Kapitel 1 - Unsicherheit

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Lautes Gelächter von tiefen Stimmen drang mir aus einem der oberen Fenster entgegen. Unsicherheit machte sich in mir breit und zögernd stand ich vor der Eingangstür des Mehrfamilienhauses. Zittrig schaute ich die Mappe in meiner Hand an.
Du schaffst das, ermutigte ich mich selber und drückte das Klingelschild. Der Summer erklang quasi direkt und die Tür öffnete sich. Entschlossen nahm ich die Treppen bis in den zweiten Stock bis ich vor einer geöffneten Wohnungstür zum Stehen kam.
Ein arabisch aussehender Mann musterte mich argwöhnisch und grinste mich dann breit an.
„Mäuschen, hast du dich verlaufen? Du siehst eindeutig nicht nach Pizzabote aus.", ertönte seine tiefe Stimme.
Ich verdrehte die Augen. „Ich bin auf der Suche nach Kristoffer Jonas Klaus. Der wohnt doch hier, oder?"
Das Grinsen des Mannes wurde breiter und er drehte sich in die Wohnung hinein, um dann zurufen: „Gazo, du hast wohl eine deiner Schlampen geschwängert!"
Wie bitte? Wo bin ich hier bloß gelandet, dachte ich und wurde unsicher.
Ein weiterer Mann trat aus einem der hinteren Zimmer in den Flur und kam schnellen Schrittes zu uns nach vorne zur Wohnungstür.
Er sah wahnsinnig einschüchternd aus und sein angepisster Gesichtsausdruck machte es mir nicht gerade leichter. Seine blauen Augen musterten mich neugierig und als sich unsere Blicke trafen, drangen einige Erinnerungen an meine Kindheit an die Oberfläche, welche ich schnell wieder verdrängte.
„Wer bist du und was willst du?", fragte er mit einer Reibeisenstimme.
Ich räusperte mich bevor ich sprach. „Jonas? Ich habe ein paar Dokumente dabei, die du unterschreiben müsstest. Es geht um unseren Vater", seine Augen wurden groß, „Ich bin deine Schwester."
Den beiden Männern entglitten jegliche Gesichtszüge und die lauten Stimmen im Inneren der Wohnung verstummten augenblicklich.
„Du bist was?", fragte der Mann mir gegenüber aufgebracht. Ich wich einen Schritt zurück und schluckte schwer.
Der war ja wirklich hochexplosiv, dachte ich und umklammerte Halt suchend die Mappe unter meinem Arm.
„Digga, ihr habt scheinbar viel zu klären. Bitte sie doch erst einmal hinein", sagte der Mann neben Jonas.
Jonas Blick huschte zu ihm und etwas widerwillig stieß er die Wohnungstür auf und bat mich hinein. Dankbar lächelte ich dem mir unbekannten Mann zu und folgte Jonas in eine kleine Küche. Er ließ sich an dem kleinen Tisch nieder und bedeutete mir mich ebenfalls zu setzen.
Ich legte die Mappe auf den Tisch und bemerkte Jonas intensiven Blick, welcher nicht aufhören konnte mich zu mustern.
„Also, was ist hier los? Und wie heißt du überhaupt?", fragte er aufgeregt.
Er erkennt dich nicht. „Ich heiße Talia Biergmann. Ich bin deine Schwester, was ich selber erst vor ein paar Wochen erfahren habe."
Neugierig sah er mir in die Augen bis es auf einmal Klick bei ihm zu machen schien.
„Oh mein Gott, Talia Talia? Meine Cousine Talia? Dich habe ich ja ewig nicht mehr gesehen."
Nickend lächelte ich ihn schüchtern an. „Ja, genau die. Mir wurde auch jahrelang erzählt, dass du mein Cousin seist, aber es besser für mich wäre, wenn wir keinen Kontakt haben."
Meine Antwort brachte Jonas zum Lachen. Sein Lachen war sehr laut und ehrlich. Das gefiel mir.
