Das Auto war warm und Wes aktivierte die Sitzheizung als ich mich nervös angeschnallt hatte.
„Ich fahre auch ganz langsam.", sagte er und warf mir lachend einen Blick zu.
Ich ließ mich so tief es ging nach unten sinken und starrte auf meine Finger. Wenn Paps das hier erfahren würde, würde die Hölle losbrechen.
Als hätte er meine Gedanken gelesen fragte Wes: „Ist mit dir und deinem Vater alles ok? Ich wollte dir echt keine Probleme machen. Ich wollte nur...".
„Schon gut!", schnitt ich ihm das Wort ab, „Mein Vater ist sehr speziell wenn es ums Mitfahren bei anderen geht.".
„Wieso?", hakte er nach.
„Das,", antwortete ich seufzend, „ist keine Geschichte die ich dir hier im Auto erzählen werde.".
Er brummte bloß und hielt an, als wir am Ende der Brücke angelangt waren. Was zu Fuß 20 Minuten waren, war mit dem Auto bloß ein kleiner Katzensprung. Ich bemerkte, dass ich etwas enttäuscht war, dass unsere gemeinsame Zeit für heute abgelaufen war und ich aus dem warmen Auto hinaus ins Nasse musste. Bedächtig schnallte ich mich ab und blickte in Wes dunkle Augen. Sie waren nicht braun, eher schwarz und sie waren groß und irgendwie schon wieder traurig.
„Denkst du...", er zögerte, „also, ehm... würdest du..", seine Finger trommelten nervös am Lenkrad.
Er räusperte sich und straffte seine Schulter, was mich zum Lachen brachte.
„Was würde ich?", fragte ich leise.
„Möchtest du vielleicht mal einfach so Zeit mit mir verbringen? Ohne dass jemand weint?", er lachte nervös über seinen eigenen Witz und ich verdrehte die Augen, freute mich jedoch wirklich über seine Einladung. Bis mir einfiel, was das heißen würde.
„Ich kann nicht.", flüsterte ich und schüttelte niedergeschlagen den Kopf, „Ich... ich kann nicht. Tut mir leid.", ich öffnete die Autotür und drehte mich nochmal zu ihm um, „Danke fürs nach Hause bringen Wes!".
Leise schloss ich die Wagentür hinter mir, stülpte meine Kapuze wieder über und eilte den Weg zu unserem Haus hinauf. Erst viel zu spät bemerkte ich, dass ich meine Schultasche in Wes' Audi vergessen hatte. Dieser Tag war das reinste Gefühlschaos. Ich blieb mitten im Regen stehen und dachte krampfhaft darüber nach, wie ich mir meine Tasche besorgen konnte. Hausaufgaben hatte ich Gott sei Dank keine mehr, da ich die Zusammenfassung in Englisch bereits geschrieben hatte. Ich musste mich wohl oder übel damit abfinden, dass ich meine Schultasche morgen bei Wes in der Schule abholen musste. Es sei denn... nervös sah ich über die Schulter, was wenn er sie auf der Rückbank liegen sah und auf die dumme Idee kam sie mir zu bringen? Was wenn Paps da schon zu Hause wäre? Das wäre die reinste Katastrophe. Er würde mich nie wieder ins Kino lassen. Geschweige denn aus dem Haus. Ich würde wie Rapunzel 2.0 leben müssen: Eingesperrt im ersten Stock unseres Hauses, darauf hoffend, dass kein Märchenprinz kam um alles nur noch schlimmer zu machen.
Ich war, wie erwartet, allein zu Hause. Das Haus war dunkel und kalt und ich hinterließ eine einsame Tropfspur auf dem Boden, als ich zur Treppe stapfte. Im Badezimmer schälte ich mich aus den nassen Sachen und drehte die Dusche auf, bis dampfendes Wasser den Spiegel beschlug. Ich setzte mich auf den warmen Fliesenboden und ließ das Wasser der Regenbrause auf meinen Körper prasseln. Hier war mein absoluter Lieblingsplatz um Nachzudenken, niemand der mich stören konnte, nur das Geräusch des Wassers auf meiner Haut und meine Gedanken.
