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Zu meiner Überraschung schwieg Tristan, als ich mich zu ihm setzte und beschäftigte sich bloß mit seinem Handy, was mir wirklich recht war. Ich war so sauer und enttäuscht, dass Wes die Stunde einfach schwänzte. Das war nicht okay, dafür konnte er richtigen Ärger bekommen.

Plötzlich blickte Tristan hoch und musterte mich eingehend. „Weißt du Sophie,", begann er so, als wären wir die ältesten Freunde, „Wes ist ein wirklich netter Typ und einer meiner besten Freunde.".

Stirnrunzelnd starrte ich auf meine Finger und merkte wie ich nervös wurde. „Toll.", brummte ich bloß und zog meine Mappe mit den Geschichte Unterlagen hervor.

„Viele Mädchen reißen sich darum, dass er sie nach Hause bringt, oder zur Schule.", setzte der Idiot nach.

„Wie toll für ihn.", fauchte ich leise, denn Frau Gunther betrat gerade die Klasse. Sollten diese Schicksen sich doch um ihn streiten, ich wollte seine Aufmerksamkeit sowieso nicht. Alles was ich wollte, war meine Ruhe und meinen Kinoabend.

Ich beschloss Tristan für den Rest der Stunde zu ignorieren und knallte ihm die Mappe mit seinem Namen vor die Nase. „Wenn du das lernst, schaffst du den Test nächste Woche sicher.", flüsterte ich ohne ihn dabei anzusehen.

Er schwieg, zog die Mappe zu sich und begann sie durchzublättern. „Wo hast du das her?", fragte er nach ein paar Minuten.

„Selbst gemacht.", murmelte ich und begann in meinen Unterlagen zu blättern, um mir alles über die Wirtschaftskrise in den 20er Jahren durchzulesen.

Wieder bekam ich Schweigen als Antwort. Als ich ihm einen scheuen Seitenblick zuwarf, sah ich wie er angestrengt las, seine Lippen bewegten sich leicht zu den Worten, die er aufnahm. Wie ein 6-Jähriger, dachte ich und schüttelte den Kopf.

Irgendwann in der Mitte der Stunde riss mich Tristans Stimme aus meiner Konzentration. „Danke. Das ist wirklich hilfreich und viel interessanter geschrieben als in unserem Buch. Das ist wirklich nett von dir.".

Ich lief knallrot an und zuckte mit den Schultern.

„Ich wollte vorher nicht aufdringlich sein,", setzte er an, „Aber Wes ist anständiger als sein Ruf ihm vorauseilt, weißt du, er hatte noch...", doch ich unterbrach ihn unwirsch.

„Hör mal Tristan,", flüsterte ich eindringlich, „Ich habe kein Interesse an Wes, ich bin nicht so ein Mädchen. Und nur weil er mich die zwei Mal im Auto mitgenommen hat, bedeutet das gar nichts. Ich kenne ihn gar nicht.", nachdrücklich legte ich meine Hände auf die Tischplatte, „Und dich auch nicht.".

Er grinste schief und nickte langsam, „Ich versteh schon.", sein Grinsen wurde breiter, „Er hat Recht. Du bist irgendwie cool.".

Den restlichen Schultag bekam ich Wes nicht zu Gesicht, niemand der an meinem Spint wartete und wir hatten auch keinen gemeinsamen Unterricht mehr. So unaufmerksam wie an diesem Tag war ich schon lange nicht mehr gewesen. Denn auch wenn ich ihn nirgendwo sah, drehten sich meine Gedanken pausenlos um Wes. Er hatte zu seinen Freunden gesagt, dass er mich irgendwie cool fand. Er hatte anscheinend einen gewissen Ruf, was Frauen betraf. Das wunderte mich jedoch nicht, das Auto, sein Aussehen und seine Stellung im Schwimmteam waren alles was sich Mädchen wie Tina Ferra und ihre Freundinnen erträumten. Ich kannte keines der Gerüchte, die um ihn kreisen mochten, doch ich wusste, dass Gerüchte immer einen Kern Wahrheit in sich hielten.

