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Zwar hatte Yoongi mit allem was er gesagt hatte recht, denn im Endeffekt hatte ihre Familie vor einem finanziellen Untergang geredet. Doch das war nur die eine Seite der Münze, denn sie lag auch nicht falsch. Er nutzte seine Macht über sie aus, um sie zu erpressen. Obwohl ihr Vater an allem Schuld hatte,war sie diejenige die unter den Folgen leiden musste. Es war immer noch unmoralisch und falsch und doch rettete er sie damit. Es kam zu immer mehr Streitereien, wodurch es immer schwieriger wurde vor allen anderen das perfekte Paar zu spielen. Seit dem ließ Yoongi sie immer öfters alleine, verbrachte den ganzen Tag mit Arbeit und ging nachts oft aus dem Haus, um sie zu vermeiden. Nur aus geschäftlichen Gründen, sagte er dann immer, doch Jade wusste das er log. Wenn er spät nachts wieder kam und sich sicher war, Jade würde schon längst tief schlafen, hörte sie ihn lallend durch das Zimmer torkeln. Während dieser Zeit fühlte Jade sich sehr einsam und unglücklich. Weg von Seoul war sie hier ganz alleine und hatte niemanden, sodass die Tage trostlos vergingen. Sie war einsam und auch die Gespräche mit dem freundlichen Personal half ihr nicht weiter.

Wie so oft saß sie mal wieder alleine im Garten und versuchte ihre Zeit mit lesen oder am Handy zu verbringen. Doch sie konnte sich auf nichts konzentrieren, denn ihre Gedanken kreisten immer wieder um ihren Streit mit Yoongi vom Vorabend. „Wer sagt, dass du mich nicht auch vergewaltigen würdest!", warf sie ihm vor. Empört davon keuchte Yoongi sprachlos auf. „Jetzt tu nicht so beleidigt. Erinnerst du dich etwa nicht mehr an Jungkooks Party?! Da hast du schon genug bewiesen, dass du dazu fähig wärst!" Der Streit kam abrupt zum Ende als Yoongi dann wütend aus dem Zimmer stampfte.

Jade bereute ihre Worte nicht, doch sie konnte nicht aufhören an Yoongis verletzten Blick zu denken. Bis auf den Vorfall auf Jungkooks Party und ihren gestohlenen ersten Kuss, ist er ihr nie zu Nahe getreten. Doch er war immer noch zu unberechenbar und gefährlich, als dass sie sich alleine in seiner Nähe sicher fühlte.

Seit dem Streit hatte sie ihn nicht mehr gesehen, umso überraschender war es dann, als er plötzlich heraus kam und sich zu ihr setzte. „Meine Mutter hat mir verboten dich so oft alleine zu lassen.", begründete er sein plötzliches Erscheinen sofort. „Sie meinte, du würdest wie ein einsam gelassenes Hündchen aussehen und ich solle mich mehr um meine Freundin kümmern." Jade verbiss sich eine Bemerkung und nickte nur knapp. Sie saßen eine Zeit lang schweigend da. Keiner von ihnen wollte ein oberflächliches Gespräch führen, sodass sie einfach getrennt ihren Gedanken nachhingen. Jade musterte ihn unauffällig und im Sonnenschein fiel ihr eine kleine Narbe auf seinem Hals auf. Sie hatte schon mehrere kleine Narben an ihm bemerkt und musste an die Worte der Köchin denken. „Dein Freund da oben hat immer am meisten abbekommen" Ob die Narben wohl davon kamen? Sie vergaß unauffällig zu schauen und starrte ihn nun offensichtlich an, was Yoongi mit einem leichten schmunzeln bemerkte. „Was ist?" Ertappt schaute sie verlegen zur Seite. „Nichts." Sie verfielen wieder ins Schweigen, bis Yoongis Handy klingelte und er sich entschuldigte. Genau dann lief Mrs. Min an den Glastüren zum Garten vorbei und sah Jade wieder alleine sitzen. Missbilligend schnalzte sie mit den Lippen und schickte Jade weg, um nach Yoongi zu suchen und mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Jade versuchte gar nicht dagegen zu reden und stand einfach auf und lief wieder rein. Mrs. Min meinte sie soll in einem Raum in Westflügel nachschauen, Yoongi würde sich sehr wahrscheinlich dort oder in seinem Büro aufhalten.

Da er dann weder im Büro, noch in ihrem gemeinsamen Zimmer war, machte sie sich auf den Weg zu dem unbekannte Raum und hielt verblüfft vor der verschlossenen Tür inne. Eine sanfte, traurige Melodie ertönte aus dem Zimmer und ließ sie fasziniert aufhorchen. Sie konnte es nicht fassen, Yoongi spielte Klavier und das gut, sogar sehr gut. Leise hörte sie der Musik zu und konnte nicht aufhören, verwundert über diese neue Erkenntnis zu sein. Erst als der letzte Ton gespielt wurde, klopfte sie ein paar Mal zaghaft und versuchte dann die Tür zu öffnen. Verwirrt drehte sie am Türknopf, der sich jedoch nicht bewegen ließ, bis auf einmal die Tür geöffnet wurde. „Die Tür geht ohne Schlüssel nur von innen auf."Er schaute sie abwartend an. „Also ,was willst du?" „Deine Mutter-", fing sie an, doch er unterbrach sie sofort mit einem knappen „Verstehe." Nachdenklich lehnte er sich mit verschränkten Armen am Türrahmen, sodass sie einen Blick auf das braune Piano mitten im Zimmer bekam. „Ich wusste gar nicht, dass du spielen kannst.", bemerkte sie dann leise. „Eine alte Leidenschaft." Sie hörten Schritte im Flur und sofort zog Yoongi sie am Handgelenk rein. „Wenn meine Mutter uns so sieht, bringt sie mich wahrscheinlich noch um.", murmelte er und setzte sich wieder vors Piano. Jade erwiderte nichts dazu und schaute sich interessiert um. Das Zimmer was sehr unordentlich, überall lagen Bücher, Blätter und anderes Zeug herum. Ganz anders als sie es bisher von Yoongi kannte, alles hatte bei ihm seinen rechtmäßigen Platz, auch noch der kleinste Stift. Das Zimmer wurde von zwei hohen Fenstern beleuchtet und gaben einen guten Ausblick auf den großen Garten. Eine Wand wurde fast ausschließlich von einem riesigen Schreibtisch eingenommen, auf dem neben einem großen Computer auch alle möglichen technischen Geräte platziert waren. Zudem gab es noch ein paar Bücherregale, die hauptsächlich von Büchern und unordentlichen Ordnern gefüllt waren und an den Händen hingen ein paar Poster. Sie wollte ihn bitten, etwas für sie zu spielen, traute sich jedoch nicht die Bitte laut auszusprechen. Sie hätte auch gar keine Gelegenheit dazu gehabt, denn kaum war sie hier, wurde Yoongi auch von seiner Mutter gerufen. Genervt fuhr er sich durch die Haare. „Bin gleich wieder da. Fass ja nichts an!" und ließ beim hinausgehen die Tür einen Spalt offen. Geduldig wartete sie bis er weg war und schaute sich trotzdem weiter im Zimmer um. Sie blieb vor dem Bücherregal stehen und streckte die Hand aus, um einen Ordner zu nehmen, hielt sich jedoch rechtzeitig davon ab. Leise ging sie zur Tür, schaute sich kurz im Flur um und schloss dann die Tür, später konnte sie es auf den Durchzug oder so schieben und lief wieder zum Regal zurück. Sie wusste, dass es falsch war, konnte sie aber auch nicht davon abhalten. Der Ordner war mit handgeschriebenen Zetteln gefüllt, mal ordentlich und strukturiert, mal schnell und quer geschrieben. Anfangs dachte sie es wären Gedichte, doch relativ schnell stellten sie sich als Songtexte heraus. Sie schloss den Ordner und holte ein Notizbuch raus.

"AUGUST D" stand in großen schwarzen Druckbuchstaben drauf. Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen, was das wohl heißen mag. „The Last" war der Titel der ersten Seite und bestürzt ließ Jade die Lyrics. Widerwillig bekam sie Tränen in den Augen und klappte es nach ein paar weiteren Seiten schnell zu und legte es zurück. In diesen Texte hatte Yoongi all seine Gefühle und Gedanken niedergeschrieben und sie wusste, dass sie diese Worte niemals hätte lesen dürfen. Gerade rechtzeitig konnte sie die Tür wieder etwas öffnen und sich unbekümmert vor das Piano setzten, bevor Yoongi wieder kam.

„Steh auf, du und ich gehen raus."

Ohne nachzufragen zog Jade sich ihre Jacke und Schuhe an und setzte sich dann auf den Beifahrersitz. Sie war froh endlich raus zu kommen und schaute die stille und kurze Fahrt glücklich aus dem Fenster. Sie hielten vor einem dunkelgrau gestrichenen Gebäude an. Verwirrt stieg Jade aus dem Wagen und sprach Yoongi an, der schon auf dem Weg zur schwarzen Haustür war. „Yoongi, wo sind wir hier?" Er drückte schon auf die Klingel und schnell lief sie zu ihm. „Wir besuchen meinen großen Bruder."

Fake girlfriendWo Geschichten leben. Entdecke jetzt