, dass du ein Superheld bist?"

"Nein...?"

Tobi seufzte, blieb stehen und drehte sich zu mir um. Er sah plötzlich sehr ernst aus. "Ich sag das nicht zum Spaß, Stegi! Denk doch mal nach! Warum sollte Tony Stark damals nicht seine geheime Identität als Iron Man enthüllen, hm? Na, weil man alles über ihn wusste! Freunde, Bekannte, Adresse, deswegen haben sie im dritten Film sein Haus zerbombt! Über dich weiß man vielleicht nicht so viel, aber unser Fall, die vom Blitz getroffenen Jugendlichen, das ging durch die Medien! Wenn einer von uns loszieht und mit diesen besonderen Fähigkeiten herum protzt, dann wissen die, es muss einer von uns sein! Und wenn es einen Superhelden gibt, gibt es immer Superschurken! Willst du, dass die Tim oder deine Eltern oder einen von uns entführen und foltern?"

Der letzte Satz schmerzte wie ein Schlag in die Magengrube. Entsetzt schüttelte ich den Kopf: "N-nein, will ich natürlich nicht! Aber ich lege mich ja gar nicht mit jemandem an! Ich will nur Leute in der Not beschützen!"

"Und ich sage dir, dass das trotzdem eine schlechte Idee ist! Überlass das der Polizei, die kriegen das auch hin", für Tobi war das Gespräch hier beendet, aber ich hatte noch mehr! Er hörte es ja nicht, wenn jemand um Hilfe rief, wie die Frau gestern! Wie schlimm es sich anfühlte, wenn man nicht rechtzeitig zur Stelle war und genau vor sich sehen konnte, was die Person in der Zwischenzeit durchlitt. Könnte er das, würde er bestimmt das selbe tun wie ich!

"Die Polizei ist aber vielleicht nicht rechtzeitig da oder überhaupt gar nicht! Die können nicht, was wir können! Und es liegt in unserer Verantwortung-!"

"Liegt es gar nicht!", erwiderte Tobi heftig. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. "Wir sind Schüler! Wir sollen im Unterricht aufpassen und gute Noten schreiben, damit wir später einen Job bekommen! Was wenn wir eine Arbeit schreiben und du hörst, dass jemand Hilfe braucht, würdest du dann auch aufspringen und losrennen?"

"Kommt drauf an! Sollte es um Leben und Tod gehen-"

"Du wirst dein Abitur versauen mit dieser Einstellung!", fauchte Tobi mich an. Und auch meine Wut wurde immer größer. "Dir ist also eine Note wichtiger als das Leben anderer?"

"Ich fühle mich nicht für die Rettung verantwortlich! Ich kann ja eh nichts ausrichten! Stegi, denk doch einfach mal nach!"

Es hatte keinen Zweck, mit ihm zu diskutieren. Aber jetzt hatte ihn der Bock getreten und er lief mir nach, egal wie schnell ich versuchte, vor ihm wegzulaufen. "Versprich mir, dass du dich und deine Freunde nicht mit diesem Unsinn in Gefahr bringst! Superhelden gehören in Filme, und Schluss!"

Frustriert schnaubte ich. "Das ist meine Sache!"

"Ist es nicht!"

"Ist das da ein Knutschfleck an deinem Hals?"

"Halt dich da raus, das geht dich nichts an!", gab Tobi patzig zurück und bedeckte hastig seine Halsbeuge mit seiner Hand. "Das hat damit absolut nichts zu tun!"

"Aber ich lass dich dein Leben auch leben. Mir ists egal, was du mit Rafi in seinem Büro alles für Sachen treibst. Also lass mich auch entscheiden, ob ich Leuten helfen möchte! Euch wird nichts passieren, das werde ich nicht zulassen!"

Tobis Augen huschten mein Gesicht auf und ab, seine Unterlippe begann zu zittern und schließlich umarmte er mich einfach. "Ich mach mir doch nur Sorgen Stegi...!", flüsterte er mit erstickter Stimme. Ja, das wusste ich. Ich wollte gar nicht wissen, wie oft ich ohne meinen Kumpel schon völlig verloren gewesen wäre! Aber dieses eine Mal musste er mir vertrauen, dass ich wusste, was ich tat! Vorsichtig tätschelte ich seinen Rücken. "Tut mir leid, ich hätte nicht ablenken sollen..."

