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Die Klassenzusammenlegung war ein Desaster. Da wir unterschiedliche Lehrer hatten, hatten wir auch unterschiedlichen Stoff durchgenommen. Unsere Geschichtelehrerin teilte uns mit, dass wir uns in zweier-Teams zusammentun sollten und gemeinsam den aktuellen Stoff aufarbeiten, dies wäre für uns ein guter Weg um den Stoff der letzten beiden Monate zu wiederholen und für die Paralellklasse ein Weg alles nachzuholen. Als sich niemand so richtig aufraffen wollte um sich einen Partner aus der jeweiligen Klasse zu suchen, ich betete zu allen mir läufigen Göttern, dass Wes nicht auf die Idee kam mich zu fragen, entschied sich Frau Gunther die Namen zu losen. Linda wurde einem Mädchen namens Mala zugeteilt, während Kai stumm betete einen der Schwimmer zugeteilt zu bekommen, doch er hatte kein Glück, mürrisch stellte er sich zu dem ihm zugeteilten Jungen, der etwas dürr wirkte und einen roten Fleck auf seinem Shirt hatte.

Als mein Name gezogen wurde, blickte ich auf meine Füße, falls mich jemand anstarren sollte und wartete auf den mir zugeteilten Namen. „Tristan", las Frau Gunther vor. Ein wenig panisch sah ich hoch, und wurde zur Salzsäule, als sich einer der Schwimmer aus der Gruppe löste und sich suchend umsah. Als ich auf ihn zuging, spürte ich die Blicke aller auf mir, wieder unterdrückte ich den Drang zu überprüfen, ob irgendetwas an mir nicht stimmte. Mit rotem Gesicht nickte ich ihm zu. „Hi.", sagte Tristan lächelnd und musterte mich, „Sophie, oder?", ich nickte bloß. Er legte mir einfach seine Hand auf die Schulter und zog mich mit in Richtung der anderen Jungs. Wiederstrebend trottete ich neben ihm her und warf Linda und Kai panische Blicke zu, doch beide grinsten nur blöd und hoben ihre Daumen. Von den eigenen Freunden im Stich gelassen blieb mir nichts anderes übrig, als mich neben Tristan und den anderen Jungs zu stellen. Ich blickte während die anderen zugeteilt wurden wieder stur auf meine Füße und gab keinen Mucks von mir. Als endlich alle einen Partner hatten, schickte uns Frau Gunther zu den Gruppenräumen hinter meinem Spint, damit wir genug Platz hatten um uns zusammen zu setzen.

„Bist du gut in Geschichte?", riss mich Tristan aus meiner Schuhinspektion.

„Ich äh...", begann ich verlegen zu murmeln, doch Kai kam mir zu vor. Er tauchte plötzlich neben uns auf und sagte viel zu laut: „Sophie ist die Klassenbeste in Geschichte, du hast wirklich Glück, sie ist ein wandelndes Lexikon. An deiner Stelle würde ich mich in Deutsch und Englisch auch an sie wenden!".

Ich versank beinahe im Erdboden."Gut zu wissen!", sagte Tristan strahlend und klopfte mir auf die Schulter, „ Da habe ich mir ja den Jackpot geholt!".

Ich nickte schwach und trottete in der Menge zu den Gruppenräumen.

Sofort bildeten sich größere Gruppen um die runden Tische, niemand nahm das Stoffwiederholen so richtig ernst, alle waren neugierig auf die neuen Gesichter und vor allem auf die vier Jungs aus dem Schwimmteam.

Ich eilte hastig zu einem der Einzeltische, wenn ich mich schon mit Tristan beschäftigen musste, dann wenigstens alleine, ohne Wes und seine anderen Freunde.

„Wo gehst du denn hin?", fragte er mich sofort und deutete zu dem großen Tisch in der Mitte der Klasse, „Wir können uns auch dort hinsetzen.".

Ich schüttelte den Kopf und setzte mich, „Da kommen wir nie mit dem Stoff voran.", sagte ich grummelnd und packte meine Unterlagen auf den Tisch.

Tristan ließ sich neben mir fallen und lachte leise: „Es liegt an Wes oder?".

Als ich zusammenzuckte, lachte er lauter: „Du bist das Mädchen aus dem Café, oder?".

Es war das erste Mal, dass ich Tristan direkt ansah, was hatte Wes ihm erzählt?

„Das Café gehört meiner Tante.", antwortete ich, um klar zu stellen, dass ich keine Stalkerin war.

Er zuckte bloß mit den Schultern und grinste: „Habt ihr was am Laufen?".

„Meine Tante und ich?", fragte ich verwirrt zurück.

Tristan verdrehte die Augen: „Du und Wes!".