Ich saß da und dachte an meine Mutter. Wie sie wohl reagiert hätte, wenn sie jetzt da wäre, und ein Junge mich abgeholt hätte. Wäre sie auch so streng gewesen wie mein Vater? Oder wäre sie so verständnisvoll und aufgeschlossen gewesen, wie ich sie in Erinnerung hatte? In Situationen wie diesen vermisste ich sie am schlimmsten. Es war unfair nur einen Elternteil zu haben der alleine alle Entscheidungen traf. Niemand war da, der intervenieren konnte, oder den weiblichen Standpunkt in einer Diskussion durchsetzen konnte. Meine Argumente zählten nicht immer, denn Paps hatte nun mal das letzte Wort, wenn er wollte. Früher waren Mama und ich zu zweit gewesen und hatten uns manchmal zusammen getan um Paps zu überstimmen. Als sie noch bei uns war, war Paps sowieso lockerer gewesen. Weniger ängstlich, offener für Ideen und abenteuerlicher. Aber traf das nicht auch auf mich zu? Genau die Dinge die ich meinem Vater vorwarf, waren die Eigenschaften, die mich präzise beschrieben. Ich war ängstlich, verschlossen und ging lieber auf Nummer Sicher. Ich brach keine Regeln, ich überdachte meine Schritte lieber drei Mal bevor ich handelte und ich war nicht einmal dazu bereit mich mit einem Jungen, der wirklich nett wirkte, zu treffen. Wes.
Wie er so dagesessen hatte und mich nervös anlachte, als er mich fragte. In meiner Brust zog sich ein Knoten zusammen. Wie gerne hätte ich ja gesagt. Ein Film am Freitag, gemeinsam im alten Kino in der dritten Reihe rechts. Ich auf Platz 16, er daneben auf der 15. Danach gemeinsam im Auto, wo er mir erzählen würde wieso er im Kino geweint hatte, ich wie ich ihn tröstete und mich ihm ebenfalls öffnete, ihm erzählte, wieso ich... Ein Klopfen riss mich aus meinem Tagtraum.
„Sophie?", es war mein Vater.
Seufzend drehte ich das Wasser ab: „Ja, ich komme schon.".
Wir aßen schweigend zu Abend und ich ging, nachdem ich meinen Teller in die Spülmaschine gestellt hatte, ebenso schweigend auf mein Zimmer, wo ich mich abzulenken versuchte. Doch ich konnte mich einfach nicht auf mein Buch konzentrieren. Immer wieder schweifte mein Blick von meinem Buch, aus dem Fenster, hinunter zur Straße, wo ich hinter jedem Licht, dass sich dort unten bewegte, Wes vermutete, der mir meine Tasche brachte. Irgendwann musste ich sitzend, ans Fenster gelehnt eingeschlafen sein, denn als ich mit schmerzendem Nacken aufwachte, zeigte meine Uhr 3:00 morgens an.
Am nächsten morgen war Paps nicht da, als ich müde in die Küche tapste. Da seine Regenjacke und seine Laufschuhe nicht mehr im Vorraum waren, ging ich davon aus, dass er eine Runde Joggen war.
Als ich gerade meine Jacke anzog, kam er zur Tür herein. Klatschnass und dampfend stand Paps in der Tür und musterte mich.
„Soll ich dich fahren?". Ich schüttelte den Kopf. Ich war noch immer sauer und würde lieber wieder laufen, als mit ihm im Auto zu sitzen. Er seufzte bloß und meinte: „Theatralisch wie deine Mutter.".
Zornig blitzte ich ihn an und stapfte zur Tür hinaus. „Moment!", rief er und ich drehte mich auf halbem Weg um, „Wo ist denn deine Schultasche Sophie?". Oh Verdammt.
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Wenn Wes weint
Teen FictionSie ist unscheinbar und unbedeutend, er ist laut und wild. Als sie ihn weinen sieht kollidieren ihre Welten auf unerwartete Weise. Sophie ist der Meinung dass mit ihr etwas nicht stimmt, irgendetwas macht sie anders. Aus diesem Grund hält sie sich...