Tobis Ohren glühten rot auf. "I-ist es sehr offensichtlich?", fragte er ertappt, aber ich konnte ihn beruhigen. Ohne meine scharfen Augen wäre es mir bestimmt nicht aufgefallen, es war auch nur noch ganz schwach rot. Er atmete erleichtert auf: "Zum Glück! R-rafi hatte sich auch schon entschuldigt, ihm war es mega peinlich..."

"Heißt das, ihr seid zusammen?", wollte ich grinsend wissen. Der Brünette nickte schüchtern, aber mit leuchtenden Augen. "Jah, wir sollten es nur besser nicht allzu offen zeigen! Er ist schließlich wegen seiner Arbeit hier, das macht alles tausend Mal komplizierter." Trotzdem wippte er jetzt fröhlich, als wir unseren Weg zur Schule fortsetzten, und er sprach auch nicht noch einmal das Thema Superkräfte an. Dafür war ich ihm echt dankbar. Mich noch weiter vor ihm und heute Nachmittag auch noch Tim verantworten zu müssen, hätte ich wahrscheinlich nicht durchgehalten...

Der restliche Schultag verlief im Vergleich zum Rest der Woche erstaunlich ruhig. Doch allen fiel natürlich auf, dass sowohl Dominik, als auch Pauline fehlten. Tobi und ich hielten uns mit Informationen zurück und nur Julian schien ebenfalls zu verstehen, was die Abwesenheit von zumindest einem von ihnen bedeutete. Er war heute noch stiller als sonst und beinahe unsichtbar, bis er nach der Mittagspause plötzlich wie ausgewechselt war. Mitten im Klassenraum umarmte er mich von hinten und drückte mich glücklich an sich: "Stegi, Herr Eisler hat mich eben zu sich gerufen und gesagt, dass er jemanden gefunden hat, der meine Hilfe gebrauchen könnte! Ich hab jetzt nen Job! Bei dem ich meine Kräfte für Gutes benutzen kann! I-ich glaube, dass habe ich irgendwie dir zu verdanken! Wie kann ich das nur jemals wieder gut machen?"

Ich lachte auf und schälte mich langsam aus seiner Klammer. "Schon gut, du brauchst mir nichts zurück geben! Ich freu mich für dich! Hoffentlich findest du dort nette Leute und kannst nochmal komplett neu anfangen." Julian nickte noch immer völlig überwältigt und wischte sich über sein rotes Gesicht: "Ich kann es noch gar nicht glauben! Es wirkt so surreal! Nächste Woche geht es schon los! Mannomann, das wird sooo cool!"

"Nächste Woche schon?", fragte ich jetzt verwundert nach. Das bedeutete ja, dass Julian dann gar keinen Abschluss besaß! Er brach quasi sein Abitur ab und wenn bei seinem neuen Job etwas schief ging, dann sah es sehr schnell schlecht für ihn aus. Doch der breit gebaute Junge schien meine Gedanken zu lesen: "Das ist etwas ganz festes! Herr Eisler hat es mir geschworen! Und wenn etwas nicht klappen sollte, leitet er auch alles in die Wege, dass ich nicht zurück bleibe. Er ist echt ein toller Mann!" Damit drehte er wieder ab und schlenderte rundrum glücklich und viel zufriedener als ich ihn jemals zuvor gesehen hatte zu seinem Platz.

Wenn Rafael das wirklich einfach so konnte und im Notfall sein Wort hielt, war das großartig! Hoffentlich konnte er noch mehr Schülern so ihre weitere Laufbahn und Karriere sichern und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten verantwortungsbewusst und zum Wohle der Gesamtheit einzusetzen. So war das ja sicher auch in seinem Interesse!


Nur eine Sache lief heute noch so absolut gar nicht nach Plan. Denn als ich mich im Krankenhaus nach Tim erkundigte, wurde ich auf den nächsten Tag vertröstet. Es war noch eine weitere Untersuchung nötig geworden und mein Freund brauchte danach dringend eine Menge Schlaf und durfte nicht gestört werden. Zähneknirschend musste ich ihr Urteil entgegen nehmen. Ich betete nur, dass sie bei ihm nichts beunruhigendes fanden...!

We are Heroes! (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt