2

57 13 5
                                    



Am Samstag als ich die Küche betrat, lag da bloß ein Zettel neben einer Packung Toast. „Musste aufs Revier, bin zum Abendessen wieder da."

Seufzend öffnete ich den Kühlschrank und seufzte gleich noch lauter. Er war leer. Ich beschloss nicht bloß trockenen Toast zu essen, sondern zu Tante Maja ins Cafe zu fahren um ausgiebig zu frühstücken.

Tante Maja sah genau so aus, wie meine Mutter, auf den Fotos, die mein Vater wie seinen Augapfel in den alten Alben hütete. Sie war die jüngste der drei Geschwister gewesen und sah jetzt so aus, wie meine Mutter es vor 10 Jahren getan hatte und wie ich es wahrscheinlich in 20 tun würde.

Langes dichtes dunkles Haar, mandelförmige stahlgraue Augen, umrandet von Lachfältchen, klein und zierlich und immer mit etwas Mehl auf den roten Wangen. Sie strahlte mir entgegen, als sie sich rasch die Hände an ihrer Schürze abwischte. „Sophie, hast du Hunger? Ich habe gerade ein Blech voller Zimtschnecken im Rohr, die demnächst fertig werden!".

Als Antwort knurrte mein Magen zustimmend. Zimtschnecken und ein heißer Milchkaffee bei einem guten Buch an Majas Tresen waren mein Lieblingsfrühstück. Als ich meinen Löffel genüsslich in das hohe Glas mit Milchschaum eintauchte, hörte ich lautes Gelächter aus der Ecke des Cafes und sah automatisch in Richtung des Lärms. Beinahe hätte ich das heiße Getränk verschüttet, denn ich zuckte instinktiv zusammen, als ich in Wes Gesicht blickte, der mit zwei anderen Jungs und einem Mädchen an einem der gemütlichen Sofas im hinteren Eck des Cafes saß. Er sah locker und entspannt aus, wie er da saß und sich ausgiebig auf die Schenkel klopfte, während er mit seinen Freunden lachte, nicht so verstört und traurig wie gestern. Obwohl er auch verstört und traurig ein faszinierender Anblick war. Mitten in seinem Lachanfall kreuzten sich unsere Blicke und er verschluckte sich und begann heftig zu husten, während er mich mit aufgerissenen Augen ansah.

So schnell war die Ausgelassenheit verschwunden, sein Kumpel neben ihm klopfte ihm auf den Rücken und sagte etwas zu ihm, doch wie gestern, starrte Wes bloß mich an. Der Blick des Mädchens neben ihm folgte seinem als erstes, sie musterte mich und sagte etwas zu ihm, was sein paralysiertes Starren von mir löste und die anderen beiden dazu veranlasste mich ebenfalls anzustarren.

Ich bemerkte wie sich eine Hitze über meine Wangen ausbreitete und sah peinlich berührt auf mein Buch, das aufgeschlagen vor mir lag.

Was erzählte er ihnen wohl, wer ich war? Es hatte einen Grund gegeben, wieso er gestern allein in diesem Kino gesessen hatte und ich zweifelte fest daran, dass ein Junge wie Wes seinen Freunden davon erzählte. Vielleicht behauptete er ja ich sei eine Stalkerin, irgendeine Verrückte die ihn anhimmelte. Ich ließ die schlimmsten Szenarien durch meinen Kopf huschen und starrte verkrampft auf die Buchseite, die ich bereits seit fünf Minuten aufgeschlagen hatte.

Ich wollte nicht auffallen. Ich wollte weder dass irgendjemand wie Wes gut oder schlecht von mir sprach, noch dass mich seine Freunde kannte. Ich war gerne für mich, ich genoss es einen kleinen Freundeskreis zu besitzen, der mich akzeptierte wie ich war und weder mich noch meine Familie in Frage stellte und aus Erfahrung wusste ich, dass so etwas passierte, wenn man mit Typen wie Wes in Verbindung gebracht wurde.

Als Tante Maja die Zimtschnecke vor mir hinstellte, sah sie mich fragend an, sie bemerkte es sofort, wenn etwas mit mir nicht stimmte, doch ich schüttelte bloß leicht den Kopf und biss in das warme Germgebäck. Sofort beruhigten sich meine Nerven, denn die Mischung aus Wärme, Zucker, Zimt und Honig waren mein Kryptonit. Als Paps und ich hierhergezogen waren, hatte Tante Maja uns beinahe täglich Zimtschnecken vorbeigebrach bis wir uns an unser neues Leben einigermaßen gewöhnt hatten. Ich hatte es gerade geschafft meine Minipanikattacke zu bewältigen, als ich diese raue Stimme hörte.

Wenn Wes weintWo Geschichten leben. Entdecke jetzt