Kapitel 2 - Hanna

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Ich wachte auf, als ich frischen Kaffee, Speck und Toast riechen konnte. Mhm, endlich wieder ein ordentliches Frühstück von Oma Lene. Als ich die Augen aufschlug war ich trotzdem etwas verwirrt. Ich musste tatsächlich auf der Couch eingeschlafen sein. Meine Tasse Tee, die mittlerweile eiskalt war, stand neben mir auf dem Couchtisch. Da ich nicht in der gemütlichsten Position eingeschlafen war, taten mir sämtliche Knochen weh und ich brauchte etwas, bis ich mich wieder frei bewegen konnte.

„Guten Morgen, mein Engel. Wie war Deine Anreise? Du warst spät, ich hatte gehofft, dass ich Dich noch erwischen würde." Oma Lene kam lächelnd ins Wohnzimmer, eine Platte mit Obst in der Hand, welche sie auf dem Tisch platzierte. Ich schloss sie herzlich in die Arme.

„Granny, ist das schön endlich hier zu sein." Ich atmete tief ein, um den vertrauten Geruch meiner Großmutter in mich aufzunehmen. „Die Anreise war die Hölle, das reinste Schneechaos. Es wurden so viele Flüge gecancelt, ich bin heil froh, dass ich nicht immer noch in dieser blöden Flughafenhalle festhänge. Zum Glück hatte ich Lucas nicht mit, der hätte wahrscheinlich den ganzen Flughafen zusammengebrüllt."

„Ach Liebes." Erst als ich den Satz aussprach und Grannys besorgtes Gesicht sah, merkte ich, dass sich mein Herz schmerzlich zusammenzog. Eigentlich wollte ich dieses Jahr tatsächlich das erste Mal in Begleitung in die Weihnachtsferien fahren. Allerdings hatte Lucas es sich in letzter Sekunde lieber mit der vollbusigen Brünetten gemütlich gemacht, die vor ein paar Tagen in die Nachbarwohnung eingezogen war. Bis dato hatte ich niemals geglaubt, dass es diese typischen Fernsehmomente wirklich gab. Ich kam gerade von der Arbeit nach Hause und hatte etwas vom Chinesen um die Ecke mitgebracht, den Lucas so gerne mochte. Die Tür war man gerade einen Spalt geöffnet, da hörte ich sie schon. Zuerst hatte ich tatsächlich überlegt, welche Komödie Lucas sich gerade ansah, bis ich den ersten Schritt in den Flur gemacht hatte. Mir fielen beide Tüten aus der Hand, ich wusste gar nicht, wo ich hinsehen sollte. Überall verstreut lagen Kleidungsstücke und durch den Hausflur konnte ich direkt auf unsere Couch sehen. Da standen die beiden. Splitterfasernackt beugte sie über die Rückenlehne, Lucas schien kurz vor dem Orgasmus, als er mich entdeckte und erstarrte in der Bewegung. Kiki, die besagte vollbusige Brünette, nahm es als Herausforderung und stieß ihm ein letztes Mal die Hüften entgegen. Dabei grinste sie mich schelmisch an. Er kam, ich ging. So schnell ich konnte griff ich meine Sachen, die ich zuvor fallen gelassen hatte und knallte die Haustür hinter mir zu. Ich hatte allerdings eher das Gefühl, das alles geschah in Zeitlupe.

Eine viertel Stunde später sammelte Anna mich ein. Ich war gerade auf dem Weg zum Busbahnhof, um zu ihrer Wohnung zu fahren, hatte ihr aber bereits am Telefon alles bis ins Detail berichtet. Seitdem wohne ich bei ihr. Meine restlichen Sachen sollte ich nach den Weihnachtsferien abholen, in der Hoffnung, dass sich mein dummes Herz bis dahin wieder beruhigt hatte. Und eine neue Wohnung sollte ich mir in der Zeit auch lieber suchen, die winzige Einzimmerwohnung war auf Dauer dann doch etwas zu klein für uns beide. Von Lucas bekam ich seitdem hunderte von Nachrichten und es vergeht keinTag, an dem er nicht versucht hatte, mich anzurufen. Ein Grund mehr, mich auf unsere alljährliche Bergtour zu freuen. Er konnte noch so oft anrufen, ein größeres Funkloch gab es wahrscheinlich nur auf dem Mond. Ich war tatsächlich einfach nicht zu erreichen.

„Liebes, ist Dir nicht gut? Du bist ja ganz blass um die Nase." Grandma sah mich aus großen Augen an und riss mich aus meiner Schockstarre. Gerade rechtzeitig, bevor der Rest der Bande ins Esszimmer eilte. „Alles in Ordnung. Ich bin nur noch etwas erschöpft", beschwichtigte ich ihr und drückte der Reihe nach meinen Großvater, Onkel Peter und meine Mom. Maddie kam wie ein kleiner Wirbelsturm ins Zimmer gerannt, gefolgt vonJannis, welcher so tat, als hätte er riesige Krallen an seinenFingern. „AAAAAAH!"kreischte Maddie, „Hanna, Hanna, Hanna, das Monster will mich fressen. Bitte reeetteeee mich!" Sie sprang mir in die Arme und ich drehte sie einmal im Kreis, ohne darauf zu achten, dass ich dabei beinahe Jannis getroffen hätte. Er ging gerade rechtzeitig in Deckung, bevor wir gegeneinander stießen. Kaum hatte ich Maddie wieder abgesetzt kam auch schon Charlotte um die Ecke geschlurft. In ihrem plüschigen rosafarbenen Bademantel und den dazu passenden Pantoffeln sah sie ein wenig aus wie Barbie, die gerade zu heiß geföhnt wurde.

Was macht ihr denn für einen Krach", maulte sie „ich dachte, wir haben Ferien und können ausschlafen. Jetzt bekomme ich bestimmt wieder Pickel." Sie drückte gedankenverloren auf ihrer Stirn herum, als hätte sie bereits zehn neue entdeckt und schnaubte. „Freut mich auch Dich zu sehen", konterte ich, was ihr nur noch ein lauteres Schnauben entlockte. Charlotte und ich waren früher unzertrennlich. Bis ihre Brüste wuchsen und Jungs plötzlich interessanter waren als Bücher. Seitdem sieht sie eher aus wie Paris Hilton für Arme und verhielt sie sich auch entsprechend. Mit einem Seitenblick musterte ich Jannis, der mir irgendwie jetzt schon leid tat. Wie konnte man nur so schnell schlechte Laune verbreiten,wie Miss 'Hilfe-ich-bekomme-einen-Pickel'?

Als auch der letzte Krümel vom Frühstück verschwunden und Onkel Peter bereits auf dem Weg nach draußen war, stand Jannis wie von einer Tarantel gestochen auf und zog beinahe die Decke vom Tisch. „Entschuldigung", er lächelte meine Großmutter an und sah über die Schulter zur Haustür. Onkel Peter hatte bereits seinen dicken Wintermantel angezogen und trug einen riesigen Korb für Brennholz nach draußen. „Warten Sie, Mr. Kavanagh, ich helfe Ihnen. Ein wenig Holz hacken würde mir bestimmt gut tun" schnell verabschiedete er sich von uns und stiefelte hinterher. Mir war nicht entgangen, dass Charlotte ihm genervt hinterher sah. „Schleimer." murmelte sie nur und widmete sich wieder ihren Fingernägeln. Wenn ich das so sah, war ich schon froh, dass ich anscheinend nicht die einzige in dieser Runde war, deren Liebesleben gerade gewaltig den Bach runter ging. „Was glotzt Du denn so, Hanna. Sehe ich etwa aus, als hätte ich einen Fernseher im Gesicht?" Sie wechselte vom Esstisch hinüber auf die Couch, auf der ich eingeschlafen war, um gleich darauf weiter zu meckern "Muss das hier drin so kalt sein? Da bekommt man ja Eiszapfen an der Nase." Mom, meine Großmutter und ich rollten alle gleichzeitig mit den Augen. „Das habe ich gesehen", schimpfte Maddie, der es schon immer wichtig war, dass wir die Tage harmonisch miteinander verbrachten. „Ach Maddie", ich tätschelte ihr den Kopf und zwinkerte ihr zu „lass uns lieber meine Koffer in mein Schlafzimmer bringen, dann kann ich Dir auch endlich zeigen, was ich tolles für Dich dabei habe." „Aber heute ist doch noch gar nicht Heiligabend." Ihre Augen fingen zu strahlen an.  „Meine Süße, seit wann brauche ich denn Feiertage, um Dir eine Überraschung zu bereiten?" Mit einem leichten Stups dirigierte ich sie ins Wohnzimmer. Gerade noch rechtzeitig, bevor Charlotte meine Taschen in die Finger bekam. Ich hätte sie nicht das erste Mal dabei erwischt, wie sie darin herum schnüffelte. Zum Glück hat sie dabei noch nie mein Tagebuch gefunden, welches mich wirklich auf Schritt und Tritt begleitete.




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