Ich musterte Tina gedankenverloren, als ich den Gang entlang zur letzten Stunde ging. Linda, die mir gerade irgendetwas erzählte, hörte ich gar nicht. Ich starrte bloß das Mädchen mit den langen Beinen und dem blonden Zopf an, dass sich gerade kichernd mit ihren beiden Freundinnen über ihr Handy beugte. Sie war eines dieser Mädchen, die sich die Wimpern und die Nägel künstlich verlängern ließ. Die Schuhe passten immer perfekt zur Handtasche und die Haare sahen aus, als würde sie jeden Morgen zum Friseur gehen. Ich kannte Tina nicht wirklich, hatte auch nie ein Problem mit ihr gehabt, aber ich wusste, dass sie zu anderen Mitschülern manchmal nicht besonders nett war. Letztes Jahr hatte Esther aus dem Jahrgang unter mir am Klo geheult und ihrer Freundin gerade erzählt was Tina über sie gepostet hatte, als ich hereinkam.

Nach der Schule wartete mein Vater bereits auf mich am Parkplatz. Enttäuscht sah ich hinüber zu Wes Auto. Er lehnte an seiner Motorhaube und beobachtete mich. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich hatte das Gefühl, dass er auf mich gewartet hatte. Ich war sauer auf ihn und konnte definitiv nicht mit ihm befreundet sein, aber ich war auch eindeutig enttäuscht, dass mein Vater mich abholte. Schweigend ließ ich mich auf den Beifahrersitz fallen und sah aus dem Fenster. Wes war gerade in sein Auto gestiegen und startete den Motor.

Am Donnerstagmorgen als Papa mich zur Schule brachte, parkte Wes an der Straßenseite, so wie am Tag zuvor. Mein Magen zog sich vor Aufregung zusammen und mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Er wartete auf mich. Er wollte sich entschuldigen. Und nachdem ich den ganzen Mittwochnachmittag damit verbracht hatte aus dem Fenster, hinaus in den grauen Himmel zu starren und mir zu überlegen, was er mir sagen wollte und wie ich mich bei ihm entschuldigen würde, für das was ich gesagt hatte. Wie ich ihm von meinem Vater erzählte und er mir im Gegenzug von seinem Abend im Kino. Wie wir im warmen Auto am Schulparkplatz sitzen würden und ich langsam meine Angst vergessen würde und mich in ein Abenteuer stürzen würde, wie eine meiner Romanheldinnen. Ich spinnte meine Gedanken ins unermesslich kitschige, bis ich mich selbst bremsen musste und nur mehr den Kopf über meine Fantasien schüttelte, nachdem ich das alles getan hatte, war ich bereit dazu mit ihm zu reden. Ich kannte Wes nicht, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, als hätte das Schicksal mir einen bewussten Schubser in die falsche Richtung gegeben, damit ich diesem chaotischen, weinenden Jungen eine Geheimtür in mein Gefängnis öffnete.

„Du wirkst heute besser gelaunt.", stellte Paps fest, als er auf den Parkplatz der Schule fuhr.

„Hmmm...", brummte ich bloß, ich war noch immer sauer wegen dem Kino. Morgen war Freitag und er hatte sein Verbot nicht zurückgenommen. Ich würde am Freitagnachmittag mit Tante Maja reden müssen. Vielleicht konnte sie mir helfen, wenn er stur blieb.

Ich schnappte mir meine Tasche, murmelte eine Verabschiedung und wartete bis er den Parkplatz verlassen hatte, dann eilte ich zu dem Platz an dem Wes gestern geparkt hatte. Wie erwartet, standen Tristan und die anderen bloß ein paar Autos weiter. Sie bemerkten mich nicht und ich stellte mich hinter einen der SUV's, damit ich unsichtbar blieb.

Als Wes wenige Augenblicke später in die Parklücke fuhr, atmete ich tief durch und straffte meine Schultern. In dem Moment als er ausstieg trat ich einen Schritt auf den Wagen zu und räusperte mich. Sobald er mich entdeckt hatte, erstarrte er und sah mich mit leicht geöffnetem Mund an. Eine seiner Locken hing ihm so perfekt ins Auge, dass es beinahe kitschig war.

„Ich...ähm..", begann ich wenig erfolgreich und kaute auf meiner Unterlippe herum, „Ich wollte..".

„Es tut mir leid, was ich gesagt habe Sophie. Du bist kein langweiliger Streber. Das war gemein.", er sah mir fest in die Augen und ich hielt seinem Blick stand. Er war ernst und aufrichtig und eine Welle der Erleichterung überkam mich.

Ich lächelte zaghaft als ich ihm antwortete: „Ich glaube ich könnte ein bisschen Ärger ganz gut vertragen.".

Seine ernste Miene hellte sich binnen Sekunden auf und er grinste breit, als er seine Hand ausstreckte, um mir durchs Haar zu wuscheln. „Den kannst du haben.".

Wenn Wes weintWo Geschichten leben. Entdecke jetzt