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Die Zeit in Daegu war für Jade unangenehm und trostlos. Zwar behandelte Yoongi sich um einiges anständiger in ihrer Nähe und hörte auf ständig über ihre Armut herzuziehen, doch trotzdem fühlte sie sich nicht wohl in diesem Haus. Sie war nun bereits ein paar Nächte hier und konnte jetzt schon teilweise nachvollziehen, wieso aus Yoongi der Mensch geworden ist, der er heute war.
Jade war wie eine Zuschauerin, die ein spannendes Theaterstück betrachtete. Sie gehörte nicht auf die Bühne, dass war ihr sofort bewusst gewesen, doch trotzdem bekam sie einen Blick hinter die Kulissen, sah und verstand immer mehr von den Geschehnissen, die sich vor ihren Augen abspielten. Sie war fasziniert und neugierig und gleichzeitig bestürzt und entsetzt.
Jeder Mensch in diesem Haus war ein ausgezeichneter Schauspieler, der sein wahres Gesicht perfekt verstecken konnte und am talentiertesten von allen war Yoongis Mutter. Stets war sie etwas distanziert, aber höflich gegenüber Jade gewesen, sie sprach immer in einem sanften und ruhigen Ton und hatte immer ein Lächeln dabei auf den Lippen. Jedoch stellte sich bald die Wahrheit über sie heraus.

Als Yoongi, wie so oft, mal wieder mit seiner Arbeit beschäftigt war, erkundete Jade neugierig das Haus. Es war kein Palast und sah von draußen größer aus als es letztendlich war, jedoch gab es viele Gänge und verschiedene Türen zu allen möglichen Räumen. Sie war gerade mit ihrer Erkundungstour fertig geworden, als sie aus der Küche laute Stimmen hörte.Vorsichtig machte sie sich auf dem Weg dahin und sah Yoongis Mutter, die dort ein junges Dienstmädchen beschimpfte. Ihre Stimme war kalt und voller Ignoranz, während sie das arme Mädchen zurechtwies. Jade konnte den Grund für diese Auseinandersetzung nicht erfahren, doch seit diesem Moment sah sie die Frau anders. Selbst Yoongi hatte sie noch nie so herablassend mit einem Menschen reden hören, wie diese Frau es tat. Mrs. Min war kleiner und zierlicher gebaut als die meisten Menschen. Ihre ruhige und sanfte Art, ließ vermuten, die kleine Frau könnte nicht einmal einer Fliege etwas tun, umso überraschender war es für Jade als sie sah, wie hart und bestimmend ihre Stimme sein konnte.

Immer wieder wurde Jade Zeuge von solchen Auseinandersetzungen, einmal war es ein Gärtner und dann die Köchin. Nie hob sie ihre Stimme, stattdessen sprach sie in einem ruhigen Ton, der jedoch voller Spott und Hass triefte, sodass man sich am Ende wie ein getretener Hund fühlte. Doch am schlimmsten war es, als sie mitbekam, wie sie in genau dem selben Ton mit Yoongi sprach, ihrem eigenen Sohn.

Sie waren im Salon, als Jade mitten in der Nacht aufstand, um etwas Wasser trinken zu gehen. Wieder konnte sie den Grund für das Gespräch nicht ausmachen, doch irgendetwas hatte Yoongi wohl falsch gemacht. Jade bekam fast schon Mitleid mit Yoongi, wie er schweigend dastand und die Beschimpfungen über sich ergehen ließ, doch ihre Sympathie verging recht schnell und sie ging leise wieder weg, bevor sie erwischt wurde.

Von da an fing Jade an interessiert zu werden und da Yoongi ihr verbot alleine aus dem Haus zu gehen und sie damit praktisch eingesperrt war, beschloss sie etwas mehr über die Min Familie heraus zu finden. Aus Büchern und Filmen wusste sie, dass das Personal immer am besten über die Geschehnisse im Haus informiert war. So kam es, dass Jade sich in der Küche herumtrieb, mit der Begründung, sie würde sich vor Yoongis Mutter verstecken. Was der Wahrheit entsprach, denn sobald Mrs. Min sie sah, wurde sie zu unfassbar langweiligen Tees und Treffen mit ihren Freunden geschleift. Die Köchen ließ sie verständnisvoll bleiben und schnell kamen sie zum reden. Die Köchin war eine nette, ältere Frau, namens Park Yeon-hee, die es liebte zu reden, sodass es für Jade ein leichtes war, mehr über dieses spannende Schauspiel zu erfahren.

Jeden Tag kam sie zu unterschiedlichen Zeiten in die Küche und erfuhr mehr und mehr schockierende Fakten über die Min Familie und vor allem Yoongi.

Er war das mittlere Kind von drei Söhnen und die Eltern trennten sich als er noch ein Kleinkind war. Laut der Köchin, hatten sie nie Kontakt mit ihrem Vater gehabt und seit der Scheidung hatte Mrs. Min ständig neue Männer. „ Es war tragisch es mit anzusehen.", erzählte die Köchin, während sie einen Teig bearbeitete. „Bei jedem Mann beteuerte sie, er wäre der Richtige und ließ ihn immer sofort einziehen. Und du weißt ja Liebes wie Männer sind, wollen sich immer sofort einmischen und sich wichtig tun. So kam es dann auch immer dazu, dass sie bei der Erziehung der Jungs mitreden wollten, mal mit Wörtern, mal mit Schlägen." Ihre Augen, bekamen einen abgeschweiften Glanz, als sie sich wieder in den Erinnerungen der Vergangenheit verlor. „Dein Freund da oben war immer am schlimmsten dran. Hat immer die meisten und ärgsten Schläge abbekommen und die Mutter ließ alles wortlos zu. Ach, wäre Yoongi nicht immer so voller Stolz gewesen und sich nicht immer dagegengestellt." Seufzte sie und warf Jade einen kurzen Blick zu. „Weißt du Liebes, dein Freund hat sich immer für seine Brüder eingesetzt und ist auch derjenige, der das Familienimperium übernimmt." „Ich dachte, der Älteste würde sich darum kümmern?" „Das wäre auch so gewesen, doch dann passierte dieser schreckliche Unfall, erzähl liebes, behandelt er dich gut?" Jade war etwas verwirrt durch den plötzlichen Themawechsel, ging jedoch darauf ein. „Ja das tut er.", log sie dann. „Das ist gut Liebes, ich hatte schon Angst, er würde uns noch einsam sterben.", lachte sie vergnügt. „Als ob jemand wie er einsam wäre.", sprach sie aus Versehen ihre Gedanken laut aus. „Ach der Schein täuscht Liebes, der arme Yoongi hat nur sehr wenig wahre Liebe in seinem Leben zu spüren bekommen. Da wundert es ja auch keinen, wenn er nur selten jemanden an sich ran lässt. Du weißt ja gar nicht was für ein Stein mir vom herzen fiel, als er die Jungs gefunden hatte. Du hast sie bestimmt schon alle kennengelernt." „Ja sie sind eine tolle Gruppe." „Allerdings und sie scheine Yoongi gut zu tun. Ach Minhee,wo bist du faules Ding schon wieder, dass Essen brennt ja an."

Trotz den Gesprächen mit der Köchin, hatte Jade keinerlei Mitgefühl für Yoongi empfinden können. Sie selber hatte, weiß Gott es nicht leicht im Leben gehabt und trotzdem nahm sie das nicht als eine Entschuldigung sich wie ein komplettes Arschloch zu benehmen. Nein, paradoxerweise wurde sie stattdessen wütend auf ihn. Selbst die Köchin schien nicht zu wissen, was für ein Mensch er wirklich war. Niemand schien zu wissen, dass er sie erpresst hatte um mit ihm zu kommen. Dass er sie bedrohte und ihr Leben ruinieren würde, wenn sie nicht das tat was er von ihr wollte. Und was würde passieren, wenn er in Zukunft immer mehr von ihr verlangen würde, dachte Jade panisch,wenn mehr als Küsse und Händchenhalten verlangt wurden. Er hatte schon einmal gezeigt, dass ihr Widerstand zweglos war. Wut und Angst mischten sich in Jade. Sie saß alleine in ihrem gemeinsamen Zimmer und immer mehr Horrorszenarien nahmen in ihrem Kopf Form an. Ihre gesamte Hilfslosigkeit wurde ihr mit einem Schlag wieder bewusst und sie fing an immer panischer und ängstlicher zu werden. Sie verlor die Kontrolle über ihre Emotionen und steigerte sich immer mehr rein, als Yoongi auf einmal das Zimmer betrat.

Seine Augen waren auf den Handybildschirm in seiner rechten Hand gerichtet und er zog konzentriert die Augenbrauen zusammen. Als er Jade bemerkte sagte er „Gut, du bist hier. Das Abendessen ist fer-" „Leg das Handy weg.",ihr Ton war kalt und Yoongi spürte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Verwirrt verschwand es in seiner Hosentasche. „Was ist los?"
„Was los ist, fragst du?", wütend stand sie auf und stellte sich vor ihm. „Ich halte das alles hier nicht mehr aus! Wie lange willst du mich noch zu all dem zwingen?! Ich kann es nicht glauben, dass niemand sieht, was für ein Monster du wirklich bist. Ein rießiges selbstsüchtiges, arrogantes Arschloch. Du lügst jedem Menschen ins Gesicht und ziehst mich mit in deine dreckigen Lügen.", fing sie an ihre Wut raus zu lassen. „Jetzt mach mal halb lang.", fing Yoongi nun auch an wütend zu werden. „Als ob du auch nur ein Stück besser wärst.", warf er ihr vor. „Lügst du nicht auch jeden an und behauptest, du wärst mit Jungkook zusammen?" „Mit ihm ist es anders!", wehrte sie sich sofort. „Ach ja, wie denn? Der arme Jungkook weiß ja gar nicht worauf er sich mit dir eingelassen hat. Weiß er, dass ihr jeden Monat kurz davor steht aus eurem Haus rausgeworfen zu werden, weiß er davon wie ihr Nächte lang in der Dunkelheit sitzt, weil ihr die Stromrechnung nicht bezahlen könnt. Dass dein Vater ein spielsüchtiger Alkoholiker ist und deine Mutter vor lauter Arbeit kurz vorm Zusammenbrechen ist. Wissen deine Freunde davon?"

Er schaute sie unbarmherzig an. „Weiß er davon, wie du von deinem Daddy verschlagen wirst?" Schockiert keuchte sie auf. „Woher-" „Du glaubst doch wohl nicht, dass all diese blauen Flecken unsichtbar wären, oder?" Beschämt schaute sie zur Seite. „Glaub also ja nicht, dass du auch nur ein Stück besser wärst.", redete er weiter. „Es gibt keinen einzigen Menschen, dem du nicht ins Gesicht gelogen hast." „Ja und das zum Größten Teil wegen dir! Würdest du mich nicht zu all dem hier zwinge, dann-" „Dann würdet ihr schon längst auf der Straße leben.", fiel er ihr ins Wort. „Ich habe dir eine Möglichkeit gegeben, die Schulden deines Vaters wiedergutzumachen. Ohne mich, hättet ihr schon längst alles verloren, schon einmal daran gedacht? Meine Leute wundern sich schon die ganze Zeit, wie ich jemanden wie deinen Vater bei uns billige. Weißt du überhaupt wie viele Verluste wir durch ihn gemacht haben? Wie viel Geld er uns schuldet?! Nein natürlich nicht, denn alles worum du dich kümmerst ist, wie schlecht es dir doch geht und dann soll ich der selbstsüchtige sein? Alles was du nur tun musst, ist teure Kleider anzuziehen und bei Veranstaltungen nett zu lächeln und im Gegenzug erlasse ich deiner Familie die Schulden." Wütend starrte er sie an. „Weißt du Jade, eigentlich solltest du mir dankbar sein, aber dieser Gedanke ist dir in deinem egoistischen Schädel bestimmt noch nie gekommen!" Aufgebracht stürmte er aus dem Zimmer und ließ Jade sprachlos zurück. Er hatte recht, dachte sich niedergeschlagen und spürte Tränen in ihren Augen, er hatte mit allem recht. Sie setzte sich auf den Boden und blieb dort so lange, bis es dunkel wurde.

Yoongi kam in dieser Nacht nicht ins Bett und auch am nächsten Tag herrschte zwischen ihnen eine eisige Kälte. Jade wusste nicht mehr wie sie sich in seiner Nähe verhalten sollte und ihr ging es noch miserabler als zuvor.

Fake girlfriendWo Geschichten leben. Entdecke jetzt