Schockiert riss ich die Augen auf: „NEIN!", antwortete ich heftiger als gewollt.

„Wieso habt ihr euch dann so komisch verhalten?", bohrte er nach.

„Ich kenne Wes gar nicht.", sagte ich wahrheitsgetreu.

„Ja, bestimmt!", schnaubte Tristan, „Deswegen habt ihr euch auch so angestarrt und Wes hatte es dann plötzlich so eilig zu gehen.".

Er hatte es eilig gehabt zu gehen? Irgendetwas an dieser Aussage störte mich.

„Wie gesagt,", stellte ich kühl fest, „Ich kenne Wes nicht. Und jetzt schlag dein Buch auf, wir müssen arbeiten.".

Tristan lies die gesamte Doppelstunde nicht locker und ließ die ganze Zeit Kommentare fallen, was wohl zwischen Wes und mir passiert sein könnte. Als die Glocke endlich läutete, atmete ich erleichtert auf und stopfte hastig meine Bücher in meine Tasche. Als ich nach draußen zu meinem Spint rannte, wurde mir erst bewusst, dass alle an mir vorbeimussten und die geliebte Ruhe, die ich hier hinten hatte, fürs Erste wohl vorbei war. Ich suchte nach meinen Mathesachen und fluchte leise, als ich sie nicht fand und eine Horde Menschen hinter mir lärmend vorbeizog. Als sich der Tumult gelegt hatte und ich wieder atmen und den Kopf aus dem Spint ziehen konnte, räusperte sich jemand hinter mir. Ich nahm an, dass es Kai war und fragte bloß: „Was ist?", während ich meine Mathesachen in meine Tasche legte.

„Ähm...", begann Wes verunsichert und ich wirbelte herum und blickte ihn entsetzt an. Bevor er weiterreden konnte fielen meine Schulsachen mit einem Rums zu Boden und ich begann mit knallroten Wangen die Sachen einzusammeln.

Wes lachte nicht, er kniete sich bloß hin und sammelte die Stifte ein, die bis zu ihm gerollt waren. Als er sie mir wiedergab, lächelte er seltsam.

„Ich habe mich noch gar nicht bedankt.", sagte er und strich sich nervös über den Nacken.

„Wofür?", fragte ich zerstreut und packte die letzten Dinge in meine Tasche.

„Für deine Rettung am Freitag.", meinte Wes verwundert, „Das warst doch du oder? Auf dem Rad, mit meiner Geldbörse?".

Ich nickte schwach und antwortete: „Ja, du hast sie im Kino fallen gelassen, als du rausgerannt bist.".

Als er zusammenzuckte wurde mir erst bewusst was ich gerade gesagt hatte. Ich hatte ihm deutlich gemacht dass ich ihn weinen gesehen hatte.

„Ich hab dich aber nur von hinten gesehen.", fügte ich eilig hinzu, was die ganze Sache noch schlimmer machte.

Wes stöhnte leise auf und schüttelte seinen Kopf, er sah auf seine Schuhe und wirkte unglücklich.

„Hör mal...", setzte ich an, doch er unterbrach mich.

„Du hast niemandem davon erzählt oder?", fragte er leise.

Ich schüttelte vehement den Kopf: „Nein! Versprochen! Niemandem!".

Er musterte mich abschätzend und entschied sich dann dafür, dass er mir glaubte. „Danke.", sagte er lächelnd und streckte mir im nächsten Moment seine Hand hin: „Ich bin übrigens Wes.".

Ich nahm seine Hand und stellte fest, dass sie weich und warm war und meine Hand beinahe zwei Mal in seine gepasst hätte. „Sophie.", antwortete ich überraschend ruhig und grinste verlegen.

Es läutete und riss uns aus unserem Händeschütteln. Ich würde zu spät zur Mathestunde kommen, Mist.

„Ich muss los.", sagte ich hastig und ließ abrupt Wes Hand los. „Ich auch!", sagte er lachend und eilte neben mir her.

Als er mich bis vor mein Klassenzimmer begleitete, sah ich ihn verwundert an: „Wir haben doch nicht gemeinsam Mathe oder?", fragte ich ihn und er schüttelte den Kopf.

„Nein, aber ich hatte Lust dich zu begleiten.", er zwinkerte mir zu und drehte sich einfach um, um den Gang zurück zu eilen um zu seiner Klasse zu gelangen.

Ich stand da, blickte ihm nach und wunderte mich, was das wohl zu bedeuten hatte. Ein leichtes Flattern machte sich in meiner Magengegend bemerkbar und ich lächelte versonnen, als ich die Tür zum Klassenraum aufstieß.

Wenn Wes weintWo Geschichten leben. Entdecke jetzt