In der weiteren Stunde erzählte ich ihm alles, was ich bisher wusste und gemeinsam sahen wir uns die Dokumente an, welche ich mitgebracht hatte. Während wir uns unterhielten, schlich sich ein Gefühl von Geborgenheit bei mir ein und uns beiden vielen immer wieder Gemeinsamkeiten an uns auf. Vor allem sahen wir uns aber auch erstaunlich ähnlich.
„Krass", gab Jonas von sich und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, „Dann ist unser Hurensohn von Vater also tatsächlich genauso verkommen wie ich immer dachte."
Ich stimmte ihm nickend zu.
„Hast du vielleicht was zu trinken da? Ich war sau aufgeregt bevor ich hergekommen bin", fragte ich schüchtern.
Sofort sprang Jonas auf und griff nach einem Glas aus dem Regal. „Klar! Was willst du trinken? Wasser? Mische? Pur?"
„Ähm, Wasser sollte reichen, danke". Jonas bedachte mich mit einem schelmischen Grinsen.
Nachdem ich das Wasser in einem Zug leer getrunken hatte, stand er vor mir und sah mit einem undefinierbaren Blick auf mich hinab. Plötzlich griff er nach meinem Arm, zog mich auf die Beine und zog mich in eine dichte Umarmung.
Überrumpelt erwiderte ich die Umarmung zögerlich, kuschelte mich aber nach wenigen Augenblicken an seine starke Brust.
Nachdem wir uns gelöst hatten lag ein verträumter Ausdruck in Jonas Augen. Er fuhr mir mit einem liebevollen Blick durch die Haare.
„Ich wollte schon immer eine kleine Schwester haben.", sagte er heiser, rannte durch den Flur ins Wohnzimmer und brüllte: „Leute! Ich habe eine Schwester! Talia, komm her. Ich will dich vorstellen"
Wow, der hat ja mal Stimmungsschwankungen, dachte ich grinsend und folgte ihm ins Wohnzimmer. Dort musterten mich neugierig vier weitere Augenpaare und augenblicklich beschleunigte sich mein Puls. Das Wohnzimmer war sehr geräumig und gemütlich eingerichtet. Vor einer riesigen Couch stand ein kleiner Wohnzimmertisch auf dem frische Blumen in einer Vase standen, was mich darauf schließen ließ, dass Jonas wohl eine Freundin hatte, denn kein Mann würde eine Wohnung so dekorieren wie es hier der Fall war. Der Fernseher lief und darauf war ein Videospiel pausiert. Die Blicke der Männer brannten auf mir.
„Hi, ich bin Talia.", stellte ich mich schüchtern vor und versuchte zu lächeln, was nicht sonderlich leicht war, wenn fast alle Mitglieder der 187 Strassenbande vor einem saßen und einen musterten.
Der Typ von der Tür stand als erstes auf und zog mich in eine Umarmung. Überrascht schnappte ich nach Luft. Lachend schob er mich von sich und lächelte mich freundlich an.
„Ich bin Carlos. Freut mich, dass unsere Familie größer geworden ist!"
Ich erwiderte das Lächeln happy und freute mich, dass ich scheinbar gut aufgenommen wurde. Es hätte auch gegenteilig laufen können.
Zwei weitere Männer stellten sich mir vor und auch bei ihnen fiel die Begrüßung so herzlich aus, wie bei Carlos zuvor. Außer einer. Einer von ihnen saß auf der Couch und sah mich undurchdringlich an. Anstatt sich ebenfalls vorzustellen und aufzustehen nickte er mir nur kurz zu und beschäftigte sich dann weiter mit seinem Handy.
Arrogantes Arschloch, dachte ich und ließ mich zwischen Maxwell und Jonas fallen, die mir den Platz zwischen ihnen angeboten hatten.
Im Laufe des Abends erfuhr ich eine Menge aus Jonas Leben. Quasi alles, was ich die letzten Jahre verpasst hatte. Die Jungs waren wahnsinnig nett und Jonas konnte gar nicht aufhören mir Fragen zu stellen. Es war eindeutig die richtige Entscheidung gewesen herzukommen und ich ärgerte mich über meine Unsicherheit, die mich deswegen seit Tagen genervt hatte.
„Nice. Was studierst du denn?", fragte Jonas interessiert und bot mir ein Mischgetränk an, welches ich dankend ablehnte.
„Stadtentwicklung im Master. Ich habe mich auf Stadtplanung im Bereich der E-Mobilität spezialisiert und werde im Sommer meine Masterarbeit hoffentlich abgeben.", antwortete ich und vernahm ein leises Lachen von dem Typen, der mich ignoriert hatte.
Mit zusammengekniffenen Augen sah ich zu ihm herüber. „Hast du damit ein Problem?", fragte ich ihn gerade heraus.
Direkt brannten sich seine Augen in meine und ich musste schlucken.
„Naja, während du alles finanziert bekommen hast und dein tolles Studentenleben leben kannst, hatte dein Bruder echt ein paar Probleme. Vor allem Geldprobleme", gab er schnippisch zurück und seine tiefe Stimme jagte eine Gänsehaut über meinen Körper.
Was fiel ihm ein? „Urteile nicht über Menschen die du nicht kennst."
Damit wand ich mich wieder von ihm ab und zog mein Handy aus meiner Hosentasche. Ich bemerkte Jonas Blick, welcher interessiert auf mein Handydisplay schaute.
„Bist du das?", fragt er und zeigte auf mein Hintergrundbild.
„Ja, mit meiner besten Freundin. Das war auf ihrem Examensball.", antwortete ich und zeigte ihm das Handy. Auch Carlos und Alex sahen interessiert auf den Bildschirm.
„Wow", Jonas räusperte sich, „da siehst du wunderschön aus.". Seine Stimme hatte einen wehmütigen Ton angenommen.
„Danke. Bei meinem Masterball kannst du ja deine kleine Schwester dann bestaunen". Ich zwinkerte ihm zu und er lächelte mich breit an.
Ich schrieb meiner besten Freundin eine Nachricht, dass alles gut verlaufen war und ich bald nach Hause fahren würde. Sie antwortete prompt und freute sich mit mir.
Eine Weile saßen wir noch beisammen, bis ich langsam müder wurde. Den Jungs schien es aufzufallen und sie fingen an Witze darüber zu reißen, dass ich mich an ihren Tagesrhythmus gewöhnen müsste. Grinsend hörte ich ihrem Geplänkel zu und war entspannt. Tatsächlich fühlte ich mich zwischen diesen großen Jungs wahnsinnig wohl.

„So, ich fahre dich jetzt nach Hause.", sagte Jonas bestimmend, als wir bemerkt hatten, dass es bereits 01:20 war.
Zustimmend stand ich auf und nahm meine Mappe mit den Dokumenten aus der Küche mit. Wir hatten völlig vergessen das schriftliche zu besprechen, was mir aber in diesem Moment auch ziemlich egal war.
Ich verabschiedete mich von Maxwell, Alex und Carlos und vor allem Carlos musste ich versprechen, dass wir uns bald wiedersehen würden, weil er gerne geschäftliches mit mir besprechen würde. Das brachte mich zum Schmunzeln und ich versicherte ihm, dass ich ihm gerne helfen würde die richtigen Aktien in meiner Branche auszuwählen.
„Tschüss John", rief ich in die Richtung des Wohnzimmers, doch bekam keine Antwort.
Schulterzuckend lief ich an Jonas vorbei, welcher mir die Treppe nach unten folgte. Draußen steuerte er auf einen pechschwarzen CL500 zu, welchen ich von Instagram kannte.
Als er den Wagen durch die Nacht steuerte entschuldigte er sich für das Verhalten von John.
„Kein Plan, was mit dem los ist. Sonst ist er nicht so".
„Ach, alles gut", winkte ich ab. „Ich würde die Situation auch komisch finden und mich für ein Groupie halten"
Damit entlockte ich Jonas ein lautes Lachen und wir brausten durch die Nacht.

"Doch die Dunkelheit glitzerte in der Nacht" | Bonez MC | Teil 1 & 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt